Sabine Hurni über Geduld

«Wart schnell», sagen wir, wenn jemand nicht lange zu warten braucht. Dauert etwas lange, wird das Warten zum Zustand. Erinnern Sie sich ans Warten am Skilift? Oder ans Warten bei der Telefonauskunft 111? Kürzlich haben wir in einer Badi über eine Stunde auf das Essen gewartet – und dabei zwei hungrige Jungs bei Laune gehalten. Mir wurde dabei bewusst, dass wir uns das Warten nicht mehr gewohnt sind. Es scheint ein Relikt aus der alten Zeit zu sein. Das Leben ist auf Effizienz und Unmittelbarkeit ausgerichtet. Kann es sein, dass wir dabei die Tugend der Geduld verlernen?

Geduld ist die Fähigkeit, Ruhe zu bewahren. Es ist die Kraft, trotz Schwierigkeiten, Verzögerungen oder Frustrationen gelassen zu bleiben. Geduld erfordert die Bereitschaft, auf etwas warten zu können, ohne ungeduldig und gereizt zu werden. Ja, Geduld ist eine Stärke, die ein grosses Mass an Selbstkontrolle und emotionaler Ausgeglichenheit erfordert. Wer geduldig ist, kann sich auf langfristige Ziele konzentrieren, auch wenn der Weg dorthin langwierig und herausfordernd ist. Wer geduldig ist, kann mit Ungewissheit umgehen und schwierige Situationen aushalten: In persönlichen Beziehungen, im beruflichen Umfeld, im Krankheitsfall oder beim Lernen neuer Fähigkeiten.

Geduld ist das Gegenteil von Ungeduld. Wer geduldig ist, folgt nicht jedem spontanen Impuls, sondern stellt ungestillte Sehnsüchte und Wünsche bewusst zurück und wartet. Somit ist die Geduld auch eng verwandt mit der Gelassenheit und der Standhaftigkeit. Mit Geduld lassen sich Schwierigkeiten und Leiden oder auch lästige Situationen gelassener ertragen. Geduld hilft, Stress zu reduzieren, bessere Entscheidungen zu treffen und stabile Beziehungen zu pflegen.

Wut transformieren

Geduld ist ein Gefühl. In der buddhistischen Psychologie ist Geduld das Mittel, um die negative, selbstzerstörerische Wut in Mitgefühl zu verwandeln. Wer ungeduldig ist, der ist wütend. Er tobt, weil etwas nicht nach Plan läuft. Diese Wut lässt sich aber nicht einfach auslöschen. Sie gehört genauso zum Menschsein wie die Geduld. In der Achtsamkeitsmeditation wird deshalb als erster Schritt die Wut angenommen. Danach lässt sie sich mit Hilfe der Geduld in die Herzensenergie des Mitgefühls umwandeln.

Wenn das jetzt etwas abstrakt klingt, dann stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Auto. Es ist Feierabend, Sie freuen sich auf das Nachtessen und Sie stehen vor einer Ampel. Es wird grün und die Person im Vorwagen fährt nicht an, weil sie abgelenkt ist durch das Smartphone. Welche Gefühle spielen sich bei Ihnen ab? Atmen Sie durch, lehnen Sie sich zurück, üben Sie sich in Liebe und Mitgefühl? Lächeln Sie freundlich, dankbar für die kleine Pause, die Ihnen gegönnt ist? Wohl kaum. Nein, Sie werden wütend und ungeduldig. Vielleicht fluchen Sie sogar vor sich hin oder überschütten die Person im Auto mit üblen Beschimpfungen.

Sich in Geduld üben lernen

Hier wäre die Tugend der Geduld gefragt. Sie hat mit Nachsicht, Willensstärke, Ausdauer, Dankbarkeit und Gelassenheit zu tun. Die Gelassenheit, die Dinge anzunehmen, wie sie sind. Können wir Situationen und deren Verlauf akzeptieren, kommt die Geduld von allein. Zum Glück ist es nie zu spät, sich in Geduld zu üben! Bei den meisten Leuten beginnt dieser Prozess mit Stressabbau. Je mehr Stress und Druck das Nervensystem belasten, desto kleiner ist die Toleranz gegenüber dem Umfeld und sich selbst. Sorgen Sie für Entspannung, bauen Sie Stress ab, schlafen Sie sich aus.

Ob im Wartezimmer, bei Krankheiten oder im Strassenverkehr – wir können die Situation, in der die Ungeduld aufkommt, oft nicht verändern. Konzentrieren Sie sich auf etwas anderes. Machen Sie Beckenbodentraining, Atemübungen, sprechen Sie ein Mantra für den Weltfrieden, üben Sie Lachyoga oder meditieren Sie ein bisschen. Nutzen Sie jede Warteminute, um etwas zu tun, wozu Sie sich sonst extra Zeit nehmen müssten. Oder wie es ein Freund kürzlich ausdrückte: «Fast jeder Moment des Wartens bietet die Möglichkeit, in eine erhöhte Schwingung zu kommen».

Geduldig mit sich selbst

Es gibt Lebenssituationen, in denen es gar nicht anders geht, als Geduld zu erlernen. So plötzlich ein Unfall oder eine Diagnose das Leben auf den Kopf stellen können, so langwierig und schwer ist der Weg zurück in die Normalität. Krankheiten und Unfallfolgen erfordern neben der Geduld, auch die Kraft, aufgrund der Situation nicht im eigenen Frust zu ersticken, sondern die Lebensfreude und den Humor zu bewahren. Heilung braucht Zeit. Und Geduld. Vielleicht müssen Sie eine Diät einhalten, eine Bewegung wieder neu lernen, warten, bis die Vitalkraft zurückkehrt.

Das ist Geduldstraining pur und alles andere als einfach. Die Nachsicht und Fürsorge, die wir an den Tag legen, wenn wir kranke Menschen begleiten, ist schnell vergessen, wenn wir selbst dieser kranke Mensch sind. Mit keinem anderen Menschen gehen wir so hart ins Gericht wie mit uns selbst.

Wenn Sie das nächste Mal geduldig warten müssen, bis eine Krankheit oder eine Verletzung verheilt, seien Sie liebevoll mit sich! Egal welche Stimmung Sie verbreiten: Es geht nicht schneller.

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