«Winterbaden verschiebt die Wärmeskala»

Im Sommer bei warmen Temperaturen steigen die meisten Menschen gerne in einen See oder Fluss. Im Winter bei Temperaturen im Minusbereich tun das die Wenigsten. Berufsschullehrer Christoph Peter aus Herbligen BE gehört zu ihnen. Er badet das ganze Jahr über jede Woche mindestens einmal im Thunersee.

Christoph Peter

Den grössten Effekt hat Winterbaden im Frühling. Wenn im Mai die Leute wieder beginnen, im See zu baden, dünkt er sie kalt. Ist ja klar: Sie sind es sich nicht gewohnt und der vom Schmelzwasser gekühlte See ist auch kalt. Mir hingegen erscheint das Wasser im Frühling schon bald einmal warm. Nicht weil ich einen wärmeren Einstiegsort habe, sondern weil ich den ganzen Winter hindurch etwa zweimal pro Woche im See war. Es ist eine Frage der Perspektive, der Vergleichsgrösse. Nachdem ich bei einer Wassertemperatur von sieben Grad gebadet hatte, erscheinen mir 15 Grad nicht mehr als kalt. Wer hingegen normalerweise mit 35 Grad zu Hause unter der Dusche steht, dem werden die gleichen 15 Grad kalt erscheinen.

Dieser Perspektivenwechsel ist mit ein Grund, warum ich auch im Winter in den Thunersee steige. Winterbaden verschiebt die Wärmeskala, eröffnet neue Temperaturempfindungen. Die Relationen sind plötzlich anders. Im Auto hole ich mir dann aber die verlorene Wärme zurück. Da stelle ich den Regler auf das rote Symbol und nutze die gesamte Wärme, die der Dieselmotor abgibt. Auf der viertelstündigen Fahrt nach Hause kann ich mich dann einigermassen wieder aufwärmen.

Trotzdem trage ich am Abend nach dem Seebad eine wärmende Weste. Eine warme Dusche nehme ich nach dem Seebad jedoch nie. Das wäre Energieverschwendung. Schliesslich hätte ich nicht in den kalten See müssen. Meiner Meinung nach sollen die Energie fürs Warmduschen besser die Bau- und Forstarbeiter brauchen, welche unfreiwillig den ganzen Tag im kalten Wetter draussen gearbeitet haben. Und das den ganzen Tag lang.

Zum Thema Energie: Ein Grund, warum ich im Winter in den Thunersee steige, ist, dass ich Energie verbrenne. Sport gehört nämlich – im Gegensatz zum Essen – nicht zu meinen Hobbys. Und während meiner Arbeit drinnen brauche ich ja nicht mehr als die Erverhaltungsenergie. Meine Überlegung ist: Das kalte Wasser animiert meinen Körper, Energie zu verbrennen und ich nehme quasi von selbst ab. Diese These muss ich aber nach nun zwei Jahren Erfahrung definitiv begraben: Ein paar Minuten See reichen nicht, um abzunehmen. Im Gegenteil, der Hunger ist zwei Stunden nach dem Baden grösser als normal.

Wie bin ich aber überhaupt darauf gekommen, mindestens einmal in der Woche in den See zu steigen? Menschen, die das ganze Jahr im Thunersee baden gibt es übrigens einige. Meine Cousine aus Spiez macht das schon jahrelang. Mehrere meiner Arbeitskollegen ebenfalls. Seit mein Arbeitsweg nun dem Thunersee entlang führt, bin ich im Sommer regelmässig darin baden gegangen und habe im Herbst einfach nicht aufgehört in den See zu gehen. Im Herbst ist Baden besonders schön. Bei Regen bietet der See Schutz. Im Wasser ist es sowieso nass und Kleider, die nass werden können, trägst du auch keine.

Weniger praktisch ist dann das Abtrocknen, weil das Tüchlein von zwei Seiten nass wird. Das Seewasser ist aber bis in den Herbst meist relativ warm und darum auch Baden kein Problem. Im Winter wird der See dann naturgemäss immer kälter, dafür das Wetter wieder schöner. Durchaus möglich, dass ich im Winter nach dem Baden auf das Mäuerchen sitze und die Sonne anblinzle und mich von ihr aufwärmen lasse. Inzwischen habe ich auch Neopren-Socken. Diese erleichtern mir einiges: Die Füsse sind die ersten, die nackt sind, müssen über die spitzen Steine gehen und sind die Letzten, die wieder trocken werden. Darum sind sie eigentlich der limitierende Faktor. Werden sie langsamer und weniger kalt, hält man es deutlich länger aus. Meine Hände hingegen, die sind weniger heikel. Ich kann auch im Winter die Hände ins Wasser halten und schwimmen.

Im kalten Thunersee baden, hat mir auch zu einer Art mentalem Training verholfen. Meist nehme ich mir am Mittag vor, dass ich an diesem Tag ins Wasser steige. Dann bestätige ich mir innerlich noch ein paar Mal, dass mein Plan ein guter sei. Obwohl ich bei Dingen, die mir widerstreben manchmal empfänglich bin für Alternativen und mich auch überzeugen lasse, unliebsame Dinge auf den nächsten Tag zu verschieben, verschiebe ich den Gang in den Thunersee nie. Wenn ich den Entschluss gefasst habe, auf der Heimfahrt zu baden, dann mache ich es auch. Am wichtigsten ist beim Einstieg, auf keinen Fall rückwärtszugehen: Egal wie kalt es ist. Egal wie fest es mich graust. Rein muss ich! Es gibt mehrere Stellen, wo eine Treppe oder Rampe in den See führt. Dort geht es am besten: Schritt für Schritt und wenn die Hüften ins Wasser kommen, gehe ich in die Knie und schwimme. Mutprobe geschafft!

 

 

Christoph Peter ist 47-jährig, verheiratet und Vater von zwei Kindern. Er ist in Goldiwil ob Thun aufgewachsen und lebt seit einigen Jahren in Herbligen. Auf seinem Weg zur Arbeit als Berufsschullehrer in Interlaken fährt er täglich dem Thunersee entlang und geniesst mindestens einmal in der Woche ein Bad im See.

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