Die Pionierin

Die Schlehe begleitet den Prozess des Kommens und Vergehens. Sie nimmt uns mit in die Dunkelheit des Winters und hilft uns, Teil des natürlichen zyklischen Kreislaufs zu sein.


Am 31. Oktober, zu Samhain, findet das dritte und letzte Erntefest des Jahres statt. Nach einer neunmonatigen Schwangerschaft gebärt die Mutter Erde im Herbst ihre Früchte, die sie uns in Form von Nahrung schenkt. Wir ernten, was wir im Frühling gesät haben – auf allen Ebenen. Nun nimmt die Kraft der Sonne ab. Der Sonnenkönig stirbt und kehrt zurück in den Schoss und in die Obhut der grossen Mutter Erde. Der eiskalte Frost legt sich über die Natur, die Üppigkeit der Vegetation vergeht und die Wandlung der Kräfte beginnt. Das Götterpaar Sonne und Erde zieht seine schwarzen Gewänder an und bereitet sich auf die kommenden drei Monate der Einkehr, Dunkelheit und des Loslassens vor. In der dunklen Jahreszeit ist der Schleier zwischen Leben und Tod dünn. In dieser Zeit sollen wir uns mit den Ahn*innen und der Vergänglichkeit auseinandersetzen und lernen, den Tod als Teil des Lebens zu betrachten. Der Tod bedeutet nicht das totale Ende. Er ist vielmehr Teil des natürlichen zyklischen Kreislaufes, welcher das Loslassen, die Transformation wie auch die Neuwerdung und die Wiedergeburt beinhaltet.

In der herankommenden Zeit der Stille und dem Abschied der Sonne steht dir die Schlehe zur Seite. Oft wächst sie nicht weit von den Häusern entfernt, an abendsonnenbeschienener Hanglage. Die Schlehe (Prunus spinosa), auch Schwarzdorn, Heckendorn oder Wildpflaume genannt, ist eine Pflanze, welche den Prozess des Kommens und Gehens kraftvoll begleitet. Der dornige, stark verzweigte Strauch wird bis zu fünf Meter hoch und kann bei geeigneten Verhältnissen gut 500 Jahre alt werden. Oft findet man ihn zusammen mit anderen Rosengewächsen in einem undurchdringlichen Heckengestrüpp. Sie wächst langsam, bildet ein hartes Holz mit schwarzer Rinde und zeichnet sich durch ein knorriges Wachstum aus.

Zwischen Leben und Tod

Die Schlehe besitzt kraftstrotzende «Pionier-Qualitäten». Das zeigt sich in ihrem äusserst vitalen, flachen und weitreichendem Wurzelwerk, welches viele neue Wurzelschösslinge hervorbringt. Das Wurzelwerk befähigt die Schlehe, die verdichtende und zusammenziehende Eigenschaft des Elements Erde in sich aufzunehmen. Die Heckenpflanze liebt sonnige, kalkhaltige Böden, Waldränder und Berghänge. Sie kann sich gut an Extreme anpassen und ist enorm beständig gegenüber Kälte, Hitze, Trockenheit und Wind. Oft findet man sie auch in geomantischen Störzonen, die sie gekonnt auszugleichen vermag. Wir kennen die Schlehe als dunkle, dornige Pflanze mit einem Gewirr aus schwarzen Ästen. So verkörpert sie die nahende Dunkelheit der schwarzen Winter- und Todesgöttin. Auch im stillen, meditativen Dialog mit der Schlehe, zeigt sich die Vergänglichkeit: «Ich bin die Hüterin des Todes und des Verlustes. Ich bin die unausweichliche Prophezeiung, der du nicht entfliehen kannst. Selbst mutige Held*innen sind nicht davor gefeit. Ich führe dich zu deinen inneren, dunklen Abgründen und stelle dich deinem eigenen Tod gegenüber. Die Arbeit mit deinen dunklen Seiten kann schmerzen und Furcht auslösen. Stell dich trotzdem dieser Herausforderung. Lauf nicht weg. Der eigene Tod ist die einzige zukünftige und unausweichliche Konstante, der du entgegen lebst. Meditiere mit mir und entwickle einen klaren Blick für deinen Platz in der Vernetzung der Dinge. Meditiere über die Auswirkungen deines eigenen Todes. So erhältst du ein deutlicheres Bild darüber, was der eigene Tod für dich, deine Ahn*innen und die Menschen, die zurückbleiben, bedeutet. Du solltest immer objektiv auf den Tod vorbereitet sein und ihn als eine weitere Facette des Lebens annehmen. Dies ist wichtig, um dich zu heilen und dich der inneren Manipulation aus ängstlicher Wut zu entziehen. Weise leite ich dich auf viele alternative Pfade. Löse auf diesen Wegen die schon lang schwelenden Konflikte und begleiche all deine Schulden. Erledige die Dinge, wenn sie getan werden müssen. Sprich Dinge aus, die gesagt werden müssen. Entwickle mit mir die innere Stärke, damit du sinnloses Kämpfen aufgeben und Totes wirklich beenden kannst. Denn schon im nächsten Moment könnte es vorbei sein.»



Die Kraft des Feuers

Ende März, bei der wärmenden Liebkosung der ersten Sonnenstrahlen, verwandelt sich der Frühblüher in eine weisse Blütenpracht. Die zarte Schönheit und der Hauch von Vorfrühling sind jedoch sehr vergänglich. Nur drei bis vier Tage lang dauert die Blütezeit, während der die Schlehe einen lieblichen Mandelgeruch verströmt, der an Marzipan erinnert. Die Schlehe geht sparsam mit ihren blühenden Kräften um, welche geprägt sind vom wärmenden Feuerelement. Die Pflanze zieht diese Kräfte stattdessen in sich hinein. Durch diesen Prozess wird die Kraft gestaut, potenziert und in sich gehalten. Das Erdelement aus der Wurzel und das Feuerelement aus den Blüten sorgen für eine starke Verbindung, welche die Schlehe nutzt, um Seitentriebe mit festen Dornen zu bilden. Auch aus mythologischer Sicht ist die Schlehe stark geprägt von der Kraft des Vorfrühlings. Die weisse Blütenpracht symbolisiert die weisse, jungfräuliche Göttin, die im hellen Licht des Herzens, der Hoffnung und der fruchtbaren Erneuerung erstrahlt. Gleichzeitig ist die Schlehe eine typische Schwellenpflanze. Sie steht an den Grenzpunkten der Welten, welche die Dunkelheit der Winter- und Totengottheiten in sich birgt. In dieser Jahreszeit verkörpert sie stark die Energiequalität der Morgana. Morgana besitzt viele Namen und Gestalten. Zum Beispiel Hüterin des Todes, Zauberin, oder Fee. Sie verkörpert gleichzeitig die Hässlichkeit wie auch die Schönheit des Lebens. Die Verführung, wie auch die strahlende Jungfräulichkeit. Morgana ist eine urwilde Kriegerkönigin, eine wahre Schlachtfurie, die Zerstörung und starke Wandlung mit sich bringt und die Seelen durch diese Zyklen führt.



Herbe Frucht

Erst lange nach der Blüte entwickeln sich im Mai die kleinen, ovalen Blätter, welche dem Strauch sein grünes Gewand schenken. Später, während der sommerlichen Glut, steht die Schlehe unbeirrt da und lässt sich Zeit mit der Bildung ihrer Früchte. Erst im Spätherbst reifen die haselnussgrossen, schwarzblauen Früchte heran. Es sind wilde Pflaumen mit hartem Kern, wenig Fruchtfleisch und herbem Geschmack. Die sehr lange Entwicklungszeit der Wildpflaumen, welche die Schlehe an senkrecht nach oben ragenden Ästen trägt, ist charakteristisch für die Schlehe. Um zu reifen, braucht die Schlehe die Kraft der Kälte. Deshalb entwickeln sich die Früchte über ein halbes Jahr hinweg, vom kalten März bis in den frostigen Oktober hinein. Der Frost muss die Wildpflaumen zuerst verbrennen, damit sie reif und süss werden können. Und auch im Reifestadium zeigt sich nochmals die innere Kraft der Schlehe – sie wirft ihre Früchte nicht ab, sondern hält sie bei sich und lässt sie lange am Strauch reifen.

Aus der wilden Pflaume lassen sich vitaminhaltige Köstlichkeiten herstellen. Zum Beispiel Säfte, Sirup, Liköre, Wein, Tinkturen, Ölauszüge, Tees, Trockenfrüchte und Marmelade. Schlehenprodukte wirken generell zusammenziehend, entzündungshemmend und stoffwechselanregend. Sie stärken mit ihren antioxidativen Eigenschaften das Immunsystem und helfen dem Körper bei der Regeneration nach Krankheiten. Die Schlehen sorgen für Ruhe und Kraft indem sie das Nervensystem beruhigen. Zudem können sie bei Kreislaufschwäche, niedrigem Blutdruck und Teilnahmslosigkeit unterstützend und anregend wirken. Durch die Steigerung der Magensaftsekretion regen sie den Appetit an, wirken magenstärkend und verdauungsfördernd. Verwendung findet die Schlehe bei Verstopfung, Bauchkrämpfen oder zur Linderung von Prostatabeschwerden. Gerade jetzt, zu Beginn der kalten Jahreszeit, kann die Schlehe helfen, gesund zu bleiben. Wir können unsere Abwehrkräfte stärken, indem wir selbst ein Gewirr aus dornigen, schwarzen Ästen bilden. So sind wir gewappnet vor Erkältungskrankheiten, Fieber und Grippe.


Anwendungen der Schlehe


Schlehenlikör


  • 200 bis 300 Gramm reife Schlehen, nach dem Frost geerntet. (Um den Frost nachzuahmen können unreifere Schlehenbeeren im Gefrierfach eingefroren werden.)
  • Eine Flasche Wodka, Kirsch oder Weinbrand.
  • Je nach gewünschter Süsse 50 bis 100 Gramm Kandiszucker.
  • Je nach Geschmack Zimt, Kardamom, Pfeffer oder Nelken zum Würzen.

Zubereitung: Die Schlehen in grosse Gläser mit Schraubverschluss füllen. Kandiszucker, Alkohol und Gewürze beigeben. Die Gläser gut verschlossen und an einem warmen Ort lagern. Mindestens zwei bis vier Wochen ziehen lassen. Je länger der Auszug dauert, desto besser wird das Aroma. Danach filtert man den Likör und füllt ihn in kleine Flaschen.


Anwendung: Als Genuss- und Stärkungsmittel ein bis zwei Schnapsgläser pro Tag trinken. Kann auch einem Tee aus getrockneten Schlehenbeeren zugefügt werden.






Steven Wolf hat schon als Kind von seiner Grossmutter altes Pflanzenwissen gelernt und weiss um die Kraft der Natur mit all ihren sichtbaren und unsichtbaren Wesen. Er lebt in Escholzmatt, wo er zusammen mit seiner Partnerin ganzheitliche Pflanzenkurse für interessierte Menschen durchführt. Im Lochweidli steht dafür eine eigens gebaute Schuljurte.

www.pflanzechreis.ch



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