Das besondere Reich der Naturpilze

Pilze sind faszinierende Lebewesen: Sie unterstützen Pflanzen, bauen organisches Material ab und könnten sogar als Baumaterial der Zukunft dienen. Und natürlich schmecken Pilze auch hervorragend - zumindest die geniessbaren.

Text: Alice Stadler, Bilder: Andreas Leuenberger, zvg


«Schau, da wächst ein Pilz!», ertönt es aufgeregt, und ein Finger zeigt auf ein dünnes Stäbchen mit einem riesigen Sombrero, das ganz entspannt aus dem Erdboden wächst. Doch wenn man genau sein will, dann ist das gar nicht «der Pilz», sondern der Fruchtkörper, lediglich ein Teil des Pilzes. Seine wahre Grösse versteckt sich im Erdboden, in dem sich seine Pilzfäden kilometerlang unter der Erde ausdehnen. Unser reduzierter Blick auf die Fungus-Welt zeigt sich noch viel deutlicher in unseren Vorstellungen beim Wort «Pilz»: Hat man da doch oft bereits den Fliegenpilz drohend vor Augen – oder der Klassiker: der braune Champignon. Oder noch viel Schlimmer: Pilzinfektionen – Achtung! Keine Sporen einatmen! Giftpilz, Schimmelpilz … Aber eigentlich sind Pilze genauso vielfältig und individuell wie alles andere in der Natur, einige geniessbar, andere giftig und wiederum andere unglaublich schön anzusehen. Daneben sind sie auch vielseitig einsetzbar: Ich sage da nur Penicillin, Bewusstseinsveränderungen, Gerichte, Krankheitserreger, Symbiosepartner, Kompöstler mit Jahr-millionen an Erfahrung …

Gerade aufgrund dieser verschiedenen Eigenschaften sind sie ein unverzichtbarer Teil des Ökosystems und benötigen auch eine Wohlfühlumgebung, um zu gedeihen. Durch den Klimawandel sowie zerstörerisches Verhalten sind diese Biotope gefährdet. Wir nehmen diese Wunderköpfe der Natur einmal genauer unter die Lupe und erklären einige Fakten und Informationen.


Mykorrhiza – Gesundheit!

Der Begriff stammt aus dem Griechischen und setzt sich aus «mýkēs» (Pilz) sowie «rhiza» (Wurzel) zusammen. Diese Art von Bodenpilzen lebt nämlich in Symbiose mit Pflanzenwurzeln. Dabei verbindet sich das unterirdische, fadenförmige Pilzgeflecht (Hyphen) mit den Pflanzen und es entsteht eine Beziehung, die für beide rentabel ist: Zuckerstoffe werden gegen Nährstoffe getauscht und umgekehrt. Zudem kann die Pflanze auf diese Art auch viel mehr Wasser aufnehmen, weil die Hyphen viel weiter reichen als die Wurzeln der Pflanze selbst. Deswegen werden diese Pilze auch beim Setzen oder Umtopfen als Dünger-Aufnahme-Helfer genutzt.


Pfifferlinge sind schmackhaft, kalorienarm, fettarm und nährstoffreich.


Vernetztes Denken in der Pflanzenwelt

Networking im Grünen – so kann man sich die Hyphen vorstellen, die sich unterirdisch verbreiten. Einige Pilzarten kommen auf über einen Quadratkilometer Fläche. Das bisher grösste Exemplar ist ein Dunkler Hallimasch (Armillaria ostoyae), dessen Hyphengeflecht auf die stattliche Grösse von über neun Quadratkilometer gekommen ist und ein geschätztes Gesamtgewicht von ungefähr 7500 Tonnen erreichte. Es erstaunt also kaum, dass Hyphen – also Pilze – als die grössten Lebewesen gelten.


Der Lila Dickfuss – strahlend, lebendig und voller Versprechen,
doch im Laufe der Zeit verändert er behutsam seinen Glanz.


Gratis Grünabfuhr

Eine Qualität, die man nicht zur Genüge hervorheben kann, ist der Abbauprozess. Pilze räumen auf, schaffen Ordnung und Platz für neue Lebewesen, indem sie absterbendes Material abbauen und verwerten. Lebewesen mit dieser Fähigkeit, organisches Material in unorganisches zu zerlegen, nennt man Destruenten. Die Hyphen durchsetzen dabei das Material, und die Verdauungsenzyme des Pilzes bauen auch die Zellwände des Materials ab. Dadurch gelangen Bakterien und andere Mikroorganismen hinein, die das Material weiter abbauen.


Magic Mushrooms und die Religion

Psychedelische Pilze haben eine Veränderung der Wahrnehmung und des Bewusstseins zur Folge. Bereits von 1000 bis 500 v. Chr. gibt es erste Zeugnisse ihrer Verwendung. Der Verzehr stand dabei in Verbindung mit Ritualen und Religion. Schon bei den Azteken wurde «Teonanacatl» («Göttliches Fleisch») gegessen, um mit Göttern in Kontakt zu treten.

Interessant ist auch, dass der verbreitete Gebrauch in Mittelamerika vom Westen zuerst als Mythos abgetan wurde, erst Mitte des 20. Jahrhunderts gelang der Beweis dafür. Was der Wirkstoff Psilocybin, der in psychedelischen Pilzen enthalten ist, alles kann, wird stetig untersucht, so auch, ob er sich bei der Behandlung von Depressionen eignet.


Die Retter der Zukunft

Fleischersatz, Baurohstoff für Isolierungen, Verpackungen und Abbau von Plastik. Gerade in Sachen Klimafragen scheint der Pilz ein wahrer Alleskönner zu sein. Seine Beschaffenheit aus Myzel (die Gesamtheit aller Pilzfäden) in Kombination mit Zellulose wirkt wie Leim. Dies könnte in Zukunft eine Alternative zu Baugemischen wie Beton darstellen. Es würden dann Pilzblöcke gezüchtet, pilzdurchwachsenes Substrat, das über die Jahre ganz natürlich ineinander verwachsen würde, völlig ohne zusätzliches Fugenmaterial. Hinzu kommt, dass diese grünen Blöcke CO2 speichern und somit eine durch und durch grüne Alternative zu den industriellen Baugemischen darstellen. Momentan wird ihre Verwendung noch erprobt.


Gesunde Mineralstoffbombe

Ein Pilz besteht zu rund drei Vierteln aus Wasser, ist kaum fetthaltig und seine Zellwände bestehen aus Chitin. Auf den ersten Blick also nicht sonderlich von Interesse, aber Pilze sind reich an Mineralstoffen wie Kalzium und Magnesium sowie Spurenelementen wie Mangan, Zink und Selen. Hinzu kommen verschiedene B-Vitamine. Einige enthalten sogar Vitamin C und D. Zudem sind sie ein Top-Aminosäurelieferant. Jedoch musss man auch die Kehrseite bedenken, denn weil Pilze alles aus dem Boden aufnehmen, gelangen durch ihren Verzehr auch Pestizide, Schwermetalle und radioaktive Stoffe in unseren Kreislauf. Pilze in Oberbayern sind noch heute, über 30 Jahre nach Tschernobyl, radioaktiv belastet und es wird in gewissen Gebieten vom Pflücken abgeraten.


Wenn Pilze ihre roten Partyhüte aufsetzen (hier Fliegenpilze).


Verhaltensregeln und Pilzschutz

Die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in Freiburg hat auf 75 Hektaren die Ökologie von Waldpilzen und deren Gefährdung untersucht. Wichtige Erkenntnisse waren: Stickstoff schadet Mykorrhizapilzen. Sie können sich aber regenerieren, wenn der Gehalt wieder auf ein normales Mass zurückgeht. Die Witterung spielt auch eine entscheidende Rolle: Wärme verschiebt die Pilzsaison nach hinten, Kühle begünstigt sie. Auch eine starke Durchforstung führt zu einer grösseren Pilzvielfalt. Aber man muss beachten, dass nicht jede Baumart gleich viele Bewohner begünstigt. Das Betreten des Waldbodens hingegen wirkt sich negativ auf das Wachstum aus und es kommt zu einer verminderten Fruchtkörperbildung.

 

Die Vereinigung amtlicher Pilzkontrollorgane der Schweiz (VAPKO) listet fünf Verhaltensregeln auf, die zum Schutz der Pilze beitragen sollen:

  • Den Wald als Lebensraum achten
  • Nicht zu viel im Wald herumtrampeln
  • Weniger Auto fahren
  • Fundorte seltener Pilzarten dem Forstamt und der Pilzkontrolle melden
  • Kantonale Sammelbeschränkungen beachten


Sprachliche Wurzeln

Die Pilze haben nicht nur im Wald, sondern auch in unserer Sprache Wurzeln geschlagen. «Du Glückspilz!» sagen wir oder «Die schiessen ja wie Pilze aus dem Boden!». Beide Aussagen beziehen sich auf das schnelle Wachstum der Pilze, die spriessen, sobald die Witterung stimmt. So kann es vorkommen, dass nach Regen plötzlich viele Fruchtkörper ihren Weg nach oben finden. In beiden Fällen wurden die Redewendungen zuerst im negativen Sinn gebraucht: Etwas, das plötzlich auftaucht, ein Emporkömmling aus dem Nichts. Diese Bedeutung verlor sich aber über die Jahre und wurde durch eine rein positive Konnotation ersetzt. «Das ist keinen Pfifferling wert» oder «Das kümmert mich einen Pfifferling» haben bereits im Mittelalter ihren Weg ins Deutsche gefunden. Der Pfifferling war damals ein beliebter Speisepilz, der in Unmengen vorhanden war. Seit dem 16. Jahrhundert gilt er deswegen als Sinnbild des Wertlosen.


 
Kraftstrotzend – wer sich mir in den Weg stellt,
wird nach oben gedrückt.


Das Pilzjahr

Im Herbst ist wieder Pilzzeit! Nein, stimmt gar nicht. Das ganze Jahr über ist Pilzzeit, man muss nur wissen, von welchem Pilz. Die Totentrompete ist einer der klassischen Herbstpilze, der Austernseitling aber beispielsweise wächst vom Spätherbst bis in den Januar und den Februar hinein – und wenn er drinnen kultiviert wird, dann natürlich ganzjährig. Der Maipilz ist, wie der Name bereits andeutet, ein Frühlingspilz, der von Mitte April bis Anfang Mai zu finden ist. Ab Juli findet sich dann der Fichtensteinpilz, auch unter dem gängigeren Namen «Steinpilz» bekannt. Aber da er als Mykorrhizapilz von Buchen und vor allem Fichten bekannt ist, hat er diesen Zweitnamen erhalten.

 

 

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