Die Mittelmeer-Insel Elba lässt sich aus der Schweiz auf dem Land- und Seeweg erreichen. Vor Ort warten Naturerlebnisse zu Land und zu Wasser, kulinarische Höhenflüge und italienisches Dolce Vita.
Anita Suter
Der Oktopus scheint wenig begeistert ob unserer Gegenwart. Hockt da in seiner Unterwasserhöhle, glotzt uns mit grossen Augen an, und lässt – vielleicht mit der Absicht bedrohlich zu wirken – die Muskeln in seinen Tentakeln spielen. Das intelligente Tier ist wohl genauso verblüfft wie wir, dass wir es in seinem gut getarnten Habitat mitten in einer Felswand entdeckt haben. Seinen Unmut über unsere Anwesenheit bekräftigt es mit einem zunehmenden Farbwechsel. Wir haben den Wink verstanden und setzen unseren Tauchgang im Süden der Insel Elba fort.
Barrakudas, Seesterne und ein grosser Zackenbarsch
Zweitweise schweben wir über eindrückliche Felsformationen hinweg. Dann gleiten wir tief abfallenden Wänden entlang. Oder wir tauchen ganze nah an Unterwasserpflanzen heran, um auch die kleinsten unter den Meerestieren ausfindig zu machen. Nach nur drei Tauchgängen gibt es im Logbuch nebst dem skeptischen Oktopus auch Barrakudas, Mittelmeermuränen, Seesterne, einen riesigen Zackenbarsch und mehrere farbenfrohe Nacktschnecken zu notieren. Ein besonders hübsches, gelbes Exemplar hat Flavio Crivellaro auf dem Meeresboden, gleich neben einem Büschel Neptungras ausgemacht. Der arrivierte Tauch-Guide gerät ob der im Wasser um Elba herrschenden Vielfalt an Flora und Fauna auch nach Jahren noch ins Schwärmen. Besonders angetan haben es ihm die roten Gorgonien, fächerartige Weichkorallen, die zusammen mit den gelben Krustenanemonen für Farbtupfer sorgen.
«Wer die Insel liebt, wird sie nach dem Entdecken der Unterwasserwelt noch viel mehr lieben» sagt der erfahrene Tauchinstruktor. Elba habe ihn mit ihrer Natur und ihren Menschen vom ersten Moment an in ihren Bann gezogen. Darum sei er vor 12 Jahren, als er hierher kam, auch geblieben. Mittlerweile besitzt der gebürtige Turiner in Lacona sein eigenes Unternehmen, mit dem er nebst Tauchgängen auch Boots- und Schnorchelausflüge anbietet. Unbekannt ist Elba als Tauchdestination nicht. Mittlerweile gibt es um die 20 Tauchbasen, die Ausflüge an rund 40 Tauchspots um die Insel und im toskanischen Archipel anbieten.
Camping-Beiz für Gourmets
Den Oktopus möge er lieber auf dem Teller, lacht Gabriele Rotellini. Und dafür braucht der Elbaner gar nicht weit zu gehen: serviert wird der «Polpo» vom Grill mit geräucherter Burrata auf dem kleinen Campingplatz Valle Santa Maria, den er zusammen mit seinen Eltern und der Schwester führt. Auch in Form von Penne mit gelben Datteltomaten oder als Gericht mit Kartoffeln steht der Tintenfisch heute im Bistro Miramar auf der Karte. Die Abwehrhaltung unseres Oktopusfreundes vom Capo Stella war also gar nicht so unberechtigt: auf Elba wird viel und gerne gegessen, was aus dem Meer gezogen wird. So eben auch in dieser Camping-Beiz, die angesichts ihrer Menüauswahl – und der spektakulären Lage direkt am Sandstrand der Bucht von Lacona – so viel mehr ist als das.
Geheimtipp «La Finca»
Auf einer kleinen Anhöhe nur ein paar Fahrminuten vom Campingplatz Valle Santa Maria haben sich Mary und Luigi auf einem Stück Land an kleines Paradies erschaffen. Hier gackern die Hühner, schnattern die Gänse, und ab und zu rennt sogar ein Hase über die Wiese, während sich Luigi um das Feuer für das «Bistecca alla fiorentina» kümmert. Sohn Roberto reicht derweil die Getränke aus dem blauen, zur Bar umfunktionierten Wohnwagen und Mary serviert die liebevoll assortierte Apero-Häppchen. Vom gebackenen Salbeiblatt, Käse mit Honig (von den eigenen Bienen) über köstlichen Tintenfisch bis zum Erdbeer-Dessert – ein Essen unter freiem Sternenhimmel bei Mary und Luigi ist ein Traum. Was selbst angebaut werden kann, landet auf dem Teller. Oder im Glas, so wie der Limoncello zum Schluss. Fisch und Fleisch stammt von Lieferanten ihres Vertrauens. Maximal 20 Personen finden an der langen Freiluft-Tafel Platz. Reservation ist Pflicht – und zwar ganz analog, per Telefon (+39 340 862 22 86).
Pinsa und Geissenmilchgelato im «Dieci Lire»
Auch im Landesinnern wimmelt es auf Elba nur so von Restaurants, von einfach bis gediegen. Einen schmackhafen Mittelweg hat das Dieci Lire, Enoteca & PizzaLab gefunden – wortwörtlich, stehen die beiden schmucken Gebäude der Gaststätte doch auf gegenüberliegenden Strassenseiten im kleinen Ort La Pila. Im Mittelpunkt des Geschehens steht die Pinsa – Pizza neu interpretiert. Dem Hörensagen nach hat Gastgeber Lorenzo Baldetti damit die besten Pizzen der ganzen Insel geschaffen.
Inspirieren liess er sich in Süditalien. Mehr Wasser, längeres gehen lassen, Verzicht auf tierische Fette und ein zweifaches Backen unterscheiden seinen Teig vom klassischen Pizzateig. Und machen das Endprodukt, belegt mit Kombinationen wie Burrata, Sardellen und Ruccola, oder Mascarpone und Madagaskarpfeffer nicht nur zum Gaumenschmaus, sondern auch leichter verdaulich – und lassen Raum für Dessert. Zum Glück! Denn das anschliessende Geissenmilch-Gelato mit Honig vergeht schneller auf der Zunge als einem lieb ist. Dass die Inseleigenen Geissen und Bienen für die Produktion der Zutaten verantwortlich sind, rundet den kulinarischen Höhenflug ab.
Anreise im Zug, Inselerkundung auf Rädern – und zu Fuss
Während die Anreise aus der Schweiz mit Zug und Fähre durchaus machbar ist – Sitzfleisch und etwas Glück bei den Anschlüssen vorausgesetzt – wird spätestens auf der Insel selbst ein Auto von Nöten. Riesig ist das Eiland mit seinen 30km Länge und fünf bis 18km Breite zwar nicht. Aber ganz schön hügelig, und ohne nennenswerte ÖV-Infrastruktur. Die dramatischen Aussichten machen den Weg von einem Ort zum nächsten zudem zum Ziel, vor allem wenn es über Anhöhen geht. Diese lassen sich auch hervorragend bewandern.
Auf der Grande Traversata quer über die Insel
Ambitionierte nehmen dazu die Grande Traversata Elbana unter die Füsse. Rund 17 Stunden Gehzeit sollten für die anspruchsvolle Inseldurchquerung vom äussersten Nordostzipfel bis zur Westküste eingeplant werden. Die GTE, wie die Langstreckenwanderung gerne abgekürzt wird, lässt sich wunderbar in mehrere Etappen unterteilen. Der Weg erstreckt sicher über Hügel und Berge durch verschiedene Ökosysteme, und eröffnet dabei immer wieder herrliche Panoramen; dazu gehört auch der Ausblick auf Korsika und andere toskanische Inseln sowie das italienische Festland. Weil der Weg grösstenteils durch Nationalparkgebiet verläuft, darf meist nicht campiert werden. Umwege zu nahegelegenen Ortschaften zwecks Übernachtungen müssen also in Kauf genommen werden – sind aber gleichzeitig Teil des Erlebnisses.
Apéro mit Aussicht
Das Hügelland geniessen kann auch wer keine Lust zu wandern hat. Zum Beispiel auf einer kleiner Spritztour am Nachmittag. Ein Zwischenstopp empfiehlt sich bei der Acquarilli Bar, die in den warmen Monaten auf einer Anhöhe zwischen Lacona und Capoliveri an der Strasse auf einem Felsvorsprung zu finden ist. Aus einem alten Wohnmobilanhänger heraus werden Spritz und Fruchtsäfte gereicht, an denen es sich insbesondere in den Stunden vor Sonnenuntergang auf verstreuten Holzstühlen und Palettensofas ganz unprätentiös, aber wahnsinnig stimmungsvoll schlürfen lässt. Allzu tief ins Glas schauen sollte dabei zumindest der Fahrer nicht. Denn die Wildschweine werden hier nicht nur aus den Lautsprechern von Cantautore Mannarino inbrünstig als «bellisimo cinghiale» besungen. Sie treiben sich auch in vivo gerne an den Strassenrändern herum. Und verlangen gerade in den Abendstunden die volle Aufmerksamkeit des Lenkers.
Flanieren in Marciano Marina
In Marciano Marina, einem beschaulichen Küstenort im Norden der Insel, begegnen wir unserem Oktopus wieder. Als Kettenanhänger und in Form von Ohrringen in den niedlichen Schmuckläden, und als Sujet auf Tassen und T-Shirts in den kleinen Boutiquen. Der Ort lädt mit seinen Pflastersteingässchen und pastellfarbenen Gebäuden zum Flanieren. Einen Zwischenhalt einlegen sollte man in der Gelateria La Svolta, wo wenn immer möglich regionale Zutaten zu schmackhaften Sorten wie Goldapfel-Ingwer oder Schoggi-Peperoncino verarbeitet werden – und zu einem Grossteil auch für Gluten- und Laktoseallergiker geeignet sind. Vertilgen lässt sich das kalte Glück am besten an der Uferpromenade, nur ein paar Schritte entfernt. Mit Blick aufs dunkelblaue Meer und dem Wissen, dass die wilde Schönheit dieser Insel unter der Wasseroberfläche noch viel weiter geht.
Anreise
Hinkommen: mit Auto/Zug, Fähre ab Piombino Marittima, oder alternativ Flug Zürich-Pisa mit Edelweiss, anschl. mit Auto/Zug und Fähre.
Unterkunft in Lacona: Camping Valle Santa Maria www.vsmaria.it/de; Stile Libero B&B www.stileliberobnb.it
Tauchen: Baiarda Dive Boat Excursions www.baiardaexcursions.it