Mit Treicheln und viel Lärm das alte Jahr vertreiben

Die Zeit der Wintersonnenwende um und vor allem nach dem 21. Dezember ist reich an traditionellem Brauchtum. Insbesondere im Berggebiet bestehen zahlreiche lokale Bräuche, welche wohl weit in die heidnische Zeit zurückeinreichen. Wir werfen den Blick auf zwei Beispiele aus dem Berner Oberland.

Samuel Krähenbühl


D
ie Silvesterkläuse in Urnäsch (Appenzell Ausserrhoden) sind die vermutlich bekanntesten Figuren im Schweizer Neujahrsbrauchtum. Doch es gibt noch viele weitere, teils nur lokal oder regional bekannte Neujahrsbräuche. Den «Zweitjenner» gibt es in seiner Art nur in der Gemeinde Sigriswil am Thunersee. Zwar gilt der 2. Januar (Berchtoldstag, «Bärzelistag») in vielen Gebieten als Feiertag, und in der Art, wie er gefeiert wird, gibt es Gemeinsamkeiten. Dazu gehören Neujahrs-, Winter- und Fasnachtstraditionen, wie etwa Glocken- und Maskenumzüge oder «Neujahrsblätter». Doch viele Eigenheiten machen den Zweitjenner in den Sigriswiler Dörfern einzigartig. Und für alle hat das «Nöijahre» auch seine ganz eigene Bedeutung. Ist es für die Junggesellen die Gelegenheit, ledige Frauen im Dorf kennenzulernen, ist der Zweitjenner für andere der Moment, schlechte Geister zu vertreiben, zum «ga ichehre», oder anderen «äs guets Nöis dir emu o» zu wünschen.

Uralte Wurzeln

Die Art, wie in der Gemeinde Sigriswil das alte Jahr beendet und das neue begonnen wird, inklusive Zweitjenner, hat Wurzeln, die auf vorchristliche Zeiten zurückgehen. Entsprechend sah die katholische wie auch die reformierte Kirche das lebensfrohe «heidnische» Treiben höchst ungern. So wird es in Aufzeichnungen auch kaum erwähnt. Doch gemäss mündlichen Überlieferungen haben sich die uralten Bräuche im Lauf der Zeit kaum gewandelt. Als «Auftakt für die Fünfte Jahreszeit» schliessen sich jeweils anfangs Dezember die jungen, ledigen Männer dorfweise zu den Neujahrsgesellschaften zusammen. Dies geschieht an den «Neujahrsversammlungen», an welchen die Gesellschaften den jeweiligen Präsidenten wählen und über die wichtigsten organisatorischen Belange beschliessen. Zum «Gloggne» ziehen sie in der Silvesternacht mit Treicheln und Glocken durchs Dorf, läuten das alte Jahr aus und das neue Jahr ein. Wer heiratet, scheidet automatisch aus der Neujahrsgesellschaft, die sich jedes Jahr neu bildet, aus.


Das «Schwarznen»

Ledige Frauen und Männer wollen sich kennenlernen! Die Chance dazu bietet das «Schwarznen» in der Altjahreswoche. Dann laden die ledigen Frauen des Dorfes die ledigen Männer zu Speis (Züpfe, Gebäck und anderes) und Trank. «Schwarznen» bezieht sich auf den oft mit Schnaps genossenen schwarzen Kaffee und aufs Dunkel der nicht selten bis zum Tagesanbruch durchwachten langen Nächte. «Fremdschwarznen», also der Besuch lediger Damen anderer Dörfer, ist übrigens bis heute ungern gesehen!?


Die Neujahrsgesellschaft Endorf auf einer alten Aufnahme. Man sieht trotz der grossen Distanz von 100 Jahren die Gemeinsamkeiten mit Heute.


Silvester und Neujahr

An Silvester und Neujahr werden als Glücksbringer in diversen Dörfern geschmückte Neujahrstannen gestellt. Zudem ziehen in der Silvesternacht die Neujahrsgesellschaften durch die Dörfer zum «Gloggne»: Mit Treicheln und Glocken läuten sie das alte Jahr aus und das neue Jahr ein. Am Neujahrsabend steigt ein grosses Fest mit urchiger bis kerniger Livemusik. «Geläutet», wie man das «Gloggne» auch nennt, wird abgesehen von Silvester und Neujahr übrigens auch anlässlich von Hochzeiten, als Form des Glückwunsches an die Frischvermählten.


Der Zweitjenner

Aufwachen! Los geht’s! Vor Tagesanbruch beginnt der Zweitjenner mit dem «Riesechnutsch» eines Böllers. Während die verkleideten Neujahrsgesellschaften nun mit Lärminstrumenten von Haus zu Haus ziehen, um mit Speis und teils hochprozentiger Tranksame bewirtet zu werden, zünden sie weitere «Töndere». Wo man auch hinkommt, wünschen sich alle ein gutes Neujahr. Mit Spannung werden die «Neujahrsblettli» aus Aeschlen, Schwanden und Sigriswil gelesen, die den Dorfklatsch schnitzelbankähnlich wiedergeben. Abends finden sich die Neujahrsgesellschaften in Sigriswil, Schwanden, Merligen oder Gunten wieder zum Feiern zusammen.


Am Umzug am 2. Januar werden immer wieder aktuelle politische Probleme dargestellt. Hier etwa die Stauproblematik am rechten Thunerseeufer.

Ubersitz im Haslital

Ebenfalls ein sehr spezielles Brauchtum pflegt die junge Generation im Haslital im östlichen Berner Oberland. Die Altjahrswoche startet jeweils in der Nacht vom 25. auf den 26. Dezember und endet mit dem zweitletzten Arbeitstag des Jahres, dem «Ubersitz». In dieser Woche vertreiben die verschiedenen Trychelzüge mit ihren beeindruckenden Umzügen durch die Dörfer des Haslitals die bösen Geister. Täglich werden die Trychelzüge mächtiger, der Lärm lauter bis zum Höhepunkt in der Nacht zum «Ubersitz». An diesem Abend ziehen alle Trychler der umliegenden Ortschaften Willigen, Hausen, Eisenbolgen, Unterbach, Hasliberg und Meiringen ins Dorfzentrum von Meiringen zu einem gemeinsamen Trychelumzug. Der Rhythmus, den die Gruppen dabei anschlagen, geht einem durch Mark und Bein. Wer je an einem Ubersitz war, wird ihn nie mehr vergessen. Beeindruckend sind auch die verkleideten Figuren, welche im Umzug mitgehen. Da ist etwa die «Schnabelgeiss». Diese hat einen hölzernen Schnabel, mit dem sie den Kindern die Kappen zu stehlen versucht. Früher sagte man, wenn eine junge Frau von der Schnabelgeiss gepickt wird, wird sie im nächsten Jahr schwanger. Noch fast skurriler ist die Figur des «Huttewibli». Dabei handelt es sich um ein spezielles Kostüm, bei dem eine Puppe – eben das «Huttewibli» – am Bauch des Trägers hängt, währenddessen die verkleidete Person eine männliche Maske trägt und den Anschein macht, in einer «Hutte» auf seiner Frau zu sitzen.


Am Umzug am 2. Januar werden immer wieder aktuelle politische Probleme dargestellt. Hier etwa die Stauproblematik am rechten Thunerseeufer.
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