Landwirtschaft im Gegenwind des Klimawandels

Die Schweizer Landwirtschaft spürt den Klimawandel – im Positiven wie im Negativen. Denn gewisse Bereiche sind mehr oder weniger von den Folgen der höheren Temperaturen betroffen. Andere profitieren sogar davon.

Fabrice Müller

Je nach Region ergibt der Chasselas fruchtige, blumige, terroirgeprägte und leicht süsse Weine. Der Chasselas ist also ein vorzüglicher Apérowein, eignet sich aber auch bestens als Begleiter zu verschiedenen Gerichten. Der durchschnittliche Erntezeitpunkt liegt in der Westschweiz zwischen Mitte September und Mitte Oktober. Seit 1925 steht diese Rebsorte im Fokus der Forschungsstelle Agroscope in Pully. Im Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung werden Daten zu klimatischen Parametern und zur Phänologie der Rebsorte Chasselas gesammelt. In diesen langen Beobachtungsreihen lässt sich offenbar eine leichte Tendenz zu einem verzögerten Laubaustrieb feststellen, mit extrem frühem Austrieb im Jahr 1990 (19. März) und maximaler Verzögerung im Jahr 1956 (5. Mai), das von einem historischen Winterfrost geprägt war. Weitere Erkenntnis: Der Blühbeginn ist tendenziell früher, mit extrem frühem Beginn in den Jahren 2011 und 1948 (5. Mai) und später Blüte im Jahr 1980 (7. Juli). Dieselbe Tendenz lässt sich für den Beginn der Reife feststellen. «Diese Ergebnisse zeigen, dass sich die Weinrebe sehr gut an klimatische Schwankungen anpasst und sie im Fall der Schweiz von den wärmeren Bedingungen profitiert. Gegenwärtig gehört die Rebe sicherlich zu den am besten an den Klimawandel angepassten Pflanzen», erklärt Agroscope (siehe auch Interview mit Jürg Bachofner vom Branchenverband Deutschschweizer Wein).

Akteurin und Betroffene

Der Klimawandel stellt nicht nur für den Weinbau, sondern für die gesamte Landwirtschaft eine Herausforderung dar. Zum einen wird von den Bäuerinnen und Bauern erwartet, dass sie durch Reduktion von Treibhausgasemissionen einen effektiven Beitrag zum Klimaschutz leisten – zum anderen sind sie gefordert, ihre Produktion vorausschauend an die Veränderungen des Klimas anzupassen, indem sie Chancen nutzen und negative Auswirkungen auf Energie und Umwelt abfedern. Somit ist die Landwirtschaft sowohl Akteurin als auch Betroffene des Klimawandels. Immerhin trägt sie mit einem Anteil von 13 Prozent zu den Gesamtemissionen der Schweiz bei, wie das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) informiert.

Auswirkungen auf den Ackerbau

Grundsätzlich führt die Veränderung des Klimas in der Schweiz allgemein zu einer Verschiebung der Gunsträume für die landwirtschaftliche Produktion. Dadurch ergeben sich positive als auch negative Aspekte. Besonders prägend ist die Zunahme von Wetterextremen zu bezeichnen, denn sie mindern die Ertragssicherheit in der Landwirtschaft. So führt zum Beispiel die Kombination von hohen Temperaturen mit geringen Niederschlägen zu einer spürbaren Reduktion der Ernteerträge. Agroscope untersuchte anhand der Deckungsbeiträge für die Landwirtschaft im Fünfjahresvergleich die Folgen von Trockenheit oder starken Regenfällen für Weizen, Raps, Sonnenblumen, Kartoffeln und Zuckerrüben. Raps hingegen ist von feuchteren Jahren offenbar weniger negativ betroffen. Die Sonnenblumen profitierten laut der Forschungsstelle sogar von der Wärme und Trockenheit. «Generell gesehen kommen die wärmeren und trockeneren Wetterverhältnisse den Wachstumsbedingungen der Ackerkulturen eher entgegen», stellt Agroscope fest. Mit dem Temperaturanstieg erhöht sich laut dem Schweizer Bauernverband auch der Schädlingsdruck.

Der Mais profitiert

Ein weiterer Profiteur des Klimawandels scheint der Maisanbau zu sein, wie Studien von Agroscope zeigen. Mais könnte dabei gleich in zweierlei Hinsicht profitieren: einerseits von einem grösseren Spielraum für die Aussaat aufgrund der Zunahme der Frühlingstemperaturen; anderseits von mehr Möglichkeiten für den Anbau von spät abreifenden Sorten. Allerdings bringt der Klimawandel nicht nur Vorteile mit sich. Frühere Studien von Agroscope kamen nämlich zum Schluss, dass steigender Hitzestress und zunehmende Trockenheit den Maisanbau mittelfristig beeinträchtigen könnten. Als klimatisch besonders günstige Standorte für den Maisanbau gelten das Tessin, das Wallis, die Westschweiz sowie die Flussebenen von Aare, Reuss, Limmat und Rhein. In diesen Regionen können laut Agroscope auch mittelspät abreifende Körnermaissorten angebaut werden.

Wassersparende Systeme

Die Bäuer*innen reagieren auf die neuen Herausforderungen rund um den Klimawandel, indem sie zum Beispiel die Bewässerungsmöglichkeiten ausbauen, auf wassersparende Systeme und Sensoren für eine bedarfsgerechte Bewässerung umstellen oder neue Kulturen anbauen, die mit Trockenheit und Hitze besser zurechtkommen. Dazu zählen etwa Sorghum und Luzerne, beides Futterpflanzen, die mit weniger Wasser auskommen oder tief wurzeln. Wie der Schweizer Bauernverband informiert, kommt dabei dem Boden- und Erosionsschutz eine spezielle Bedeutung zu. Denn: Je gesünder und humusreicher ein Boden, desto besser ist seine Wasserrückhaltefähigkeit.

Neue Züchtungsmethode

Als Reaktion auf die neuen Bedingungen für die Landwirtschaft betreibt zum Beispiel die Forschungsgruppe Genomdynamik der Pflanzen, geleitet von Etienne Bucher, innerhalb des europäischen ERC-Projekts «BUNGEE» Laborforschung mit TEgenesis®. Diese neue Züchtungsmethode wurde an der Uni Basel entwickelt und patentiert. Die Züchtungsmethode mit mobilen genetischen Elementen beschleunigt einen pflanzeneigenen und zufälligen Anpassungsmechanismus. Ob dieser zum gewünschten Resultat führt, lässt sich schnell und genau nachprüfen. Bei Agroscope ist es derzeit allerdings nach eigenen Angaben nicht erlaubt, mit dieser Methode auf dem Feld zu forschen. Bundesämter sowie die zuständigen Kommissionen (EFBS, EKAH) kommen in ihrer Beurteilung, ob das Mutageneseverfahren «TEgenesis» unter das Landwirtschafts- oder Gentechnikrecht fällt, zu unterschiedlichen Beurteilungen. Der Bundesrat hat sich mit dieser Frage noch nicht beschäftigt.

www.agroscope.admin.ch

 

«Pilze und Schädlinge zählen zu den Folgeschäden des Klimawandels»

Der Schweizer Weinbau ist geprägt durch seinen alpinen Charakter, aussergewöhnliche Landschaften, eine Vielzahl von Mikroklimata und eine breite Vielfalt von Rebsorten. Was bedeutet der Klimawandel für die Arbeit im Rebberg? Wir sprechen darüber mit Jürg Bachofner, Geschäftsführer des Branchenverbandes Deutschschweizer Wein.

Interview: Fabrice Müller

«natürlich»: Wie stark beschäftigen sich die Schweizer Winzerinnen und Winzer mit dem Klimawandel und seinen Folgen?

Jürg Bachofner: Der Klimawandel ist für die Winzerinnen und Winzer ein wichtiges Thema. Sie sind tagtäglich mit seinen Auswirkungen auf die Reben konfrontiert.

Wo ist der Weinbau vom Klimawandel betroffen?

Aufgrund der höheren Temperaturen hat beispielsweise der Kanton Baselland die Höhengrenze für Weinbaugebiete heraufgesetzt. Dadurch entstünden für den Weinbau neue Anbauflächen, was grundsätzlich positiv ist. In der Deutschschweiz hatten wir über die letzten Jahre stets eine gleichbleibende Anbaufläche für den Weinbau, nur in der Zentralschweiz kam es dank des Temperaturanstiegs zu einer Verdoppelung der Flächen – vor allem in den Luzerner Seetälern etwa, in den Kantonen Ob- und Nidwalden sowie Uri und Zug. Ob ein*e Winzer*in seine Flächen erweitert, hängt allerdings stets von der Nachfrage ab.

Gibt es Unterschiede je nach Lagen und Rebsorten?

Die klassischen Rebsorten wie Blauburgunder oder Müller-Thurgau erreichen mit den höheren Temperaturen ihren Zuckergehalt früher. Entsprechend werden sie auch früher geerntet, um ihre Sortentypizität zu erhalten. Dies setzt allerdings eine gute Beobachtungsgabe von Seiten der Winzerinnen und Winzer voraus – wovon ich ausgehe. Für sie gilt nicht nur der Kalender, sondern die Qualität und der Reifegrad der Traube als Referenz. Die höheren Temperaturen bieten den Weinbäuerinnen und Weinbauern die Möglichkeit, spätreifere Sorten wie zum Beispiel Malbec, Cabernet-Sauvignon, Shiraz oder Merlot – der mittlerweile neben dem Tessin vermehrt auch in der Deutschschweiz und Romandie anzutreffen ist – anzubauen.

Welche negativen Aspekte hat der Klimawandel für den Weinbau?

Pilze und Schädlinge zählen zu den Folgeschäden des Klimawandels. Ausschlaggebend sind die oft extremen Wetterausschläge wie der trockene Frühling in diesem Jahr oder lange Regenperioden. Ein allzu feuchtes Mikroklima begünstigt die Mehltaupilze. Glücklicherweise konnten sich die Reben in diesem Jahr dank des schönen Wetters bestens entwickeln und haben den Rückstand vom Frühling wieder aufgeholt.

Wie reagieren die Schweizer Winzerinnen und Winzer auf diese Entwicklungen?

Sie reagieren besorgt darauf, denn sie können sich nicht mehr nur auf Witterungsverhältnisse verlassen. Jedes Jahr ist anders, was unter anderem schwankende Erträge zur Folge hat. Wetterkapriolen wie Sturm, Hagel und starke Niederschläge innerhalb kurzer Zeit führen oft zu schweren Schäden. Zudem können grosse Wassermengen das Rebland abschwämmen. Und schliesslich macht uns der Frost zu schaffen. Für Risiken wie Naturereignisse besteht zunehmend Bedarf nach Versicherungslösungen, damit entgangene Ernteerträge abgefedert werden können.

Welche Schutzmassnahmen stehen den Weinbäuerinnen und -bauern zur Verfügung?

Es gibt eine ganze Reihe von Massnahmen, die allerdings keinen hundertprozentigen Schutz bieten. Es gibt resistente Rebsorten, die zwar gegen die Folgen des Klimawandels und Schädlinge, jedoch nicht gegen gegen Hagelschäden geschützt sind. Jeder Betrieb muss deshalb für sich selbst prüfen, welche Rebsorten er behalten oder neu hinzunehmen will.

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