Trotz Schwindel die Gipfel geniessen
Bei schönem Wetter zieht es viele hinaus – ob zu einer gemütlichen Wanderung durch blühende Alpwiesen oder zu einer anspruchsvollen Bergtour in felsigem Gelände. Doch mit der Höhe kommt nicht nur die Aussicht, sondern manchmal auch der Schwindel. Um steile Pfade und luftige Grate sicher zu begehen, gilt es zwischen Trittsicherheit, Höhenschwindel und Höhenangst zu unterscheiden.
Text: Andreas Mathyer, Fotos: Marco Volken

Trittsicherheit und Schwindelfreiheit werden oft in einem Atemzug genannt, bedeuten aber nicht dasselbe. Während Trittsicherheit die Fähigkeit ist, sich sicher und präzise im unwegsamen Gelände zu bewegen, beschreibt Schwindelfreiheit den Umgang mit Höhenexposition. Besonders wichtig ist die Unterscheidung zwischen Höhenschwindel – einer weit verbreiteten Unsicherheit bei fehlenden visuellen Referenzen – und Höhenangst, einer echten Angststörung mit möglichen Blockaden.
Trittsicherheit und Schwindelfreiheit: Beide Begriffe sind in Beschreibungen von Berg- oder Alpinwanderungen üblich, doch ihre Anforderungen unterscheiden sich deutlich. Wer ein Blockfeld quert, braucht Trittsicherheit – nicht aber Schwindelfreiheit. Umgekehrt gilt auf einer Hängebrücke: Wer schwindelfrei ist, kommt auch mit grossen Tiefblicken zurecht – unabhängig davon, wie trittsicher er ist.
Trittsicherheit lässt sich gezielt üben.
Trittsicherheit
Trittsicherheit bedeutet, beim Gehen sicher, präzise und stabil zu stehen. Sie schützt vor Ausrutschen, Umknicken und Stolpern. Zwei Schritte sind entscheidend:
- Erkennen sicherer Trittflächen, durch Erfahrung und Konzentration.
- Stabiles Platzieren der Füsse, gestützt durch Technik, Gleichgewicht, Koordination, Körperkraft, passende Schuhe und Selbstvertrauen.
Trittsicherheit kann in Gelände ohne Absturzgefahr gezielt geübt werden. Mit jedem gelungenen Tritt wächst das Vertrauen – ein positiver Kreislauf. Aber Achtung: Bei Ermüdung nimmt die Trittsicherheit rasch ab, oft unbemerkt.
Schwindelfreiheit
Schwindelfreiheit beschreibt die Fähigkeit, sich trotz Tiefe oder Ausgesetztheit ruhig und handlungsfähig zu bewegen – etwa auf Graten oder in steilem Gelände. Dabei sind zwei Phänomene zu unterscheiden:
Exponiertes Gelände löst bei vielen Unwohlsein aus.
Höhenschwindel
Weit verbreitet und unterschiedlich stark ausgeprägt, tritt Höhenschwindel auf, wenn in exponiertem Gelände klare visuelle Orientierungspunkte fehlen – insbesondere am Rand des Sichtfelds. Folge: Unsicherheit in der Körperwahrnehmung, oft verbunden mit weichen Knien, Verkrampfung, Schwitzen oder Herzklopfen. Mit jedem unsicheren Schritt wächst die Anspannung – eine negative Spirale kann entstehen.
Tipps gegen Höhenschwindel:
- Vor schwierigen Stellen pausieren, Atmung beruhigen.
- Konzentriert gehen, Blick auf den Weg vor den Füssen.
- Fixpunkte im peripheren Sichtfeld suchen.
- Nicht in die Tiefe starren, keine bewegten Objekte beobachten.
- Gleichgewicht trainieren, Entspannungstechniken lernen.
Höhenangst
Höhenangst ist deutlich seltener, aber wesentlich intensiver. Es handelt sich um eine Angststörung, ausgelöst durch den Blick in die Tiefe – selbst an sicheren Orten wie Aussichtstürmen oder Balkonen. Symptome reichen von Zittern und Atemnot bis zu totaler Blockade. Häufig tritt bereits Antizipationsangst auf – also Angst vor der Angst. Auf Wanderungen gilt es, solche Situationen unbedingt zu vermeiden. Denn im Extremfall wäre eine Bergrettung nötig. Höhenangst kann psychologisch behandelt und durch gezielte Konfrontation (Desensibilisierung) teilweise überwunden werden.
Fazit: Trittsicherheit ist eine motorisch-technische Fähigkeit, Schwindelfreiheit eine mentale. Beide lassen sich trainieren, verlangen jedoch unterschiedliche Herangehensweisen.
Wer die Unterschiede kennt, kann sich besser vorbereiten – und Risiken im Gelände gezielt minimieren. Das A und O für eine genussvolle Bergtour ist und bleibt, dass die Wanderung die Fähigkeiten der Teilnehmenden nicht übersteigt und dass jede Tour gewissenhaft geplant wird.
Quelle und Buchtipp
Ausbildung Bergwandern / Alpinwandern. Planung, Technik, Sicherheit
Das Standardwerk aus dem SAC Verlag vereint das Wissen der in diesem Bereich tätigen Fachorganisationen: Beratungsstelle für Unfallverhütung BFU, Schweizer Wanderwege, Schweizer Alpen- Club SAC, Schweizer Bergführerverband SBV, Naturfreunde Schweiz, Alpine Rettung Schweiz ARS.
Autoren: Marco Volken; Anita Rossel; Rolf Sägesser; Werner Stucki; Andreas Mathyer
328 Seiten, 137 Farbfotos, 70 Illustrationen und Abbildungen, ISBN 978-3-85902-477-9, Preis CHF 59.00
Bestellungen online im SAC-Shop www.sac-cas-shop.ch. Erhältlich auch im Buch- und Fachhandel