Artenvielfalt beobachten – ein fast meditatives Schauspiel

Unsere Natur ist enorm vielfältig. Diese Vielfalt ist jedoch auch unter Druck. Wir können im eigenen Garten selbst dazu beitragen, dass eine möglichst hohe Biodiversität erhalten bleibt.

Im Dezember, wenn die Natur in ihrer wohlverdienten Winterruhe steht, ist die beste Zeit, sich Gedanken rund ums kommende Gartenjahr zu machen. Begriffe wie Klimawandel, Treibhauseffekt, Erderwärmung, Umweltzerstörung und Biodiversität werden uns auch im neuen Jahr beschäftigen. Ansporn genug, über Versäumnisse nachzudenken, jedoch nicht zu spät, unserer faszinierenden Flora und Fauna mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Ich ermuntere Sie dazu, im Kleinen damit anzufangen und Insekten, Spinnentieren, Amphibien, Reptilien und Vögeln im neuen Jahr etwas zurückzugeben. In Ihrem Garten oder auf Ihrem Balkon können Sie einiges richtig machen, um natürliche Lebensräume für kleine Tiere und Mikroorganismen zu schaffen.

Behausungen für Reptilien

Wir Schweizer*innen zählen bezüglich Reinigung bekanntlich zu den Weltmeister*innen. Für das allgemeine Wohlbefinden ist regelmässiges Putzen zu Hause keinesfalls schlecht. Dass wir mit unserem Putzfimmel aber gerade im Garten viele Biotope von Kleintieren zerstören, ist vielen nicht bewusst. Dazu gehört zum Beispiel der falsche Schnittzeitpunkt von Stauden oder Wildwiesen, emsiges Kehren von Flächen, akribisches Abführen von farbigen Blättern aus dem Garten im Herbst und das Zupfen von vermeintlichen Unkräutern. Und einige von uns haben den Drang, aus Zeitgründen sofort zum Laubbläser zu greifen. Viele dieser Aktivitäten können Sie sich sparen oder zumindest der Natur zuliebe den richtigen Zeitpunkt oder Einsatzort dazu wählen. Es ist an der Zeit, das kommende Jahr zu planen. Indem Sie nützliche und artgerechte Unterschlüpfe errichten, tragen Sie wesentlich dazu bei, kleine Lebewesen zu fördern und zu schützen. Wie aber können Sie vielen Tieren helfen?
Zauneidechse
Bauen von Unterschlüpfen
Mauern und Haufen aus eckigen oder runden Steinen sind sowohl sehr hübsche Gartenobjekte als auch perfekte Behausungen für Reptilien, Spinnen und viele Insekten. Gerne sonnt sich hier beispielsweise die einheimische Zauneidechse oder die ungiftige und für Menschen harmlose, einheimische Schlingnatter.


Sandlinsen
Drei von vier einheimischen Wildbienenarten nisten in selbstgegrabenen Gängen im Boden. Eine an sonniger Lage angelegte Sandlinse bietet dazu beste Voraussetzungen. Zum Bauen einer solchen eignet sich zum Beispiel spezieller Wildbienensand der Firma Ricoter. Gewöhnlicher Spielkastensand, der zum Verkauf angeboten wird, ist gewaschen und enthält zudem keinen Lehm mehr, was für die Wildbienen von Bedeutung ist. In der Schweiz gibt es über 600 Wildbienenarten. Sie gehören zu den wichtigsten Bestäubern.

Asthaufen und Totholzstellen
Schnittgut von Gehölzen wird am besten an windstillen, sonnigen und ungestörten Ecken im Garten geschichtet. Dort werden die Asthaufen ganz der Natur überlassen. Sie bieten Igeln, Würmern, Blindschleichen, Kröten, Eidechsen, Fledermäusen und Vögeln perfekten Unterschlupf. Da das Material auf natürliche Art verrottet und von Kleinstlebewesen (Mikroorganismen) zersetzt wird, schichtet man von Jahr zu Jahr wieder neues Material obendrauf.

In morschem Totholz, beispielsweise Baumstrünken, fühlen sich Käfer, Larven, Tausendfüssler, Spinnen, Milben, aber auch Wildbienen wohl. Die in der Schweiz als gefährdet geltende, blaue Holzbiene ist die grösste einheimische Wildbienenart. Mit ihrer Körperlänge von 28 mm bohrt sie kleine Höhlen in morsches Totholz, wo sie ihre Brut aufzieht. Sie besucht auf der Nektarsuche gerne Schmetterlings-, Korb- und Lippenblütler.

Ohrwurmbehausungen und Insektenhotels
Ganz einfach selbst basteln können Sie eine Behausung für Ohrwürmer. Benutzen Sie dazu einen alten Tontopf und stopfen Sie ihn mit Holzwolle aus. Bohren Sie den Tontopf viermal an und stecken Sie zwei Holzstäbchen durch. So fällt die Holzwolle nicht heraus. Hier fühlt sich der Ohrwurm besonders wohl. Dieses Insekt ernährt sich nebst anderer Nahrung von Blattläusen. Auch einfach in der Herstellung sind kleine Insektenhotels aus Holzrugeln. Ich habe es in meinem Garten selbst ausprobiert. Mit ein paar Bohrungen in einen Holzrugel ermöglichen Sie Wildbienen kleine Niststätten für ihre Eiablage. Achten Sie unbedingt darauf, dass die Bohrungen sauber sind und sich darin weder Holzspäne noch Splitter befinden. Die Wildbienen könnten sich verletzen. Nur wenige Tage nach der Montage in meinem Garten hat eine Holzschneiderbiene ihre Brut abgelegt und den Ausgang mit einem Pfropfen aus Blattmaterial geschlossen. Ein wahres Wunder der Natur. Der Bau eines Insektenhotels, ob gross oder klein, ist eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung.

Wann ist der richtige Schnittzeitpunkt?
Oft entscheidet der richtige Moment unserer Eingriffe in die Natur über Leben, Tod oder gar Aussterben von Insekten. Dürres Staudenmaterial wird von unzähligen Käferarten als Überwinterungsdecke genutzt. Es macht aber Sinn, kranke Pflanzenteile von Stauden schon im Herbst zu entfernen, um die Übertragung von Krankheiten für das kommende Jahr zu verhindern. Spriessen im Frühling Schneeglöckchen und Winterlinge, ist es an der Zeit, Schafgarben, Disteln, Sterndolden, Salbei und Gräser handbreit über dem Boden abzuschneiden. Wenn Sie die Möglichkeit dazu haben, erstellen Sie im Garten mit dem Schnittgut vorerst ein Zwischendepot. Es kann später im Jahr, wenn z. B. der Schwalbenschwanz im Mai geschlüpft ist, immer noch der Grüngutentsorgung beigefügt werden. Wenn Sie sich zu den Glücklichen zählen, eigenen Umschwung pflegen zu dürfen, rege ich Sie dazu an, Stauden – und darunter versteht man nicht Gehölze, sondern winterharte, mehrjährige, krautige und nicht verholzende Pflanzen – erst im Frühjahr zurückzuschneiden. Bedenkt man, dass fast die Hälfte unserer einheimischen Schmetterlinge als Puppe angebunden an Pflanzenstengeln oder in abgestorbenen Streuschichten am Boden überwintert, macht dieses Vorgehen Sinn. Mehrjährige Gräser, im Herbst zu hübschen Skulpturen zusammengebunden, zieren Ihren Garten den ganzen Winter über und bieten zudem dem einen oder anderen Insekt eine perfekte Überwinterungsmöglichkeit. Viele Insekten sind als Bestäuber unentbehrlich, z. B. viele Schwebfliegenarten.

Nahrungsquelle «Unkraut»
Ein Ehrenplatz gebührt hier der grossen Brennnessel. Sie sollte an einem halbschattigen Platz im Garten unbedingt stehen gelassen werden. Sie wird von vielen einheimischen Schmetterlingen wie vom Admiral, vom Tagpfauenauge, vom Distelfalter, vom Kleinen Fuchs und vielen mehr als Futterquelle bevorzugt. Man trifft diese wunderschönen Schmetterlinge in den letzten Jahren nicht grundlos eher selten an. Die grosse Brennnessel wird zu Unrecht als «Unkraut» degradiert. Auch Blattläuse sind bei uns Menschen nicht unbedingt willkommen. Gerade die Brennnesseln zapfen sie gerne an, weil sie deren Pflanzensaft lieben. Und hier kann man ihnen freien Lauf lassen. Wenn Sie nicht sofort zu Spritzmitteln greifen, tauchen bald Marienkäfer auf, die pro Tag nicht weniger als 50 Blattläuse vertilgen. Bis sich die Larve des Marienkäfers verpuppt, frisst sie bis zu 400 – 600 Blattläuse. Die grosse Brennnessel trägt einen wesentlichen Beitrag zu einem geschlossenen Kreislauf bei, weshalb sie meines Erachtens punktuell unbedingt stehengelassen werden sollte.

Wildblumen und Vogelbad
Ich persönlich bevorzuge einen insektenfreundlichen Rasen. In meinem, auch von vielen Vogelarten besuchten Garten, lasse ich beim Rasenmähen absichtlich Wiesenschaumkraut, Günsel, Braunelle, Gundermann oder Weissklee in Inseln stehen. Sie werden fasziniert beobachten können, wie diese Blumen von Schmetterlingen wie z. B. dem Aurorafalter, von Honig- und Wildbienen, Hummeln und Schwebfliegen zur Nektargewinnung besucht werden. Eine entspannende Freizeitbeschäftigung, zumindest aus meiner Sicht. Zu Unrecht werden viele hübschen Blume im Rasen nicht toleriert. Sollten Sie keinen eigenen Rasen oder Garten haben, können Sie Wildblumen z. B. auch in einen Topf auf Ihrem Balkon aussäen. Lassen sie den Topf den Winter über stehen. Vögel holen sich dort gerne Samen, z. B. die der Sonnenblume.

Die Möglichkeiten zur Erhaltung einheimischer Pflanzen- und Tierarten sind unendlich und hier längst nicht alle aufgeführt. Ich ermuntere Sie in allererster Linie dazu, sei es im Garten oder auf dem Balkon, nicht immer sofort zu chemischen Spritzmitteln, zur Schere oder zum Besen zu greifen. Falllaub im Herbst sollten Sie mit Bedacht zusammenkehren. Überdenken Sie den Griff zum Laubbläser. Sie nerven damit vermutlich nicht nur Ihre Nachbar*innen, sondern zerstören Lebensräume vieler Käfer, Asseln, Tausendfüssler und Spinnen, vor allem durch den Einsatz des Laubbläsers auf Wiesen und unter Bäumen. Sofern Sie genug Platz in Ihrem Garten haben, tragen Sie das Laub besser mit dem Laubrechen zu einem Haufen in einer ungestörten Ecke zusammen. Der Igel schätzt grosse Laubhaufen, sie bieten ihm das perfekte Bett zum Winterschlaf. Ich wünsche Ihnen ein erfolgreiches, gesundes neues Gartenjahr und bestärke Sie darin, dem Begriff «Biodiversität» im kommenden Jahr besonders viel Aufmerksamkeit zu schenken, sollten Sie dies nicht schon längst tun.

Gabriela Gerber, ist gelernte Staudengärtnerin, kaufm. Angestellte und dipl. Arbeitsagogin. Sie ist als Berufsbildnerin in der Vorlehre Integration an der Gartenbauschule Oeschberg in Koppigen BE tätig. In ihrer Freizeit sammelt sie gerne Pilze, kocht gerne und liebt die Natur.
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