TCM-Arzneipflanzen-Garten zum Anfassen und Erkunden

Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) wird heute nicht nur in China, sondern weltweit praktiziert. Die dafür verwendeten Heilpflanzen sind in Europa jedoch weitgehend unbekannt. Um dieses Wissen zu vermitteln, wurde 2016 auf dem Campus Grüental der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Wädenswil der erste TCM-Arzneipflanzen-Garten der Schweiz eröffnet.

Regula Treichler

In Kooperation mit dem TCM-Fachverband Schweiz entstand eine Sammlung, die zukünftigen TCM-Therapeut*innen hilft, die Vielfalt der Arzneipflanzen nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch zu verstehen. Zudem soll der Garten ein breites Publikum für die pflanzenbasierte Heilmethode begeistern und als kulturelle Brücke dienen.

Herausforderung: Ein chinesischer Garten in der Schweiz

Die Realisation des Gartens brachte die Herausforderung mit sich, eine thematische Sammlung von Heilpflanzen aus einem anderen Kontinent und Kulturkreis im Kontext der bestehenden Hochschulgärten sinnvoll zu präsentieren. Die Komplexität und Vielschichtigkeit der TCM-Thematik musste in ein schlüssiges Gesamtkonzept inklusive der Gestaltung, Umsetzung und Kommunikation des Gartens fliessen. Dabei soll der Garten sowohl charakteristische Elemente eines chinesischen Gartens aufweisen, sich aber auch in das wissenschaftliche Umfeld der Hochschule und die bestehenden Lehr- und Forschungsgärten integrieren. 

So entstand ein harmonisch eingebetteter, mit Hecken umschlossener Heilpflanzengarten, der mit seiner Umgebung korrespondiert und harmonisch in sie eingebettet ist. Wo möglich und passend, wurden subtil Gestaltungsansätze der chinesischen Philosophie wie Ying und Yang oder die fünf Elemente integriert. So entstanden unterschiedliche Höhenstrukturen, feuchte und trockene Bereiche mit wechselnden Lichtverhältnissen sowie stille und aktive Zonen. Denn im idealen chinesischen Garten ist alles im Gleichgewicht und wer in ihn eintaucht, wird von seiner inneren Harmonie berührt und spürt seine wohltuende und stärkende Kraft und Regeneration.

Pflanzeneinteilung nach Standortansprüchen

Um die Vielzahl von Pflanzen einer Sammlung sinnvoll einzuteilen, braucht es ein Ordnungsprinzip. Die gängige Einteilung der Arzneipflanzen nach ihren Wirkstoffen oder ihrer medizinischen Anwendung schien zunächst logisch und sinnvoll. Schwerpunkt der Gärten im Grüental ist jedoch die Veranschaulichung funktionierender und nachhaltiger Pflanzensysteme. Die Einteilung der uns grösstenteils unbekannten Pflanzen erfolgte deshalb nach den ökologischen Standortansprüchen der Pflanzen, die den Lebensräumen und Standorten in ihrer Heimat nahekommen. Dazu wurden verschiedene Lebensräume wie Kiesflächen, Wald- und Waldrandbereiche, Ackerflächen sowie Feuchtzonen nachgebildet. Diese vereinfachte Einteilung nach Lebensräumen garantiert die bestmögliche Chance für das langfristige Gedeihen der chinesischen Arzneipflanzensammlung am Standort in Wädenswil.

Heilpflanzenvielfalt und Beschaffung

Von den über 10 000 in der TCM bekannten Arzneipflanzen werden in Europa rund 350 therapeutisch genutzt. Der Garten startete vor neun Jahren mit etwa 100 Arten, inzwischen umfasst die Sammlung etwa 140 Arten. Die Beschaffung der Pflanzen war anspruchsvoll, aber dank intensiver Recherche und Kooperation mit über 15 europäischen Lieferanten konnten die gewünschten Arten aus botanischen Gärten, Baumschulen und Staudengärtnereien beschafft oder aus Saatgut im Lehr- und Forschungsbetrieb selbst angezogen werden.

Entwicklung der Pflanzen im Garten

Der Entscheid, im Garten nur frostharte Arten auszupflanzen und auf die subtropischen und tropischen Arten zu verzichten, macht aus ästhetischen Gründen und aus Sicht einer nachhaltigen Pflege Sinn. Innerhalb der nach Lebensbereichen zusammengefassten Beete konnten sich leider nicht immer alle Pflanzenarten gut entwickeln. Der Anbau von Ginseng erwies sich beispielsweise als schwierig, da diese Art einen reifen und humosen Waldboden im Schatten benötigt. Eine Bedingung, die in einem jungen Garten mit frisch gepflanzten Bäumen auch mittels aufwändigen Schattenkonstruktionen schwer zu erfüllen ist. Manche Pflanzen wie die Chinesische Minze oder die Tatarische Aster zeigen hingegen ein so starkes Wachstum, dass Wurzelsperren notwendig wurden. In den neun Jahren seit der Entstehung des Gartens konnten viele Erfahrungen gemacht werden und insgesamt haben sich die meisten Pflanzenarten inzwischen gut etabliert. Insbesondere die Bäume und Sträucher sind zu stattlichen Exemplaren gewachsen und geben dem Garten auch gestalterisch einen wunderbaren Rahmen.

Wissensvermittlung und Nutzung des Gartens

Der Arzneipflanzengarten wird durch verschiedene Ausbildungsorganisationen der TCM mehrmals pro Jahr anhand Exkursionen mit TCM-Kräuterkundigen Therapeut*innen zu Schulungszwecken genutzt. Für Interessierte gibt es regelmässig öffentliche Führungen, an denen die Teilnehmenden die wichtigsten Arzneipflanzen der chinesischen Medizin in ihrem Wachstumskreislauf kennenlernen und erfahren, wie Wurzeln, Rinden, Blätter, Blüten und Früchte in den jeweiligen Jahreszeiten geerntet werden und welches die ersten Verarbeitungsschritte auf dem Weg von der Pflanze zur Arznei sind.

Ein speziell erarbeitetes Booklet hilft Besuchenden, die Pflanzen den entsprechenden Arzneien zuzuordnen. Die Pflanzen sind zudem mit Aluschildern versehen, die lateinische, chinesische und deutsche Namen, die verwendeten Pflanzenteile sowie die Arzneien, die aus der Pflanze gewonnen werden, angeben.

Netzwerk und Finanzierung

Für die langfristige Erhaltung und Pflege des Gartens sind finanzielle Partner unerlässlich. Neben dem TCM-Fachverband Schweiz unterstützen Ausbildungsorganisationen, Apotheken und Importeure von TCM-Rohdrogen das Projekt. Netzwerkveranstaltungen und Pflanzenpatenschaften fördern die Teilhabe und das Engagement. Trotz kontinuierlicher Weiterentwicklung braucht es Zeit, bis sich ein solcher Garten als fester Lernort etablieren kann. Doch das wachsende Interesse zeigt: Das Konzept eines TCM-Arzneipflanzen-Gartens als interkulturelle Brücke und Bildungsstätte trägt Früchte.

 

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