Auf Spurensuche im Schnee
Wer im Winter draussen unterwegs ist, wird früher oder später auf Tierspuren und -fährten im Schnee stossen. Andreas Boldt, Wildtierbiologe bei Pro Natura Schweiz, erklärt, worauf man achten kann, um den typischen Fingerabdruck eines Tieres zu erkennen.
Angela Bernetta
Interview: Angela Bernetta
«natürlich»: Wann findet man Tierspuren und -fährten im Schnee
besonders gut?
Andreas Boldt: Am besten findet man sie ein paar Stunden nach frischem Schneefall, etwa am Morgen, nachdem es in der Nacht geschneit hat. Allerdings verwischen andauernder Schneefall, Regen oder stärkerer Wind diese mit der Zeit. Tierspuren und -fährten im Schnee bleiben zwar bestehen, sofern sie nicht zugeschneit werden oder der Schnee wegschmilzt. Aber die Details und Grössenverhältnisse sind nur noch schwierig zu «lesen».
Welche Tierspuren und -fährten findet man im Winter besonders
häufig im Garten?
In einem durchschnittlichen Garten im Siedlungsraum wird man relativ wenige unterschiedliche Spuren und Fährten finden. Grössere Wildtiere kommen in diesen Gärten nur selten vor. Am ehesten sind noch jene des Rotfuchses oder des Steinmarders zu erwarten. Dazu verschiedene Kleinsäuger wie Mäuse. Diese sind aber selbst für Fachpersonen schwierig zu bestimmen. Die grosse Mehrheit der Spuren und Fährten im Siedlungsraum stammt in der Regel von Katzen und Hunden.
Welche Tierspuren und -fährten lassen sich im verschneiten Feld, im Wald und auf Wiesen ausmachen?
Ausserhalb des Siedlungsraums ist die Vielfalt der Tierarten grösser. Fast überall sehr häufig sind Spuren und Fährten des Rehs zu finden. Die anderen Huftiere der Schweiz, etwa Rothirsch, Gemse, Steinbock oder Wildschwein, kommen nicht in der ganzen Schweiz vor und sind deshalb regional unterschiedlich häufig. Der Rotfuchs ist auch in Feld, Wald und Wiese weit verbreitet und seine Spuren und Fährten sind häufig. Je nach Lebensraum können auch jene der «Kleinraubtiere » gefunden werden wie Steinmarder, Baummarder, Hermelin, Mauswiesel, Iltis oder Dachs. Vor allem ausserhalb des Waldes sind die charakteristischen Fährten der Hasen zu finden: Feldhase im Flachland, Schneehase im Gebirge. Mäuse und andere Kleinsäuger gibt es fast überall.
Nicht immer sind die Spuren im Schnee so gut lesbar wie diese Rehspur.
Was kann man aus einer Tierspur und -fährte ablesen?
Im optimalen Fall kann man ablesen, um welche Tierart es sich handelt. Das gelingt aber selbst Fachpersonen nicht immer. Besonders kleine Tierarten hinterlassen sehr ähnliche Spuren und Fährten. Bei Huftieren lässt sich manchmal aufgrund der Grösse und Form des Fussabdrucks das Geschlecht und das grobe Alter des Tiers abschätzen. Aber auch dies ist meistens nicht eindeutig. In wenigen speziellen Fällen ist es möglich, Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand des Tiers zu ziehen, wenn etwa ein Fuss nicht belastet wird. Die Form der Spur und Fährte, deren Lage im Lebensraum oder weitere Spuren wie Urin, Kot oder gegrabene Schneelöcher lassen Rückschlüsse zu auf das Verhalten des Tiers. Sucht es Nahrung? Patrouilliert es an der Territoriumsgrenze? Ist es auf dem grossräumigen Durchzug? Ist es allein oder in der Gruppe unterwegs? Ist es auf der Flucht?
Welche Fährten und Spuren sind besonders markant und wieso?
Sowohl Schneehasen im Gebirge als auch Feldhasen im Flachland hinterlassen eine besondere Spur und Fährte. In ihrer Art der Fortbewegung, dem «Hoppeln», werden Vorder- und Hinterbeine nicht auf die gleiche Weise bewegt und nicht gleich stark belastet. Dadurch entsteht eine Fährte aus zwei grossen Abdrücken der Hinterpfoten nebeneinander und zwei kleinen Abrücken der Vorderpfoten hintereinander. Dieses Bild entsteht bei keiner anderen Tierart. Grundsätzlich sind die Spuren grosser Tiere wie Rothirsch, Wildschwein oder Braunbär am markantesten. Dies ganz einfach, weil sie durch ihr grosses Körpergewicht tiefere Abdrücke hinterlassen, die länger im Schnee sichtbar sind. Kleine Tiere wie Mäuse können im Gegensatz dazu über gefrorenen Schnee laufen, ohne überhaupt eine Fährte zu hinterlassen.
Der Feldhase ist ein schnelles Tier und er hinterlässt eine markante Spur.
Welche weiteren Hinterlassenschaften von Tieren findet man im Winter?
Je nach Tierart gibt es eine ganze Reihe von Hinterlassenschaften. Kot und Urin sind am häufigsten und auch am einfachsten zu finden. Gewölle oder andere Frassspuren sind eher seltener. Daneben gibt es weitere Hinweise wie Löcher im Schnee, wo sich ein Tier versteckt hat oder Beute gejagt hat; Kratzspuren an Bäumen und Büschen; Frassspuren an Holz oder Nüssen; Überreste von erbeuteten Tieren usw.
Welche Rückschlüsse lassen sich aus diesen Hinterlassenschaften ziehen?
Nebst der Tierart sind daraus vor allem Rückschlüsse auf die Zusammensetzung der Nahrung möglich. Der Kot von Füchsen oder Dachsen sieht beispielsweise ganz unterschiedlich aus, wenn sie Mäuse oder Beeren gefressen haben. Heutzutage gibt es wissenschaftliche Methoden, welche aus Kot oder Fellresten Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand, den Stresszustand, das Geschlecht oder den Verwandtschaftsgrad eines Tiers ermöglichen. Das lässt sich aber nicht im Feld bestimmen, sondern es sind dazu Analysen im Labor notwendig.
Tierspuren und -fährten kennenlernen
«Es gibt normalerweise nicht ein einzelnes Merkmal, welches die Bestimmung von Tierspuren und -fährten erlaubt», sagt Andreas Boldt, Wildtierbiologe bei Pro Natura. Sondern es ist eine Kombination aus verschiedenen Merkmalen wie
- Typ des Fussabdruckes: Welche Form hat der Fussabdruck? Sind Zehen oder Krallen zu sehen? Wie viele? Sind Hufabdrücke zu sehen? Welche Form haben diese? Sind Haare zu sehen?
- Grösse des Fussabdrucks: Wie lang und wie breit ist der Abdruck? Sind alle Abdrücke gleich gross?
- Schrittlänge: Wie weit sind die einzelnen Fussabdrücke auseinander?
- Form der Fährte: Verläuft die Fährte geradlinig, kurvig, zufällig? Hat die Fährte, d. h. die Abfolge der Fussabdrücke, eine besondere Form?
- Länge der Fährte: Verläuft die Fährte nur über wenige Meter von Baum zu Baum? Oder verläuft sie über grosse Distanzen?
- Einbettung im Lebensraum: Folgt die Fährte bestimmten Lebensraumstrukturen, z. B. dem Waldrand, einem Gewässer usw.?
- Ort: In welcher Region, welcher Höhenlage, welchem Lebensraum wird die Fährte beobachtet?
- Zeitraum: In welcher Jahreszeit, zu welcher Tageszeit wird die Fährte beobachtet?
- Zustand der Fährte: Ist die Fährte frisch? Teilweise zugeschneit oder abgetragenschmolzen?
«Es empfiehlt sich, möglichst viele dieser Eigenschaften zu notieren beziehungsweise sich zu merken», sagt Andreas Boldt. «Dazu gehört auch, dass man ein Foto der ganzen Fährte und des einzelnen Fussabdrucks macht. Das Foto sollte möglichst mit einem Grössenvergleich versehen sein, etwa einem Taschenmesser oder Kugelschreiber.» Bestimmungsbücher wie
- Tierspuren: Fährten – Frassspuren – Losungen – Gewölle – Tierporträts von Lars-Henrik Olsen, erschienen im blv Verlag (2012)
- Säugetiere der Alpen. Der Bestimmungsführer für alle Arten von Lars Canalis, erschienen im Haupt Verlag (2013)
- Basic Tierspuren. Frank Hecker. Kosmos Verlag (2022)
sind ebenfalls hilfreich, wenn es um die Bestimmung geht, genauso wie den Einbezug einer Fachperson mittels Fotos, etwa über den Pro Natura Ratgeber –www.pronatura.ch/de/ratgeber.
Vogelspuren im Garten
«Nebst den wenigen Säugetieren hinterlassen auch viele unterschiedliche Vögel Spuren im Schnee», sagt Andreas Boldt, Wildtierbiologe bei Pro Natura. Die seien zwar leicht als «Vogel» zu erkennen. Die Bestimmung der Art sei aber sehr schwierig und meist nur anhand der Grösse des Fussabdrucks annähernd möglich. «Grössere Abdrücke von Vogelspuren im Garten stammen meistens von Rabenkrähen, Saatkrähen oder Elstern. Die grosse Vielfalt der kleinen Singvögel hinterlässt nur sehr undeutliche Spuren, die alle sehr ähnlich sind.»