Kanalisierte Wanderlust

Wenig Gefälle, viel Natur: Die alten Walliser Suonen sind wie gemacht für erholsame Ausflüge in der Bergwelt – ein perfektes Beispiel dafür ist die Beitra-Wasserleite bei Visperterminen.

Benjamin Haltmeier

Am Eingang des vorderen Vispertales liegt das Heidadorf Visperterminen auf 1378 m ü. M. Natürlich schweift das Auge hier als erstes zu den umliegenden Viertausendern der Walliser und Berner Alpen. Doch nicht nur die Bergnatur zeigt sich hier authentisch, auch kulturell wurde in der Region vieles sorgfältig überliefert und gepflegt. In der Ortschaft selbst sind es die typischen Holzchalets, die verschiedenen Kirchen, Kapellen und Bräuche. Ein wichtiges Erbe sind jedoch auch die alten Bewässerungskanäle, die Suonen: Denn diese Walliser Wahrzeichen werden seit Langem gepflegt und sind mit ihrer spektakulären Bauweise die perfekten Begleiterinnen für eine erholsame Wanderung. Ihr geringes Gefälle kommt entspannten Wanderlustigen schliesslich gerade recht.

Pioniere im Steilhang

Ab dem 14. Jahrhundert liessen Gemeinden und Freiherren die Suonen an steilen Hängen und in abgelegenen Seitentälern errichten. Damals stellten nämlich viele Walliser Bäuer*innen ihre Betriebe von Getreideanbau auf Viehwirtschaft um, wofür sie mehr Wasser benötigten. Äcker verschwanden, Weiden entstanden, und es galt, Futtervorräte für die Wintermonate anzulegen. Doch im trockenen Klima der Region war diese Form der intensiven Landwirtschaft nur mit entsprechender Bewässerung möglich. Da die umliegenden Berge als Barriere für viele Wolken von ausserhalb wirken, liegen hier einige der niederschlagsärmsten Orte der Schweiz. Mit Kraft und Geschick schufen die Walliser*innen darum imposante Bauwerke in allen Höhenlagen, um Bäche zu Höfen und Wiesen zu leiten. Die Leitungen im schroffen Felsgebiet einzig mit Schaufeln, Spitzhacken, Holz und Seilen zu realisieren und danach zu unterhalten, war ein gefährliches Unterfangen – es wurde also einiges an Pioniergeist benötigt.

200 Suonen sind übrig

Heute nennt man die Kanäle in den frankofonen Regionen «Bisse», während sich im deutschsprachigen Raum die Begriffe «Suone» oder «Wasserleite» verbreitet haben. Einst führten bis zu 600 davon das begehrte Nass durch die Täler, mittlerweile sind noch 200 Suonen in Betrieb. Die meisten davon sind zwischen fünf und zehn Kilometer lang, den Rekord halten die Leiten von Saxon und Levron mit 28 und 18 Kilometern. Auch rund um Visperterminen erstrecken sich mehrere dieser schönen Kanäle: Dazu gehört die Suone Bodmeri, die an zehn historischen Rosenkranzkapellen entlangführt, sowie die Suone Heido, die sich vom Aussichtspunkt Giw oberhalb des Dorfes aus erreichen lässt. Doch eine besonders lauschige und historische Wanderung führt der 3,3 Kilometer langen Suone Beitra entlang.

Der Beitra-Weg des Wassers

Die Geschichte der Suone Beitra reicht bis ins Jahr 1440 zurück. Sie erstreckt sich zwischen 1300 und 1450 m ü. M., und noch heute lassen sich unterwegs Zeitzeugen wie alte Walliser Stadel und Trockensteinmauern aus vergangenen Tagen bewundern. Die Wasserleitung selbst beeindruckt mit ihrer traditionellen Bautechnik: Mal plätschert das Wasser auf geraden Passagen sachte zwischen Birken, mal springt es wild über moosige Stufen. Mal führt der Kanal mitten durch den Fels, manchmal unter hölzernen Stegen hindurch. Ausserdem vermischt sich das kulturelle Erbe unterwegs immer wieder mit viel Naturschönheit am Wegesrand: Zum einen zeigt sich in der Ferne immer wieder der Gipfel des Weisshorns. Zum anderen wissen in der Nähe auch Blumen, Schmetterlinge und Käfer den Wasserreichtum des Kanals zu schätzen – rundum ist das kühle Nass ja äusserst rar, sodass sich hier eine einzigartige Tier- und Pflanzenwelt heimisch fühlt. Selbst Gämsen nutzen die Suonen gelegentlich als Tränke. Es lohnt sich also auch für Fans von Flora und Fauna, den «Beitra»-Schildern mit grüner Markierung zu folgen.

Weiler Birch als Wendepunkt

Um die insgesamt 5,4 Kilometer lange Rundwanderung mit ihren je 284 Höhenmetern Auf- und Abstieg zu absolvieren, ist eine mittlere Kondition erforderlich. Als Ausgangspunkt bietet sich der Herrenviertelplatz im alten Dorfteil von Visperterminen an. Hierhin bringt einen das Postauto von Visp aus, Autofahrer*innen benötigen für diese Strecke rund 20 Minuten. Vom Zentrum aus wendet man sich nun als erstes zur Dorfkirche, worauf bald die ersten grünen Wegweiser der Suone auftauchen. Die Tour verläuft nun erst in südlicher, dann südöstlicher Richtung. Nach einem kurzen Abstieg und einer Passage an Schafweiden entlang schliessen sich ein Holzsteg mit kleiner Aussichtsplattform und ein moderater Aufstieg an. In der Hälfte der Strecke lädt der Weiler Birch zur Rast. Der zweite Teil der Wanderung führt dann an der ehemaligen Kornkammer des Vispertals entlang zurück ins Dorf.

www.heidadorf.ch

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