Was Bonobo und Mensch unterscheidet

 

Sexualität ist etwas sehr Persönliches. Aber auch etwas Überpersönliches. Die Evolution hat uns diese enorme Anziehungskraft mitgegeben, um unseren Fortbestand zu sichern. Hätte sie auf unsere Vernunft gesetzt– etwa so: «Schau Schatz, wenn wir es nicht tun, dann gibt es uns in Tausend Jahren nicht mehr.» – hätten sicher viele Gegenargumente den Fortbestand unserer Spezies behindert: «Jetzt nicht, Liebling. Können nicht die Nachbarn etwas für die Menschheit tun?»



Sexuelle Anziehung ist effektiver: Sie bringt Menschen aller Zeiten dazu, Regeln, Hierarchien, Gewohnheiten und Argumente ausser Kraft zu setzen – und dabei gelegentlich Nachkommen zu zeugen.

Wenn Sie die Weltmacht Sexualität in Aktion sehen wollen, dann gehen Sie in den Zoo zu den Bonobos: Fast unaufhörlich sind unsere nahen Verwandten miteinander im Verkehr, beschwichtigen Streitigkeiten mit Lust und lassen Konkurrenz, Mangel und Einsamkeit gar nicht erst aufkommen – es gibt doch genug für alle.

Wir Menschen haben einen anderen Weg eingeschlagen, denn mit dieser unberechenbaren Kraft der Sexualität liessen sich keine Pläne verfolgen, keine Armeen und Besitztümer wahren, keine Weltreiche aufbauen. Alle Zivilisationsstufen versuchten anders, Sexualität in den Griff zu kriegen: Sie haben sie zelebriert oder tabuisiert, mit Scham belegt oder für Kriege genutzt, in akzeptierte und nicht-akzeptierte Formen gepresst, für Werbezwecke eingesetzt und in Talkshows zerredet.

Eines ist klar: Eine so immense Kraft lässt sich nicht ganz unterdrücken. Wenn wir es versuchen, bricht sie meistens auf wilde Weise irgendwo anders aus. Wir können ihr aber auch nicht einfach ungebremst folgen und glauben, sie werde sich schon von allein harmonisieren. Was also tun? Meine Antwort darauf ist: Lasst uns Tempel der Liebe aufbauen. Orte, geführt von erfahrenen Menschen, denen nichts Menschliches und Erotisches fremd ist. Menschen aller Altersstufen sind willkommen. Sexualität wird hier als etwas Heiliges behandelt – nicht schmutzig, nicht kommerziell, nicht therapeutisch, nicht als Leistungsdruck, sondern lebendig. Hier können Paare sich ausserhalb ihrer gewohnten vier Wände begegnen und dieses Heilige zelebrieren. Einzelne können jemanden finden, der zu ihnen passt. Philosophinnen und Künstler finden hier neue Inspiration. In Gesprächen und Gruppen können Menschen Fragen klären, die sie beschäftigen wie: Warum ist meine Lust gerade da besonders gross, wo es sich nicht schickt? Ist meine Neigung eigentlich pervers? Wie geht es anderen Frauen / Männern in meinem Alter? Welche Worte braucht meine Lust? Oder: Habe ich ein inneres Geschlecht?

In meiner Fantasie entfalten diese Tempel der Liebe eine enorme Bedeutung. Vielleicht findet ein junger Mensch nach einem Wochenende im Tempel den Mut, seinem eigentlichen Traum zu folgen – finden Menschen ihr klares Ja und Nein füreinander – werden Entscheidungsträger klarer sehen, was gebraucht wird – erfahren wir alle mehr über Freude ausserhalb von Konsumwahn und Ablenkung. In jedem Fall wäre es ein Versuch, unseren Bonobo-Anteil nicht zu leugnen und gleichzeitig human und weise mit ihm umzugehen.

Wenn wir wollen, bleibt es keine Fantasie.

 

Leila Dregger ist Journalistin und Buchautorin. Sie begeistert sich für gemeinschaftliche Lebensformen, lebte u. a. über 18 Jahre in Tamera, Portugal, sowie in anderen Gemeinschaften. Am meisten liebt sie das Thema Heilung von Liebe und Sexualität sowie neue Wege für das Mann- und Frau-Sein.

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