Die Linde ist (auch) der Baum der Liebe

Lindenbäume können ein unglaubliches Alter erreichen. Es gibt einige Exemplare, die man auf über 1000 Jahre schätzt. Solche Bäume faszinieren auch deshalb, weil sie innen meist hohl und morsch sind und trotzdem noch voller Lebenskraft grünen. Kein Wunder, dass man sie früher als heilig ansah.

Silvana Hassler


I
n allen europäischen Kulturen war die Linde einer Liebes- und Fruchtbarkeitsgöttin geweiht. Die German*innen verehrten dort die Göttin Freya. Deshalb war der Freitag (= Freyas Tag) früher ein Glückstag, an dem man gerne Hochzeit hielt. Nicht selten tat man dies dann unter der Dorflinde. Auch in der Poesie wurde der Lindenbaum immer wieder besungen und beschrieben. Hier ein Zitat von Rainer Maria Rilke (1875–1926): «Ich bin zuhause zwischen Tag und Traum und die Linde ist mein Lieblingsbaum; und alle Sommer, welche in ihr schweigen, rühren sich wieder in den tausend Zweigen und wachen wieder zwischen Tag und Traum.»

Die Blüte ist sicherlich – abgesehen von der freundlichen, schattenspendenden Laubkrone – etwas ganz besonders Wertvolles an der Linde. Und das nicht nur für uns Menschen. Bis eine Linde erstmals blüht, dauert es allerdings viele Jahre.

Die Lindenblüte ist im Phänologischen Kalender dem Hochsommer zugeordnet. Ein grosser Lindenbaum kann bis zu 60 000 nektar- und pollenreiche Blüten ausbilden. Diese sind mit ihrem lieblichen Duft das Markenzeichen der Linde. Es ist also nicht verwunderlich, dass dort während der Blütezeit unglaublich viele Bienen und Hummeln unterwegs sind. Die Luft ist dann vom Summen tausender Bienen erfüllt.


Bild links: Die hier blühende Winterlinde bildet neben den Blüten auch runde, weiche Früchte.
Bild rechts: Die hier blühende Winterlinde bildet neben den Blüten auch runde, weiche Früchte.

Welche Arten der Linde finden wir bei uns vor?

Weltweit gibt es etwa 45 Lindenarten. Bei uns sind allerdings nur zwei Arten heimisch: die Sommerlinde (Tilia platyphyllos) und die Winterlinde (Tilia cordata). Zwei weitere Arten pflanzt man in unseren Städten als Strassenbäume, da sie sehr widerstandsfähig gegenüber Abgasen und Streusalz sind: die Holländische Linde (Tilia x vulgaris), eine Kreuzung zwischen Sommer- und Winterlinde, und die südosteuropäische Silberlinde (Tilia tomentosa).


Wie kann man die Linden unterscheiden?

Sommerlinde und Winterlinde lassen sich am besten anhand der herzförmigen Blätter unterscheiden. Die grossen Blätter der Sommerlinde sind sowohl am Blattstiel als auch an den Blättern feinflaumig behaart. Die kleinblättrige Winterlinde hingegen weist nur unterseits an den Blattadern Härchen auf. Die Sommerlinde hat an der Blattunterseite in den sogenannten Nervenachseln weissliche Achselbärte (Härchen), während die Winterlinde dort rostbraune Haarbüschel vorweist. Die nichtheimische Silberlinde unterscheidet sich durch eine silbrig glänzende, dichtfilzige Behaarung auf der Blattunterseite, was sich auch im Namen niedergeschlagen hat. Der Blütenstand der Sommerlinde ist meist nur mit zwei bis fünf Blüten besetzt. Die Winterlinde hingegen trägt fünf bis zwölf Blüten je Blütenstand. Die Sommerlinde blüht in manchen Regionen schon Anfang Juni und die Winterlinde kommt erst zwei Wochen später zur Blüte. Noch später, meist erst ab Mitte Juli, blüht die Silberlinde.

Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal der Linden findet man bei den Früchten, den sogenannten Nüsschen: Die dünnwandigen, kugeligen Nussfrüchte der Winterlinde sind leicht zwischen den Fingern zerdrückbar. Dagegen sind die dickwandigen, deutlich gerippten Nussfrüchte der Sommerlinde steinhart.


Lindenblüten in der Heilkunde

Erstaunlicherweise waren die heutigen Anwendungen der Lindenblüte den antiken und mittelalterlichen Heilkundigen unbekannt. In der damaligen Volksmedizin standen andere Verwendungen im Vordergrund, wobei vor allem Blätter, Lindenbast und Lindenkohle zum Einsatz kamen. Hildegard von Bingen empfahl zum Beispiel frische Lindenblätter als Augenauflage, damit diese «klar und rein» werden. Gegen Herzbeschwerden verordnete sie pulverisierte Lindenwurzel. Erst ab dem 18. Jahrhundert traten die heilsamen Lindenblüten in den Vordergrund. Sie enthalten ätherisches Öl, Schleimstoffe, Gerbstoffe, Phenolcarbonsäuren und viele Flavonoide. Auf diesen Wirkstoffen beruht die schweisstreibende, abwehrsteigernde, beruhigende und reizlindernde Wirkung. Somit eignet sich Lindenblütentee, am besten mit Honig gesüsst, wunderbar bei Erkältungen und Reizhusten. Vor allem bei Beginn einer Erkältung kann man durch die schweisstreibende Wirkung die Krankheit förmlich «herausschwitzen». Die zahlreich enthaltenen Schleimstoffe sind ideal zur Linderung des Hustenreizes, und auch bei Halsschmerzen legen sie sich lindernd auf die gereizten Schleimhäute.

In der Volksmedizin empfiehlt man den Lindenblütentee bei Nervosität, innerer Unruhe und als sanfte Einschlafhilfe. Nehmen Sie für eine grosse Tasse zwei Teelöffel Lindenblüten und übergiessen Sie diese mit heissem Wasser. Zehn Minuten ziehen lassen.


Verwendung der Linde in der Küche

Die Linde ist nicht nur als Heilpflanze, sondern auch als essbare Pflanze interessant. Die jungen, zarten Lindenblätter eignen sich wunderbar für Salate, Suppen oder grüne Smoothies. Sie werden im Frühjahr, um den April und Mai herum, gesammelt, wenn sie noch ganz weich sind. Es gibt nur wenige Baumblätter, die so mild und zart schmecken. Fein geschnitten können Sie sie direkt aufs Butterbrot legen. Ältere Blätter werden jedoch zäh. Lindenblätter sind aussergewöhnlich proteinreich und enthalten sehr viel Kalium und Kalzium.

Die wohlduftenden Blüten der Linden eignen sich zum Aromatisieren von Likör, Saft, Limonade, Sirup oder Milch. Wenn Sie sie einige Stunden in Milch oder Sahne einlegen, können Sie daraus zum Beispiel Lindenblütenpudding oder Lindenblütensahne herstellen. Für ein Lindenblütengelee werden die Aromen der Lindenblüten in Apfelsaft ausgezogen.


Wann kann man Lindenblüten ernten?

Die gelblich weissen Blüten der Sommer- und Winterlinde erntet man im Juni und Juli zusammen mit dem pergamentartigen Hochblatt. Man trocknet sie schonend im Schatten. Vor allem spätnachmittags, zwischen 16.00 und 18.00 Uhr ist der honigsüsse Duft intensiv. Dies ist somit die beste Sammelzeit. Die Ernte an warmen Sommerabenden ist schon für sich gesehen ein heilsames Erlebnis.


Rezept für Erkältungstee mit Linden- und Holunderblüten

Der Erkältungstee ist besonders wirksam, wenn man ihn gleich beim Auftauchen der ersten Erkältungssymptome trinkt. Linden- und Holunderblüten kommen bei fieberhaften Erkältungskrankheiten zum Einsatz, bei denen eine schweisstreibende Wirkung erwünscht ist. Die ätherischen Öle der Linden- und Holunderblüten besitzen zudem eine leicht auswurfsfördernde Wirkung. Diese verstärkt sich durch den beigefügten Thymian, sodass sich festsitzender Husten leichter lösen kann.

Zutaten

  • 30 g Lindenblüten
  • 20 g Holunderblüten
  • 10 g Thymian

Zubereitung

  1. Zwei Teelöffel der Mischung mit 250 ml heissem Wasser übergiessen.
  2. Bedeckt zehn Minuten ziehen lassen und abgiessen.

Drei- bis viermal täglich eine Tasse möglichst heiss trinken. Das Süssen mit etwas Honig hat in diesem Fall einen wirkungsverstärkenden Effekt.

 


Bild links: Ein tänzerisches florales Lindenblütenobjekt.
Bild rechts: Die Blätter werden sorgfältig angedrahtet.


Basteltipp: Ein «lindes» Projekt

Begeistert von unserem Handwerk lassen wir dich gerne teilhaben an einem «linden» Projekt. Los geht’s, auf zum Sammeln, mit Knistern und leichtem Gepäck – rein in den Sack und raus zum Fliegen. Sei gespannt, was sich aus Lindenblüten formen lässt:

  1. Sammle deine gewünschte Menge Lindenblüten; je nach Farbvorliebe und Reifegrad – keck hellgrüne im Juni, goldene bis in den Herbst hinein, transparent skelettierte in den Wintermonaten, womöglich im Schnee.

  2. Wähle Schmuckdraht von der Rolle in passender Farbe und Stärke aus – 0,5 bis 0,8 mm – abgestimmt auf die Stabilität deiner Lindenblüten.

  3. Schneide den Schmuckdraht mit einer Drahtschere, einem Seitenschneider in ca. 10 bis 20 cm lange Stücke – der Verbrauch fürs Andrahten und Aufzwirbeln liegt bei max. 10 Prozent der Drahtlänge. Beachte den Umfang deines Trägers und kalkuliere diesen mit ein.

  4. Forme eine asymmetrische Drahtschlaufe im Verhältnis 2:3 und halte diese etwa 1 cm nach oben überstehend ans Stielende der Lindenblüte. Umwickle dieses mit dem längeren Drahtteil satt in zwei diagonal nach unten verlaufenden Umdrehungen.

  5. Die an gedrahteten einzelnen Lindenblüten – für mehr Dichte ist ebenso ein paar- oder gruppenweises Andrahten möglich – führst du nun rund um deinen Lieblingsträger (ein Metallband, ein Hohleisen, einen bizzaren Ast o. ä.) und verdrehst die zwei Drahtenden anliegend an diesem. Kürze sie ein so wie du magst.

  6. Geniesse dein Werk, welches sich gerne gemeinschaftlich gestalten lässt.

  7. Inspirationen aus Linden(blüten) und mehr findest du im Blumenladen der Gartenbauschule Oeschberg.



Silvana Hassler

ist Berufsbildnerin für Floristen an der Gartenbauschule Oeschberg, Meisterfloristin, Dozentin für Gestalten, Erwachsenenbildnerin und Studentin der Naturheilkunde.

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