Eine unmögliche Frage

«Liebst du mich?» Scheinbar eine ganz einfache Frage. Dennoch staune ich über Menschen, die darauf überzeugend und wie aus der Pistole geschossen mit «Ja!» antworten können. Und etwas anderes als ein Ja will das Gegenüber auch gar nicht hören. Jegliches Zögern, Nachdenken oder In-sich-Hineinfühlen wird als «Nein» wahrgenommen und löst eine Beziehungskrise mittleren Grades aus. Wer dem anderen diese Frage stellt, will meistens eine Versicherung hören, etwas auf das er oder sie bauen und später auch einmal pochen kann.

Aber gerade in einer guten Liebesbeziehung dürfen wir über diese Frage ehrlich nachdenken und -fühlen. Denn es gibt Momente, wo ich meinen Lieblingsmenschen nicht liebe. Liebe heisst für mich auch, an diesen Stellen ehrlich zu sein. Zeitweilig den Partner nicht zu lieben, kann viele Gründe haben, die nicht sofort Trennung bedeuten. Vielleicht hat mein Liebster gerade etwas getan, was mich ärgert, empört, triggert. In dem Moment empfinde ich nicht Liebe. Sondern eher den Wunsch, ihn auf den Mond zu schiessen. Liebe heisst dann – oft mit einer kleinen Besinnungspause – dass wir uns aussprechen, korrigieren, wieder versöhnen und aufs Neue lieben können.

Aber gerade nicht zu lieben, kann auch mit mir selbst zu tun haben. Es gibt leider zu viele Momente, wo ich nicht in Liebe bin, sondern gestresst, unleidlich oder genervt. Dann liebe ich noch nicht einmal mich selbst. Geschweige denn irgendjemand anderen. Wenn ich aber in einem liebenden Zustand bin, dann liebe ich – und zwar nicht nur meinen Partner. Meine Liebe umfasst den Sonnenschein, der in den Blättern spielt, die attraktive Frau gestern am Bankschalter, die Ärzte, die in Gaza unter furchtbaren Bedingungen Menschen versorgen – und natürlich mich selbst. Denn dann liebe ich. Punkt. Ohne Objekt.

Liebe, das ist ein sehr weiter, grosser Raum in uns. Wenn wir darin sind, blüht das Leben. Dann wollen wir unsere Liebe ausdrücken, aus Liebe handeln. So ist das Leben gemeint, finde ich. Und wenn wir in diesem weiten Raum einem Menschen intimer begegnen, dann kann uns dieses Wunder des gegenseitigen Erkennens geschenkt werden. Etwas Schöneres kenne ich nicht. Dann wollen wir Hochzeit halten, die Welt umarmen, unsere Freude heraus singen und ganz still werden – alles gleichzeitig.

Doch mit hoher Wahrscheinlichkeit wird dieser Moment im Alltag wieder vergehen. Dann ist es hilfreich, wenn uns jemand an den grossen weiten Raum erinnert – zum Beispiel durch eine Frage. Aber lieber eine Frage mit weniger Erwartungsdruck wie bei: Liebst du mich? Wie wäre es mit: Was geschieht, wenn du liebst? Oder: Was liebst du, wenn du liebst?

Wenn ich mich auf diese Frage einlasse, dann ist die erste Antwort tatsächlich: Ich liebe dich. Und in meiner Liebe zu dir erkenne ich etwas, das mehr, tiefer, weiter ist als nur eine Person. Je mehr ich ergründe, was ich da liebe, finde ich etwas Ewiges, das nie nur mir gehören kann, und etwas unendlich Vertrautes – so, als hätte es schon immer zu mir gehört.

Wer also seine Liebste über die Liebe befragt und es ehrlich meint, mache sich bereit zu einer Erkundungsreise ohne Sicherheitsgurt und Fallschirm. Der Mystiker Osho sagte es so: «Jede Liebesbeziehung ist ein Pfeil, der auf die letzte und höchste Liebesbeziehung zufliegt.»

Zurück zum Blog