Sabine Hurni über die weibliche Kraft

Ist unsere monatliche Blutung ein Defizit oder ein Geschenk der Natur? Ich stelle fest, dass die Periode in der Öffentlichkeit immer als Problemfall betrachtet wird. Wir lesen von prämenstruellen Beschwerden, Endometriose, Myome bis hin zu Wechseljahrbeschwerden. Die Thematisierung ist oft auch berechtigt. Die meisten Frauen fühlen sich in diesen Tagen sensibler und dünnhäutiger als sonst. Haben Schmerzen, sind müde und unkonzentriert – und müssen trotzdem so tun, als wäre alles wie immer in bester Ordnung. Nicht wenige Frauen gehen Monat für Monat durch die Hölle und schlucken während zwei Tagen Schmerzmittel, um einigermassen über die Runden zu kommen. Aber Hand aufs Herz. Ist es das, was die Schöpfung für uns Frauen vorgesehen hat? Einen Körper, der sich rund vierzig Jahre lang monatlich auf die Möglichkeit einstellt, Kinder zu gebären und uns schmerzhaft in Erinnerung ruft, dass wir mit durchschnittlich zwei Kindsgeburten pro Frauenleben den Daseinszweck mehrheitlich nicht erfüllen?

Was, wenn wir die Geschichte umdrehen? Wenn wir mit Hilfe unseres Zyklus unseren Körper, unsere Spiritualität, unsere tiefe Kreativität, unsere Weiblichkeit und unsere Kraft besser kennenlernen. Hören wir doch auf, unsere ureigenste Weiblichkeit als ein störendes Defizit zu betrachten, nur weil wir in einem, mehrheitlich von männlichem Gedankengut geprägten Umfeld mithalten wollen, müssen oder meinen zu müssen. Durch das Nichtannehmen von dem, was ist, erhöhen wir die Beschwerden, welche die Menstruation begleiten können. Und umgekehrt. Je tiefer wir uns auf den natürlichen Prozess der Blutung einlassen können, desto entspannter kann sich die Mischung aus Blut, Wasser und Schleimhaut von der Gebärmutter lösen und ausgestossen werden. So zumindest berichten viele Frauen, die sich von PMS und Erschöpfung befreit haben, indem sie einen achtsameren Umgang mit sich und ihrem Zyklus gefunden hatten.

Liebe Frauen, unser Zyklus ist unsere Natur, unser Nährboden und unser Taktgeber. Nicht ich – mein Ego – gebe den Rhythmus vor, sondern die Natur meines Körpers, die verbunden ist mit der Zeitrechnung des Mondes. Wir dürfen mit Hilfe von unserem Zyklus lernen, dass wir einem Zeitgeschehen unterstellt sind, das wir nicht kontrollieren oder beherrschen können. Wir können uns diesem Rhythmus lediglich hingeben, genauso wie wir uns beim Tanzen der Musik hingeben und uns von ihr durch den Raum tragen lassen. Betrachten Sie sich als fliessendes Gleichgewicht. Wie das Meer bei Ebbe und Flut zieht sich Ihre Energie in der Zeit der Mensturation zurück in Ihr Innerstes. In der Zeit gegen den Eisprung hin, überfluten Sie Ihr Umfeld mit Ihrer Energie. Die Energie wird, genauso wie das Meerwasser, nicht weniger – sie zieht sich nur zurück, um später umso kraftvoller zurückzukommen.

Eine Möglichkeit, die Natur des Menstruationszyklus wieder ins Bewusstsein zu rufen, und mehr in Fluss zu kommen, ist die Auseinandersetzung mit dem Mond und die Symbolik der Jahreszeiten, welche die verschiedenen Phasen des Zyklus repräsentieren. Mit dem ersten Tag der Blutung beginnt der innere Winter (ca. Tag 27 bis 5). Danach bewegt sich der Körper mit einer Aufbruchstimmung in den Frühling (ca. Tag 6 bis 11), erreicht im Sommer (ca. Tag 12 bis 19) in der Zeit des Eisprungs seinen energetischen Höhepunkt und zieht seine Energie dann langsam mit der Herbstphase (ca. Tag 20 bis 26) zurück, bis mit dem Einsetzen der nächsten Blutung erneut der Winter Einzug erhält. Frauen die nicht, oder nicht mehr bluten nehmen den Mond als Orientierungshilfe. Mit dem Neumond beginnt der Winter, im Vollmond ist die Spitze der Energie und dazwischen baut sich die Energie entweder auf, zum Vollmond hin, oder ab, zum Leermond hin. Frühling und Sommer stehen für Offenheit. Wir sind nach aussen orientiert, voller Energie, voller Kraft, gesellig und sprühend. Im Herbst beginnt sich das Licht im Aussen zu dimmen. Es geht darum, dass wir nun langsam bei uns selbst ankommen, vermehrt nein sagen und im Winter, beim Einsetzen der Blutung dann die Qualität des inneren Raumes geniessen. Überlegen Sie sich mal, wo sie gerade stehen in Ihrem Zyklus oder im Mond. Überlegen Sie sich auch, wie Sie sich fühlen und worauf sie, jetzt am meisten Lust hätten. Raus ins Geschehen oder rein in die warme Höhle?

Die Zeit des inneren Winters ist eine magische Zeit. Es geht um Rückzug, Neinsagen zur Welt, Loslassen, Ruhe und Stille. Die Lichter der Aussenwelt gehen aus, dafür wird das innere Licht umso stärker. Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie sie sich in ihrer momentanen Lebenssituation rausnehmen können. Für die eine Frau ist das ein freier Tag, für die andere sind es fünf Minuten bewusste Ruhe. Je regelmässiger Ihr Zyklus ist, je besser lässt sich ihr Leben um den Zyklus planen. Ich bitte Sie, lassen Sie sich nicht mehr von ihren Schmerzen zur Ruhe zwingen, sondern planen Sie die Zeit für sich selbst bereits jetzt, proaktiv, in ihrem Kalender ein. Führen Sie ein einfaches Zyklustagebuch, in das Sie ab dem ersten Tag der Menstruation schreiben, wie sie sich fühlen und was Ihnen jetzt guttut. Nach ein paar Monaten erkennen Sie ein Muster, das Ihnen Einblick gibt in Ihr Energielevel. Das eine Prozent mehr Ruhe, das Sie sich in der Zeit des inneren Winters schenken, werden Sie in der Zeit des Frühlings wieder zur Verfügung haben.


Während der Menstruation sind wir empfänglicher für spirituelle Aspekte im Leben. Empfangen Visionen und kreieren Ideen, lassen gehen, was nicht mehr wichtig ist und finden einfacher einen Zugang zur inneren Tiefe. Diese Tiefe ist wichtig. Aus ihr schöpfen wir Frauen Kraft. Es braucht Mut, dort hinunterzusteigen. Die Welt will uns strahlend, lachend und nickend. Doch auch die Melancholie, die Vergänglichkeit und das Abtauchen brauchen Platz in unserem weiblichen Lebensrhythmus. Und nicht vergessen: Die Zeit der inneren Einkehr ist auf einige Tage begrenzt. Am Tag 5 kommt erneut der Frühling. Sie reissen sich aus der Höhle, hüpfen über das Feld und vergnügen sich. Im Sommer setzen Sie voller Energie alle Projekte mit Links um, im Herbst beginnen Sie sich langsam vom Aussen zu verabschieden und dürfen sich bereits freuen, dass um die Zeit des inneren Winters ein paar ruhige Tage anstehen, die Ihnen erlauben, einfach mal nichts zu machen.


Männliche Energie hat etwas Strukturiertes. Da wird gut eingeteilt und kontinuierlich einen Schritt vor den anderen gesetzt. Weibliche Energie ist Bewegung. Das sind energetische Wellenberge und Wellentäler. Ich wünsche mir so sehr, dass immer mehr Frauen in diese Kraft kommen und zu ihrer bewegten Weiblichkeit stehen. Die Welt muss lernen, damit umzugehen – und das wird sie auch. Und wir Frauen müssen lernen, auch unser eigenwilliges, borstiges, zutiefst weibliches Herbst-Winter-Gesicht anzunehmen, das vermeintlich weniger attraktiv und verführerisch ist als unsere, von der Gesellschaft als weiblich empfundene Frühling-Sommer-Seite.

Der Text ist inspiriert vom Buch: «Wild Power – discover the magic of your menstrual cycle and awaken the feminine path to power» von Alexandra Pope und Sjanie Hugo Wurlitzer.


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