Grüne Lunge im Wandel der Zeit

Der Schweizer Wald weist europaweit die höchste Dichte an Bäumen auf. Fast ein Drittel des Landes ist mit Wald bedeckt. Das war nicht immer so. In früheren Jahrhunderten litten viele Wälder unter einer intensiven Nutzung. Heute setzen ihnen der Klimawandel und Baumkrankheiten zu.

Fabrice Müller



Über 130 Baum- und Straucharten sind im Schweizer Wald heimisch. «Schweizer Wälder sind äusserst vielfältig», sagt Dominik Brantschen, wissenschaftlicher Mitarbeiter von WaldSchweiz, dem Verband der Waldeigentümer. Vom feuchten Auenwald über klassische Buchenhaine bis hin zu alpinen Nadelwäldern findet sich alles. Auf einer Waldfläche von einer Hektare wachsen im Schnitt 350 Kubikmeter Bäume. Diese Dichte ist, so Dominik Brantschen, europaweit am höchsten. Zu den drei häufigsten Bäumen in den hiesigen Wäldern zählen die Fichte (Rottanne), Buche und Weisstanne. Mit fast 1,3 Millionen Hektaren bedeckt die Waldfläche etwa einen Drittel der Landesfläche der Schweiz (siehe auch Info-Box).


Forstpolizeigesetz brachte die Wende
Das war jedoch nicht immer so: In prähistorischer Zeit war der Wald im Gebiet der Schweiz nicht eine Landschaftsform unter anderen, sondern der naturräumliche Urzustand, wie im Historischen Lexikon der Schweiz (HLS) zu erfahren ist. Mit der Sesshaftwerdung begann der Mensch, Siedlungs- und Kulturland auf Kosten des Waldes zu gewinnen. Durch intensive Nutzung für Rohstoffbeschaffung und Weidgang wurde der Wald immer mehr zu einem Teil des agrarischen Lebens- und Produktionsraumes. Bis zur Einfuhr von Kohle und später Erdöl war Holz der Energieträger Nummer 1.

Nach 1800 prägten eine starke Waldnutzung den Zustand der Wälder. Durch die Abholzung zur Holzgewinnung ohne Wiederbewaldung und durch die nachfolgende landwirtschaftliche Nutzung nahm die Waldfläche in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ab. Mit dem ersten Forstpolizeigesetz, das 1876 in Kraft getreten war, wurde die bis dato intensive und unkontrollierte Nutzung des Waldes gebremst. Das revolutionär Neue am Forstpolizeigesetz von 1876 war, so Dominik Brantschen, sein Grundsatz der Nachhaltigkeit: Die Erkenntnis, dass jede Generation Anrecht auf die gleichen Ertragsmöglichkeiten haben soll, dass immer nur die Zinsen – das nachwachsende Holz – genutzt werden dürfen, dass das Kapital – der Holzvorrat – aber unangetastet bleiben soll. Das Forstpolizeigesetz von 1876 war und ist internationales Vorbild. Nach dem starken Wirtschaftswachstum in der Nachkriegszeit trat die ökologische und freizeitliche Bedeutung des Waldes in den Vordergrund.


Naturnahes Ökosystem
Der Wald spielt eine wichtige Rolle für die Biodiversität: Etwa 40 Prozent der Pflanzen, Tiere und Pilze sind laut Bundesamt für Umwelt (BAFU) in der einen oder anderen Form auf den Lebensraum Wald angewiesen. 25 000 Pflanzen- und Pilzarten leben in den Schweizer Wäldern. Der Schweizer Wald ist dank naturnaher Bewirtschaftung grösstenteils ein relativ naturnahes Ökosystem. Die Bodenkundlichen Gesellschaften der Schweiz und Deutschland haben deshalb den Waldboden 2024 zum «Boden des Jahres» erkoren.

Laut einer WSL-Studie über die Bedeutung der Waldböden und ihrer standörtlichen Vielfalt für die Klimaregulation versorgen Waldböden die Pflanzen mit Wasser und Nährstoffen für ihr Wachstum, tragen zu sauberem Trinkwasser bei, sind Lebensraum für zahlreiche Organismen und regulieren die Stoffflüsse von Wasser, Kohlenstoff und Nährstoffen. Nicht zuletzt leisten sie einen wichtigen Beitrag zum Hochwasserschutz.


«Der Wald spielt eine wichtige Rolle für die Biodiversität.» 



Einfluss der Globalisierung
Einen wesentlichen Einfluss auf die Art und den Zustand der Wälder hat der Mensch. Die Römer*innen etwa importierten Bäume wie Kastanien oder Nussbäume aus dem Mittelmeerraum. Vor dem ersten Forstgesetz von 1876, als der Wald besonders intensiv genutzt und nicht konsequent aufgeforstet wurde, präsentierten sich die Wälder oft lichtdurchflutet und alles andere als dicht. Dies hatte einen Einfluss auf den Baumarten-Mix: Lärchenwälder, wie man sie etwa im Wallis antrifft, brauchen viel Licht zum Wachsen. Je dichter der Wald wurde, umso mehr setzte sich dort beispielsweise die Fichte durch.

Ein anderes Beispiel sind Buchen in ehemaligen Eichenmittelwäldern: Diese benötigen weniger Licht und Raum zum Wachsen, als Lärchen oder Eichen, wie Dominik Brantschen begründet. Mit der Globalisierung habe sich die Baumvielfalt zusätzlich erhöht, indem sich nicht immer erwünschte Neophyten wie etwa Robinie, Götterbaum oder Hanfpalme, die oft aus Gärten stammen, in den Wäldern breit machen. Andere Baumarten hingegen sind stark zurückgegangen: Die Ulmen werden seit den 1970er-Jahren wegen eines aus Asien stammenden Pilzes stark zurückgedrängt; und seit 2008 leiden die Eschen am Eschentriebsterben, ausgelöst durch den aggressiven Pilz Hymenoscyphus pseudoalbidus aus Ostasien.


«Die Diversität der Bewirtschaftungs- formen in der Schweiz ist eine grosse Chance im Kampf gegen den Klimawandel.»



Folgen des Klimawandels
Die Klimaveränderungen sind laut Niklaus E. Zimmermann von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL eine weitere Belastung für die Wälder. «Die meisten Baumarten können mit Klimavariabilität umgehen. Extreme haben vor allem dann eine starke Wirkung, wenn sie die physiologische Toleranz einer Baumart beeinflussen.» Der fortschreitende Klimawandel verstärke das Risiko, dass Bäume diesen zunehmenden (Trocken-)Extremen nicht mehr gewachsen sind. Für die Schweiz bedeute dies längerfristig: Arten verschieben sich in höhere Lagen; sie verschwinden lokal und breiten sich in Regionen aus, die neu geeignet sind. Dominik Brantschen erinnert an das Jahr 2018, als aufgrund der hohen Trockenheit beispielsweise in der Region Basel und in der Ajoie ganze Buchenwälder vertrockneten. Angesichts des Klimawandels stehen, so Dominik Brantschen, die drei in der Schweiz häufigsten Baumarten Fichte, Buche und an gewissen Standorten auch die Tanne besonders in tiefen Lagen auf der Verliererseite. Auch der Kastanie auf der Alpensüdseite fällt es schwer, mit dem aktuellen Klimawandel wie auch mit eingeschleppten Arten umzugehen.

Dagegen weisen die Eiche, Linde, Mehlbeere und Douglasie eine bessere Habitateignung auf. Resistenter gegen die Folgen des Klimawandels wie auch gegen andere Einflüsse sind laut Dominik Brantschen strukturreiche Wälder wie etwa die sogenannten Plenterwälder. Es handelt sich dabei um bewirtschaftete Hochwälder. Im sich stetig verjüngenden Dauerwald, in dem Bäume aller Dimensionen kleinstflächig bis einzelstammweise vermischt sind, herrsche ein besseres Gleichgewicht unter den Baumgenerationen, was die Wiederbewaldung nach Störungen vereinfache. Schlussendlich sei aber laut Dominik Brantschen gerade die Diversität der Bewirtschaftungsformen in der Schweiz eine grosse Chance im Kampf gegen den Klimawandel.

Wald- und Wytweiden sind mit Gehölzen durchsetzte Weiden auf futterbaulich und forstwirtschaftlich genutzten Flächen. Sie sind typisch für die Jurahöhen, kommen aber auch in anderen Bergregionen vor.


5,2 Millionen Kubikmeter im Jahr 2022
Bis Mitte der 1950er- und 1960er-Jahre wurde der Wald vor allem als Holzlieferant für Bau- und Brennstoff sowie für die Köhlereien genutzt. Mit dem Aufkommen der fossilen Brennstoffe nahm der Druck auf den Wald als Brennholzlieferant ab.

Seit Ende des 20. Jahrhunderts stand immer mehr, auch aufgrund des Waldsterbens, die Aufgabe als Schutzwald im Zentrum. Die Schweizer Holzernte belief sich 2022 auf 5,2 Millionen Kubikmeter – ein Plus von vier Prozent im Vergleich zu 2021, wie aus dem Jahrbuch Wald und Holz, herausgegeben vom Bundesamt für Umwelt (BAFU), zu erfahren ist. Nach wie vor wird in der Schweiz aber deutlich weniger Holz genutzt, als wieder nachwächst. Die Energiekrise, die Nachfrage nach Bauholz und die dadurch steigenden Verkaufspreise für Holz haben die Holzernte laut dem Jahrbuch auch für private Waldbesitzer*innen wieder wirtschaftlich interessant gemacht. Trotzdem sind Kahlschläge, wie man sie zum Beispiel aus Nordamerika kennt, in der Schweiz gesetzlich verboten. Wenn Lücken in den Wald geschlagen werden, dann, so Dominik Brantschen, immer auch mit dem Ziel, Platz für andere, klimatauglichere Baumarten zu schaffen.


Schweizer Wald in Zahlen
In der Schweiz sind 31 Prozent der Fläche bewaldet. Gemäss der Schweizerischen Forststatistik betrug die Bewaldung 2022 im Jura 48, im Mittelland 23, in den Voralpen 37, in den Alpen 24 und auf der Alpensüdseite 50  Prozent. Gemäss der Schweizer Forst­statistik umfasst die von den Kantonen erhobene Waldfläche 1 272 527 Hektaren. Das entspricht einer Flächenzunahme gegenüber 2021 von insgesamt 1931 Hektaren. 18 Prozent der gesamten Waldfläche entfallen auf den Jura, ebenfalls 18 Prozent liegen im Mittelland, 19 Prozent in den Voralpen, 31 Prozent in den Alpen, und die Alpensüdseite weist einen Anteil von 14 Prozent auf. Knapp 901 000  Hektaren bzw. 71 Prozent der Schweizer Wälder sind im Eigentum der öffentlichen Hand. Die privaten Eigentümer*innen besitzen 372  000  Hektaren oder 29  Prozent der Waldfläche.

Quelle: Jahrbuch Wald und Holz, herausgegeben vom Bundesamt für Umwelt (BAFU)

www.bafu.admin.ch


Testpflanzungen für die Forschung
Wie wird der Schweizer Wald in Zukunft aussehen? Kantonale Forstdienste, Forstbetriebe, Baumschulen und Forschende der WSL haben zwischen Herbst 2020 und Frühjahr 2023 ein Netzwerk von 57 Testpflanzungen zukunftsfähiger Baumarten in der ganzen Schweiz geschaffen.

Mehr als 55  000 Bäumchen werden über mehrere Jahrzehnte beobachtet und liefern Informationen zur Eignung der Baumarten im Klimawandel. Das Testpflanzungsnetzwerk ist eine einzigartige Infrastruktur für Forschung und Praxis und liefert wichtige Daten für neue Ideen und Projekte.

www.waldschweiz.ch
www.wsl.ch

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