Braucht es mehr Natur-, Denkmal- und Landschaftsschutz?

Am 22. September 2024 stimmen die Schweizer Stimmberechtigten
über die Volksinitiative «Für die Zukunft unserer Natur und Landschaft (Biodiversitätsinitiative)» ab. Das Pro-Lager sieht nicht nur Handlungsbedarf für mehr Biodiversität, sondern auch für mehr Natur- und Landschaftsschutz. Der Bauernverband wehrt sich: Die Versorgungssicherheit sei mit der Annahme der Initiative gefährdet. Lesen Sie mehr über die
Argumente beider Lager.


Pro

Biodiversität ist unsere Lebensgrundlage: Schützen wir sie!

Die Biodiversität ist für uns Menschen von zentraler Bedeutung. Biodiversität liefert uns unsere Nahrungsmittel. Von den weltweit rund 240 000 bekannten Pflanzenarten ist jede vierte essbar. Viele dieser Kulturpflanzen sind auf Bestäubung durch bestimmte Insekten angewiesen. Wenn die Insektenvielfalt schwindet, schmälert dies unser Nahrungsmittelangebot. Pflanzen, Pilze und Bakterien liefern uns aber auch Stoffe für Medikamente. Wussten Sie, dass die Wirkstoffe von 118 der 150 am meisten verschriebenen Medikamente ursprünglich aus natürlichen Substanzen stammen? Auch für die Behandlung von einfachen Erkrankungen finden wir viele Heilmittel in der Natur: Kamille wirkt gegen Entzündungen, Sonnenhut gegen Erkältungen oder Fenchel gegen Verdauungsbeschwerden.

Die Biodiversität tut uns gut. Umgekehrt gilt das leider nicht, denn es steht schlecht um die Biodiversität in der Schweiz. Über ein Drittel der Arten ist bedroht, und dieses Artensterben schreitet seit Jahren voran. 95 % der artenreichen Trockenwiesen sind in den letzten 120 Jahren verschwunden, 60 % der Insekten sind gefährdet, 40 % der Brutvögel sind bedroht.

Mit der Biodiversitätsinitiative haben wir die Gelegenheit, Gegensteuer zu geben. Sie sorgt dafür, dass Bund und Kantone die Natur schweizweit endlich richtig schützen. Es ist falsch, die Landwirtschaft gegen die Biodiversität auszuspielen. Die beiden brauchen einander. Vielfältige Ökosysteme erbringen wichtige Leistungen besser als einförmige: Wildbienen bestäuben Nutzpflanzen, Bodenorganismen sorgen für gesunde Böden, Wälder säubern Luft und Wasser, beeinflussen das Klima positiv und schützen vor Hochwasser.

Wer bestäubt in Zukunft unsere Kulturpflanzen, wenn das Insektensterben weiter wie bisher voranschreitet? Der schlechte Zustand der Biodiversität trifft uns alle, aber vor allem die Landwirtschaft. Die meisten artenreichen Flächen liegen im Übrigen nicht auf Fruchtfolgeflächen, sondern in Feuchtgebieten und sind in nährstoffarmen Gebieten, etwa in Hanglagen, zu finden. Sie gehen also nicht für die Landwirtschaft verloren, wenn sie geschützt werden.

Spielen wir auch nicht den Ausbau der erneuerbaren Energien und damit den Klimaschutz gegen die Biodiversität aus. Das eine ist möglich, ohne das andere zu schädigen, wenn richtig geplant wird und die nötigen Ersatz- und Ausgleichsmassnahmen getroffen werden. Klimakrise und Biodiversitätskrise müssen gemeinsam bekämpft werden. Schützen wir unsere Lebensgrundlagen – für uns, unsere Kinder und Enkel. Sagen wir Ja zur Biodiversitätsinitiative!

 

Gabriela Suter ist Nationalrätin SP und Mitglied der Umwelt- und Energiekommission des Nationalrats. Die Aargauerin ist überzeugt, dass Klimaschutz, Klimaanpassung und Biodiversität ganzheitlich angepackt werden müssen. Privat ist sie viel in der Natur anzutreffen: Im eigenen Biogarten, beim Pilzesuchen im Wald oder beim Wandern in der Bergwelt.


Kontra

Schützen und nützen kombinieren

Unbestritten: Wir müssen der biologischen Vielfalt Sorge tragen. Viele Kulturpflanzen sind auf die Bestäubung durch Bienen und andere Insekten angewiesen. Deshalb engagieren wir Schweizer Bauernbetriebe uns für die Biodiversität. Eigentlich muss jeder Hof 7 Prozent seiner Fläche für die Förderung der biologischen Vielfalt einsetzen. Das ist eine Bedingung für den Erhalt von Direktzahlungen. Effektiv tun wir aber viel mehr: Im Schnitt dienen 19 Prozent des Landwirtschaftslandes explizit der Förderung der Biodiversität. Das sind extensive Wiesen, Ackersäume, Hecken und viele andere Elemente. Zusätzlich pflegt die Berglandwirtschaft 220 000 Hektaren artenreiches Grünland im Sömmerungsgebiet.

In der Schweiz kam es zu den grössten Verlusten bei der Biodiversität im Zeitraum zwischen 1850 und 2000. Seit den 1990er-Jahren herrscht ein anderes Denken. Nachhaltigkeit und auch Schutz der Bio-
diversität prägen seither unsere landwirtschaftliche Produktion.

Am 22. September stimmen wir über die Biodiversitätsinitiative ab. Diese will Landschaften und Ortsbilder, zu praktisch unantastbaren Schutzobjekten machen. Und sie will deutlich mehr Flächen für die Biodiversität in Form von ausgeschiedenen Schutzgebieten. Pro Natura – eine der Initianten – macht sich für 30 Prozent der Landesfläche stark. Aktuell sieht sie nur 8 Prozent in genügender Qualität. Der Gap ist mit 900 000 Hektaren riesig und würde der Fläche der Kantone Bern, Freiburg, Neuenburg und Solothurn entsprechen.

Auch wenn es am Schluss nicht ganz so umgesetzt wird, wie die Initianten das wollen: Es wird auf weniger Fläche für die Lebensmittelproduktion hinauslaufen. Auch die Gewinnung von erneuerbarer Energie und Holz wäre eingeschränkt. In allen drei Bereichen würden wir noch abhängiger vom Ausland und müssten mehr Essen, Strom und Holz importieren. Unsere Tourismusorte hätten zusätzliche Mühe mit neuen Infrastrukturbauten und das Wohnen würde teurer, wenn der Denkmalschutz ausgebaut wird.

Die biologische Vielfalt können wir problemlos mit den aktuellen Gesetzen weiter fördern. Es gibt eine nationale Strategie und einen Aktionsplan Biodiversität. Ja, sogar in der Verfassung ist dieser Auftrag bereits drin. Wir brauchen kein neues Gesetz von Initianten mit völlig übertriebenen, ja extremen Vorstellungen. Deshalb ist die Biodiversitätsinitiative am 22. September in aller Klarheit abzulehnen.

 

Markus Ritter ist seit 2012 Präsident des Schweizer Bauernverbands und Nationalrat von Die Mitte. Er bewirtschaftet zusammen mit seiner Familie einen mehrheitlich in der Bergzone gelegenen Biobetrieb in Altstätten im St.Galler Rheintal.

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