Liebe, Lust und Essen

Ich will mich mit dir langweilen», sagte mein Liebster auf die Frage, wie wir unseren zweiten Hochzeitstag feiern wollen. Ich dachte an ein Fest, einen Ausflug oder Restaurant-Besuch mit Freunden. Aber langweilen? Tun das nicht nur Paare, die sich keine Mühe mehr umeinander geben? Sollte man sie nicht absolut vermeiden?



Vo
r Jahren, im Zustand akuten Liebeskummers, fragte ich meine damalige Mitbewohnerin um Rat: Was kann ich tun, damit mehr Liebe in mein Leben kommt? Ich wollte unbedingt wissen, was ich tun kann, damit sich jemand so in mich verlieben würde, dass er auch nach den ersten Stürmen bei mir blieb. Ihre Antwort fiel pragmatisch aus: «Mehr Liebe? Du stehst doch gerne früh auf. Mach dir zur Gewohnheit, für alle anderen in der WG den Kaffee vorzubereiten. Damit erzeugst du Liebe.»

Ein guter Hinweis, finde ich heute – wer mehr Liebe braucht, sollte sie erstmal verschenken, nicht nur durch sehnsüchtige Blicke, sondern durch konkretes, liebendes Tun. Inzwischen macht es mir Freude, mir täglich etwas Neues für meine Liebsten zum Frühstück auszudenken – vielleicht eine Brioche? goldgelbe Pfannkuchen mit Apfelmus? Rühreier mit frischen Tomaten? Buchweizencracker? Beerenmüsli?

Mit kaum etwas kann man so sicher Wohlgefühl und Liebe generieren als mit gutem Essen. Angeregte Geschmacksnerven, ein wohlig gefüllter Bauch, Fülle und Verwöhnt-Werden – woran erinnert uns das? Ans Kind-Sein! An jemanden, der es gut mit uns meinte, dem wir wichtig waren. Ob wir selbst als Kind so ein Umsorgt­sein erlebt haben oder nicht: Wir können es immer schenken – und werden dann auch empfänglicher dafür, es von anderen anzunehmen.

Magen und Herz haben also eine enge Beziehung. Doch nicht nur die Liebe geht durch den Magen – auch die sexuelle Lust wird davon beeinflusst, was – und wie – wir essen. Ein mundendes Essen regt eben alle Körpersäfte an und steigert auch den Appetit aufeinander, so kann eine gemeinsame Mahlzeit ein geniales Vorspiel für schönen Sex sein. Sinneanregend finde ich dabei nicht so sehr das Bekannte, sondern ungewöhnliche Geschmacksreize. Nicht so sehr die Sättigung, sondern die Zelebration des Essens. Überraschende Zusammenstellungen von weich und knusprig, von scharf und süss, von cremig über glitschig bis bröselig, von heiss und kalt öffnen die Geschmacksnerven und die Sinne, sorgen für eine erregende Durchblutung des Körpers und möglicherweise auch eine euphorische Gesamtstimmung.

Bestimmte Gerichte sind in ihrer aphrodisischen Wirksamkeit bekannt – man denke an Spargel, Chili-Schoten oder Austern. An Gewürze wie Zimt oder Ingwer. Diese «Scharfmacher» besitzen Inhaltsstoffe – Fettsäuren, Vitamine und Ballaststoffe –, die Hormone beeinflussen und Potenz und Lust steigern können. So weit die materielle Erklärung.

Ich persönlich brauche die gar nicht. Mein Appetit auf mehr wird geweckt, wenn ich mir einfach vorstelle, wie sich eine Erdbeere im Mund anfühlt – diese glatte, glänzende Haut mit den kleinen Nüsschen darauf, das wattige, saftige Innere, in das meine Zunge vorstösst. Oder wie eine Artischocke den Gaumen herunterrutscht. Oder den Geschmack einer sonnengereiften, leicht mit Salz und Zitronensaft bestreuten Avocado. Lust ist mehr als das Ergebnis chemischer Prozesse. Sie entsteht durch geöffnete Sinne, Aufmerksamkeit und Hingabe an den Genuss. Durch die Bereitschaft, immer wieder etwas Neues zu probieren, uns noch etwas tiefer aufeinander einzulassen und neue Grenzen zu erkunden.

Guten Appetit aufeinander!

 

Leila Dregger ist Journalistin und Buchautorin. Sie begeistert sich für gemeinschaftliche Lebensformen, lebte u. a. über 18 Jahre in Tamera, Portugal, sowie in anderen Gemeinschaften. Am meisten liebt sie das Thema Heilung von Liebe und Sexualität sowie neue Wege für das Mann- und Frau-Sein.

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