Sabine Hurni über das Weltetränk Tee

Ist es nicht unglaublich, dass aus einer einzigen Pflanze rund 3000 verschiedene Teesorten produziert werden können? Wer das Tor zum Tee öffnet, dem offenbart sich eine Welt, die an Vielfalt kaum zu überbieten ist.

Je nachdem, wie eine Teepflanze kultiviert wird, wo sie wächst und wie sie verarbeitet wird, können ganz unterschiedliche Geschmacksnuancen entstehen. Redet man mit einem echten Kenner oder einer wahren Geniesserin wird bald klar: Das, was wir im Allgemeinen unter Tee verstehen, ist nur die Spitze eines grossen Eisberges. Dabei gilt zu beachten, dass nicht jedes Kraut, das wir mit heissem Wasser übergiessen, ein Tee ist. Mit Tee ist immer das Produkt aus der echten Teepflanze, der Camellia sinensis, gemeint. Genau gesagt der grüne oder schwarze Tee und alle dazwischen vorhandenen Unterformen. Alle anderen Kräuter, Wurzelstücke, Früchte und Samen, die mit Wasser aufgebrüht werden, sind Infusionen. Das heisst, Auszüge aus Pflanzen. Wir reden zwar im Alltag von Brennnessel- und Melissentee. Doch wenn wir korrekt sein wollen, ist das Wort «Tee» der echten Teepflanze vorbehalten.


Das Reich des Tees

Die Teepflanze (Camellia sinensis) verbindet die Menschheit wie kein anderes Kraut der Welt. Es gibt wohl keinen Flecken Erde, auf dem man nicht einen schwarzen oder grünen Tee bekommen kann. Da der Tee nicht nur Genussmittel, sondern auch ein hilfreiches Heilmittel gegen Durchfallerkrankungen ist, hat diese Tatsache etwas Beruhigendes und kann so manch missliche Lage entschärfen: Wenn dem Darm das fremde Essen zu viel wird, unterstützt der Tee mit seinen Gerbstoffen die Regeneration und Heilung. Ganz egal wo Sie sich befinden. Die Teepflanze wächst vom südlichen Japan und Korea, über das südliche China hinweg bis nach Indien, Laos, Myanmar, Thailand und Vietnam. Die immergrünen Sträucher erreichen Wuchshöhen von einem bis fünf Meter Höhe, selten können sie sogar bis zu 9 Meter hoch werden. In den Teeplantagen hält man sie bewusst klein, damit das Sammeln von Hand möglich ist. Sie gedeihen im subtropischen Klima mit feuchtheissen Sommermonaten und relativ trockenen, kühlen Wintern. Für die Herstellung von schwarzem Tee verwendet man die angewelkten, gerollten Blätter der Teepflanze. Bei diesem Prozess tritt das Enzym Penoloxidase aus, welches die Fermentation einleitet. Während dem Fermentationsprozess werden die in dünnen Schichten ausgelegten Teeblätter einer hohen Luftfeuchtigkeit ausgesetzt. Danach werden die Blätter durch Zufuhr von Heissluft getrocknet, was die Fermentation stoppt. Grüner Tee hingegen wird sofort nach der Ernte getrocknet. Dabei wird das Enzym, das die Fermentation einleitetet, inaktiviert. Deshalb bleiben die Blätter grün. Innerhalb der groben Unterscheidung von grünem und schwarzem Tee gibt es unzählige Produktionsformen, die sich in Geschmack, Qualität und Preis unterscheiden.


Teekulturen aus aller Welt

Im 17. Jahrhundert galt der Tee als Luxusgetränk, das sich nur der Adel und die Oberschicht leisten konnten. In England entstanden damals die «Tea Time»-Nachmittage, mit denen sich die Gutbetuchten die Zeit vertrieben. Das Teetrinken hat bis heute seinen Zauber bewahrt und ist bei vielen Menschen zu einem wichtigen Ritual im Alltag geworden. Je nach Land ein bisschen unterschiedlich:

  • Bei der englischen Teekultur trinkt man die kräftigen Teesorten wie Assam und Ceylon mit Milch, da sich auf diese Weise der Geschmack abrundet. Die kultivierten Teetrinker*innen geben zuerst die Milch in die Porzellantasse. Danach giesst man den heissen Tee dazu und rührt mit dem Löffel langsam um. Der Löffel darf dabei die Tasse auf keinen Fall berühren! Zum Trinken wird die Tasse zusammen mit der Untertasse zum Mund geführt und nur leicht gekippt. Falls man dazu ein Gebäck isst: Auf keinen Fall eintunken.

  • In der ostfriesischen Teekultur legt man zuerst mit einer Silberzange einen Kandiszuckerbrocken in die zarte Tasse. Danach füllt man sie mit Tee, sodass der Kandiszucker knapp herausragt. Jetzt lässt man den Rahm seitlich einlaufen. Er umspielt zuerst den Zucker und versinkt danach auf den Boden der Tasse. Gerührt wird nicht. Der Tee schmeckt auf diese Weise mit jedem Schluck anders. Zuerst sanft, dann bitter und im Abgang süss – so wie das Leben.

  • Die japanische Teekultur hat es zur Perfektion gebracht. Die Teezeremonie spiegelt das japanische Verständnis von Gastfreundschaft und Tradition. Das Ritual ist bis ins kleinste Detail festgelegt: Vom Empfang der Gäste im Garten, über das Sitzen im Teeraum, das Händewaschen, das Einschenken bis hin zum Trinken.

  • In China ist die Teekultur in allen Schichten verankert und regional sehr unterschiedlich. Die Teeblätter werden erst kurz und dann zweimal immer länger wieder aufgegossen. So ergeben sich unterschiedliche Geschmacksvarianten, von sehr bitter bis sehr mild. Der Tee wird traditionell aus dem Gaiwan getrunken, einer Schale mit Untertasse und Deckel. Dieses Trinkgefäss symbolisiert die Erde, den Menschen und den Himmel.

  • Die türkische Teekultur hat eine sehr lange Tradition. Tee wird vor und nach dem Essen, in Geschäften oder als Willkommensgetränk getrunken. Man geniesst das Getränk aus kleinen, tulpenförmigen Gläsern.


Schwarztee als Arzneimittel

Der Hauptwirkstoff von Tee ist Koffein, das bei Tee oft Tein genannt wird. Dazu kommen die Polyphenole, die besonders im grünen Tee gut erhalten bleiben, die Gerbstoffe und die Flavonoide. Tee in allen Variationen ist somit ein anregendes Getränk, das zwar hauptsächlich als Genussmittel dient, jedoch durchaus auch als Arzneimittel angesehen werden kann. Wegen dem hohen Gehalt an Gerbstoffen besitzt der Tee eine adstringierende, das heisst, zusammenziehende Wirkung. Deshalb wird er oft auch bei Durchfallerkrankungen eingesetzt. Will man den Tee als stimulierendes Getränk geniessen, lässt man ihn nur zwei Minuten ziehen. Soll er hingegen als Heilmittel und zur Unterstützung des Darmes dienen, darf man die Teeblätter 10 Minuten und mehr im Wasser ruhen lassen. Je länger der Tee zieht, desto mehr Gerbstoffe gehen in das Wasser über. Diese binden das Koffein und somit nimmt die anregende Wirkung ab und die durchfallhemmende nimmt zu. Nun wünsche ich Ihnen einen ruhigen Moment mit einer Tasse Tee!

Sabine Hurni arbeitet als Naturheilpraktikerin und Lebensberaterin in Baden, wo sie auch Ayurveda Kochkurse, Lu Jong- und Meditationskurse anbietet.

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