Im Garten Eden

Es gibt wohl kaum ein Kloster ohne Klostergarten. Er diente nicht nur der Selbstversorgung, sondern auch als Ort der Heilung, Mystik und Kontemplation, wie dieser Beitrag aufzeigt.


Mit ruhiger Hand füllt Schwester Dorothea die kleinen weissen Döschen mit der minzgrünen Crème, die gegen allerlei Rheumaerkrankungen helfen soll. Verschiedene Kräuter wie zum Beispiel Thymian, Minze, Wacholder, Rosmarin und Lavendel werden für diese Crème nach einem alten, überarbeiteten Rezept des Kapuzinerinnenklosters «Leiden Christi» im appenzellischen Jakobsbad beigemischt. Die Crèmes seien bei der Kundschaft des Klosterladens sehr beliebt, erzählt Schwester Dorothea und zeigt mir in einem Nebenraum das Kräuterlager. Einige der Kräuter stammen aus dem eigenen Klostergarten, doch der Grossteil wird bei spezialisierten Herstellern eingekauft. Der Aufwand für den Anbau und die Ernte, um auf die benötigte Menge zu kommen, wäre zu gross. Zu den Produkten des Klosterladens, der auch einen Online-Shop betreibt, zählt beispielsweise auch das Jakobsbader Stärkungs- und Zellvitalisierungsmittel bei Müdigkeit und Leistungsabfall im Alltag. Das Kloster verfügt über einen weit herum bekannten Laden. Er befindet sich seit 2010 in grosszügigen Räumlichkeiten im Nebengebäude zum Kloster, dem ehemaligen Knechtenhaus. Die Kraft der Naturheilmittel sei – so Schwester Dorothea – die natürliche Ergänzung zur «geistigen» Apotheke der Schwestern mit den Kraftquellen Gottes und der Kirche.



Gartenteam mit drei Schwestern

Ein Ort zum Auftanken ist auch der Klostergarten, den man durch ein schmiedeeisernes Tor betritt. Doch nur ein Teil des grossen Klostergartens ist öffentlich zugänglich. Der Rest bleibt den Ordensfrauen vorbehalten. Der Garten wird mit viel Liebe von den Schwestern Chiara, die als Jugendliche eine Floristinnenlehre absolvierte und in einer Gärtnerei arbeitete, M. Veronika und M. Josefa gepflegt. Beim Spaziergang zwischen den geometrisch angeordneten Beeten hindurch begegnet man allerlei Gemüse und Salaten. Bereits anfangs Februar beginnt die Saat des Salates. Bis tief in den Winter können verschiedene Kohlsorten, Lauch, Randen und andere Wintergemüse geerntet werden. Jahrzehntelang nahm die Selbstversorgung mit Landwirtschaft und eigenem Gemüsegarten einen hohen Stellenwert im Kloster Jakobsbad ein. Heute ist die Landwirtschaft verpachtet, der Gemüsegarten wird weiterhin liebevoll gehegt und gepflegt und einige Rohstoffe für den Klosterladen und die Apotheke daraus gewonnen. Dazu gehören zum Beispiel die Pfefferminze und Zitronenmelisse, die für Tinkturen oder Getränke verwendet werden. Weiter geht es an Beeten voll Ageratum, Korn- und Ringelblumen vorbei, die von den Schwestern für Salben und Tees genutzt werden. Nur als Zierde für den Salat dienen die blauen Borretsch-Blüten. Wichtig für den Kirchenschmuck sind die goldenen Sonnenblumenblüten. «Durch die Sonnenblume reichen wir den Schein Gottes weiter», sagt Schwester Chiara und erklärt, dass die Mitte der Sonnenblume mit ihren nahrhaften Körnern ein Energiespeicher für verschiedenste Lebewesen sei. Zu den weiteren «Bewohnern» des Klostergartens zählen zum Beispiel auch Maiglöckchen, die in der christlichen Symbolik für Maria stehen. Eine knallrote Rose lenkt nun die Blicke auf sich. Als Symbol der Liebe blüht sie in mehreren Arten und Farbtönen, ebenso wie die Apfelbäume. Im Frühling werden sie ausgelichtet, damit das Licht in die Mitte kommen kann – auch in die Mitte der Menschen.


Werden und Wachsen

Der Heilige Benedikt legte in seinem Regelwerk vieles im Leben seiner Glaubensbrüder fest – auch was den Klostergarten betrifft. So schreibt er im Kapitel 65: «Das Kloster soll, wenn möglich, so angelegt werden, dass sich alles Notwendige, nämlich Wasser, Mühle und Garten, innerhalb des Klosters befindet und die verschiedenen Arten des Handwerks dort ausgeübt werden können. So brauchen die Mönche nicht draussen herumzulaufen, denn das ist für sie überhaupt nicht gut.» Die von Benedikt geforderte Beständigkeit des Mönchs ist die Grundbedingung für das Werden und Wachsen eines Gartens, seiner Pflanzenwelt im Speziellen und für die Entwicklung der Gartenkultur im Allgemeinen, schreibt Peter Paul Stöckli in seinem Kunstführer «Die Gärten des Klosters Muri». Der Landschaftsarchitekt beschäftigt sich beruflich seit über 50 Jahren mit historischen Gärten und Anlagen und dabei auch mit den Gärten mehrerer Klöster (siehe auch Interview).

Barockes Bauwerk mit nationaler Bedeutung

Nun blüht es wieder in den Gärten des Klosters Muri. Und das Wasser plätschert aus dem 2008 wiederhergestellten Martinsbrunnen mit der Figur von Martin von Tour, dem Klosterpatron von Muri. Insgesamt vier Gärten prägen diese Klosteranlage. Das im Jahre 1027 von den Habsburgern gestiftete und vom Mutterkloster Einsiedeln gegründete Kloster Muri gehört zu den wichtigsten barocken Klosteranlagen der Schweiz. Der Klosterhof ist die Eingangspforte für die Besuchenden. Von hier aus erreicht man den Konventgarten und den grossen Küchengarten. Früher befanden sich hier auch die zwei ehemaligen Apothekergärten, die jedoch im Zuge der politisch initiieren Klosteraufhebung 1841 verschwanden. «Der Konventgarten diente der stillen Erholung, der Kontemplation, dem Gebet, dem Gespräch, der Naturbetrachtung und der gärtnerischen Arbeit», erklärt Peter Paul Stöckli. Der neben dem Klosterhof liegende Konventgarten übernimmt in seiner heutigen Gestaltung die ursprüngliche Gliederung in drei etwa gleich grosse Gartenteile, ausgerichtet auf die Sichtachsen der Klostergebäude. Die Beete wurden im barocken Stil bepflanzt mit Gehölzen, Buchsstauden und Zwiebelpflanzen, die jedoch herrlich zu blühen beginnen. Mit Ausnahme des Fürstengartens – des heutigen Pflegiparkes – wurden alle Gärten zwischen 1996 und 2004 durch das Wettinger Büro SKK Landschaftsarchitekten AG neu, aber im Geiste und in den Grundzügen der nach 1841 zerstörten Vorgängergärten gestaltet.


Fürstengarten für den Abt

Aufgrund seiner herausgehobenen Stellung des Abtes im Benediktinerorden erhielt dieses demokratisch gewählte Klosteroberhaupt einen eigenen Garten – den Fürstengarten. «Hier empfing der Abt seine Gäste, führte mit ihnen Gespräche und speiste mit ihnen», berichtet Peter Paul Stöckli. Im Zusammenhang mit der Restaurierung des Ostflügels wurde 1987 mit einer freien Rekonstruktion eine Erinnerung an den durch die Klosterauflösung verlorenen Fürstengarten in Form einer barocken Gartenterrasse geschaffen. Im Zentrum befindet sich ein Wasserbecken – ein Attribut, das den Abtgarten über viele Jahrhunderte schmückte. Wie Peter Paul Stöckli informiert, gehörte einst auch eine Orangerie mit exotischen Pflanzen zum Abt- bzw. Fürstengarten. Die Orangerie fiel dem Neubau des Klosters von 1789 bis 1798 zum Opfer. Im Ostbereich des Klosters liegt der grosse Küchengarten. Er ist symmetrisch aufgebaut. Die Gartenbeete und Wege sind auf ein Zentrum hin ausgerichtet. Der klösterliche Küchengarten dient heute – wie alle anderen Gärten auch – den Bewohnerinnen und Bewohnern des im Klostergebäude integrierten Pflegeheims als Arbeits- und Erholungsort. Hier gedeihen Gemüse und Beeren. Als ein mystischer Ort präsentiert sich der Kreuzganggarten des Klosters: «Er ist kein Innen-, sondern ein Freiraum», sagt Peter Paul Stöckli. Um diesen nach oben, dem Himmel zugewandten Raum ist das ganze Kloster angeordnet. Im Vergleich zu anderen Klöstern ist der Kreuzganggarten von Muri klein. Heute nimmt die kreuzförmige Gliederung mit vier Rahmen aus niederen Buchshecken und einem kreisrunden Beet im Zentrum Bezug auf die Gartenausgänge des Kreuzganges.


www.klosterleidenchristi.ch

www.klosterapotheke.ch

www.klostermuri.ch


«Der Klostergarten repräsentiert sozusagen das Paradies»

Paul Peter Stöckli setzt sich als Landschaftsarchitekt und Fachexperte für Gartendenkmalpflege seit einem halben Jahrhundert für den Schutz und die Pflege von historischen Gärten als wichtiges Kulturgut ein – so auch im Kloster Muri. Wir haben uns mit ihm über die Faszination von Klostergärten unterhalten.


Sie beschäftigen sich schon seit Längerem mit Klostergärten. Was fasziniert Sie daran?

Peter Paul Stöckli: Ich beschäftige mich praktisch und theoretisch mit dem Kulturgut der historischen Gärten und Anlagen. Dazu gehören sicher die Gärten der Klöster, denn sie sind es, die die Gartenkunst der Antike in die Neuzeit übertragen haben. Die Gärten sind immer Ausdruck der gesellschaftlichen und persönlichen Verhältnisse der Gartenbesitzer, aber auch des Kenntnisstandes und des Zeitgeschmacks. Gerade in einem Klostergarten wie Muri hat sich ein fast tausendjähriger Erfahrungsschatz angesammelt.


Wodurch zeichnen sich Klostergärten aus?

Es gibt nicht den klassischen Klostergarten. Zudem verfügen viele Klöster über mehrere Gärten innerhalb ihres Bezirks. Meist allen Klöstern gemein ist der Kreuzgarten. Er ist das Herz des Klosters und auf allen vier Seiten vom Gebäude umschlossen, aber nach oben offen. Der Kreuzgarten ist in der Regel der älteste Garten der Anlage und diente zur Kontemplation. In vielen Klöstern findet man zudem einen Konventgarten als Erholungsort, einen Apothekergarten mit Heilkräutern, einen Küchengarten sowie – wie in Muri – einen Abtgarten mit repräsentativen Aufgaben. Die meist orthogonale Struktur der Gartengestaltung sowie der Bezug zu den umliegenden Gebäuden darf man in den meisten Fällen als weitere Gemeinsamkeit von Klostergärten bezeichnen.

Der Klosterplan St. Gallen spielte bei der Planung von Klostergärten eine zentrale Rolle. Weshalb?

Dieser Plan gilt als Ursprung für die Planung solcher Gärten und ist mit über 800 Jahren einer der ältesten seiner Art. Er beinhaltet die Bereiche Essen, Heilen, Erholung und Kontemplation.


Dem Klostergarten kommt ja auch eine spirituelle bzw. religiöse Bedeutung zu?

Der Klostergarten repräsentiert sozusagen das Paradies, den Garten Eden auf Erden. Er fördert die geistige Versenkung und das Gebet. Die Hinwendung zur Natur und zu den Pflanzen ist in diesem Sinne ein geistliches Werk.


Wer war für den Unterhalt der Klostergärten verantwortlich – die Klosterbrüder und -frauen?

Am Anfang schon. Später dann wurden eigene Gärtner angestellt. Nach der Aufhebung der Klöster machten sich die Klostergärtner nicht selten selbständig, schliesslich waren sie die einzigen, die diesen anspruchsvollen Beruf wirklich beherrschten. So wurden durch die Gärten und Gärtner der Klöster die Hortikultur entwickelt, und manche Pflanze, die sich in den Bauerngärten der Umgebung fand, hatte ihren Ursprung in einem Klostergarten.


Interview: Fabrice Müller

www.skk.ch


St. Galler Klosterplan


Der St. Galler Klosterplan ist die früheste Darstellung eines Klosterbezirks aus dem Mittelalter und zeigt die ideale Gestaltung einer Klosteranlage zur Karolingerzeit. Er ist an den Abt Gozbert vom Kloster St. Gallen adressiert, entstand vermutlich zwischen 819 und 826 im Kloster Reichenau unter dem Abt Haito und ist im Besitz der Stiftsbibliothek St. Gallen. Er wird dort unter der Bezeichnung Codex 1092 aufbewahrt. Der Klosterplan mit seinen 52 Gebäuden besteht aus fünf zusammengenähten Pergamentblättern (112 cm mal 77,5 cm). Der St. Galler Klosterplan ist der einzige Bauplan, der aus dem frühen Mittelalter erhalten ist. Die Bedeutung des Planes erschliesst sich schnell bei genauerer Betrachtung des Plans. Dargestellt werden etwa 50 Gebäude in ihrer Lage, ihrer Grösse und ihrer Funktion. In nicht wenigen Gebäuden finden wir Darstellungen von der Inneneinrichtung, Betten, Tischen und vielem mehr. Damit liefert er eine Beschreibung eines Klosters mit den Bedürfnissen seiner Einwohner. Der Zeichner des Plans stellte die Anordnung der Gebäude dar, wie es ihm für ein grösseres Kloster nach der Regel des heiligen Benedikts ideal erschien. Und eben auch die verschiedenen Gärten. Das sind der Arzneimittelgarten, der mit dem Friedhof kombinierte Obstgarten und der Gemüsegarten. sam •

1 Arzneikräutergarten

2 Obstgarten und Friedhof

3 Gemüsegarten



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