Vom Müllbunker zum Mischwald

Die erste Station unseres Abfalls ist meist der Kehrichtsack. Dieser begibt sich auf eine lange Reise und passiert verschiedene Zwischenstationen, wie ein Blick auf die Praxis in Solothurn und Bern zeigt.

Christine Künzler

 

Im Durchschnitt erzeugen jede Schweizerin und jeder Schweizer pro Jahr rund 700 Kilogramm Abfall. Etwa die Hälfte davon wird recycelt oder kompostiert, den Rest verarbeitet eine der 29 Kehrichtverwertungsanlagen in der Schweiz, unter anderen die Kenova in Zuchwil (SO). Sie erhält jährlich gut 220 000 Tonnen Abfall aus 178 Gemeinden der Kantone Solothurn und Bern angeliefert. Das entspricht im Schnitt 605 Tonnen pro Tag – oder zwei grossen Einfamilienhäusern, von oben bis unten gefüllt mit Abfall. Der Weg, den ein Kehrichtsack zu absolvieren hat, ist lang und spannend. Er beginnt vor der Haustüre und endet auf einer renaturierten Waldfläche.

Strom und Fernwärme

Nehmen wir an, die in Solothurn wohnhafte Familie F. stellt ihren gefüllten Kehrichtsack an die Strasse. Dann kommt – im Auftrag der Gemeinde – der Kehrichtwagen und holt ihn ab. Der Sack trifft hier auf viele weitere «Gspänli» und fährt mit ihnen in eine der sechs Umladestationen. Dort wird er in einen Container verladen und fährt mit dem Zug nach Zuchwil in die Kenova AG. Hier endet die erste Etappe seiner Reise in einem Müllbunker.

Ein riesiger Greifkran hebt nun den Abfall in die Verbrennungsöfen, wo er bei 1000 ° Celsius verbrannt wird. Die dabei entstehenden Abgase werden in der Rauchgasreinigung gefiltert, gereinigt und danach über die Kamine in die Atmosphäre ausgestossen. Beim Verbrennungsprozess entsteht Wärme, die Wasser erhitzt und Dampf erzeugt, der sich dann in Turbinen zu Strom umwandelt. Mit der Restwärme produziert die Kehrichtverbrennungsanlage Heisswasser für Fernwärmekunden. Rund 12 000 Haushalte heizen ihre Häuser mit Fernwärme aus dem Kenova-Abfall und 42 000 beziehen ihren Strom von dort.

Zuchwiler Zink fliegt um die Welt

Von unserem Kehrichtsack bleiben nur noch Filterasche und Schlacke zurück. Dieses feine Aschen-Pulver enthält wertvolle Metalle wie Zink, Aluminium, Eisen und Kupfer. Alle Metallteilchen werden aus der Asche entfernt. «Die Kenova AG ist weltweit das einzige Unternehmen, das jährlich 300 Tonnen hochreines Zink aus der Filterasche zurückgewinnt», sagt Direktor Markus Juchli. Dieses wertvolle Metall verkauft das Unternehmen an Galvanikbetriebe, Beschlägehersteller oder an das französische Airbus-Unternehmen. «Die Chance ist gross, dass in irgendeinem der Flugzeuge Zink aus Zuchwil zu finden ist», so Juchli.

Zurück bleiben die restliche Filterasche und die Schlacke. Länder, in denen Kies und Sand knapp sind, wie etwa Holland, verarbeiten diese Produkte zu Recyclingbaustoffen. Dass dies in der Schweiz noch nicht möglich ist, bedauert Juchli. Ein solches Recycling sei nicht nur sinnvoll, es würde auch das Problem der schweizweit fehlenden Deponien lösen. In Zuchwil setzen sich die übrig gebliebene Filterasche und Schlacke vorläufig nochmals in den Zug und fahren nach Oberburg (BE).


Gute Schlacke dank gründlicher Entschrottung

Von Oberburg aus geht es per Lastwagen zur Kewu AG in Krauchthal. Hier wird die Schlacke bearbeitet, denn auch sie enthält noch diverse Metalle, die zurückgewonnen werden. Das passiert in der Entschrottungsanlage der Kewu AG. Diese Anlage zählt zu den besten Europas und entnimmt der Schlacke den grössten Teil des vorhandenen Metalles. Damit trägt die Kehrichtverwertungsanlage mit ungefähr 2000 Tonnen Eisen und ca. 1500 Tonnen Aluminium, Kupfer und anderen Metallen zum Metallrecycling bei. «Mit dieser Menge könnten die metallischen Anteile von rund 7000 Autos hergestellt werden», erklärt Kewu-Geschäftsführer Andreas Utiger.


Endstation der Schlacke ist die Deponie. Dank der gründlichen Entschrottung finden sich in der deponierten Schlacke kaum mehr Metallteilchen. Das zeigen die Analysen, die gemäss den Vorschriften des Bundes durchgeführt werden. Mehr noch: Die Kewu AG schafft es, die gültigen Grenzwerte um das Fünf- bis Zehnfache zu unterschreiten. Die so aufbereitete Schlacke wird vermischt mit der Filterasche und dann deponiert.

 

Lebensraum für Kröten

Einmal abgeladen, wird die Deponie überwacht. So wird etwa das Regenwasser, das den Deponiekörper durchdringt, gesammelt und in einer Kläranlage gereinigt. Ist die Deponie gefüllt, wird sie abgedichtet und mit einer zwei Meter hohen Erdschicht bedeckt. Auf dieser Fläche wächst dann ein Mischwald, in dem sich verschiedene Tiere heimisch fühlen. «Wir überwachen die Deponie so lange, bis wir alle möglichen Umweltauswirkungen ausschliessen können», hält Andreas Utiger fest.

Auf dem ganzen Deponie-Areal bleibt viel Raum für die einheimische Fauna und Flora. Die Flächen dienen Tieren, die oft ihre Lebensgrundlage verloren haben, als neuer Lebensraum – etwa den stark bedrohten Geburtshelferkröten, die sich in natürlichen, besonnten und unverbauten Feuchtgebieten wohlfühlen.

 

Eine Führung durch die Deponie

Wer sich von der Endstation unseres Kehrichtsacks ein Bild machen möchte, kann die Deponie der Kewu AG besuchen. Vom Bahnhof Hindelbank oder von der RBS-Station Bolligen fährt ein Postauto bis zur Haltestelle Hub bei Krauchthal, Brünnliacker. Die Führungen sind zu folgenden Zeiten möglich: Montag bis Donnerstag, 7.30 bis 12 Uhr, 13 bis 17 Uhr, freitags nur bis 16.30 Uhr.

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