Zauberhaftes Wundheilmittel Würzkraut

Einheimische Wildpflanzen bieten unverfälschte Aromen und lebenswichtige Nährstoffe. Die Gundelrebe zeichnet sich aus durch ihren würzigen Geschmack und ihre vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten.

Yves Scherer

Vielleicht geht es Ihnen manchmal auch so: Sie haben gerade nichts zu tun, der Alltag schenkt Ihnen eine Pause und plötzlich entdecken Sie etwas, das schon immer da war, Sie bisher aber übersehen haben. So erging es mir mit der Gundelrebe (Glechoma hederacea). Sie wächst fast überall und doch habe ich sie lange Zeit kaum bemerkt. Seit ich die Gundelrebe entdeckt habe, ist sie mir ans Herz gewachsen. An einem Weiher setze ich mich zu ihr hin. Sie ist sehr hübsch anzuschauen. Die violett blühenden Sprosse stehen dicht beieinander und bilden ein kleines Wäldchen. Die Triebspitzen wirken wie kleine Flügelchen und verleihen der Pflanze etwas Elfenhaftes.

Lange betrachte ich dieses Gundelrebenwäldchen. Es strahlt eine heitere, unbekümmerte Atmosphäre aus. Hummeln brummen im Zick-zack-Kurs um die Blüten herum. Wenn sie sich darauf setzen, biegen sich die feinen Triebe nach unten. In ihrer wortlosen Pflanzensprache scheint die Gundelrebe einen munteren Monolog zu brabbeln – über Licht und Schatten, über den Regen der vergangenen Nacht und das emsige Treiben der Ameisen, die sich im elfenhaften Gundelrebenwäldchen ein neues Nest bauen. Der kurze Moment bei dieser Pflanze hat definitiv meine Fantasie beflügelt.

Vielleicht ist es diese stille Beredtheit, die eine magische Aura um die Gundelrebe gelegt hat. Ein Kranz aus den geflochtenen Ranken galt früher als zauberkräftiger Schutz vor schlechten Energien und konnte hellsichtig machen. Wenn die Kuh keine Milch mehr gab, rieben die Bauersleute den Euter mit Gundelreben ein und gaben dem Vieh die Heilpflanze ins Futter. Der Zauberspruch dazu: «Kuh, da geb ich dir die Gundelreben, dass du mir die Milch wollst wiedergeben.»

Jacob Grimm, einer der beiden Gebrüder Grimm, die als Märchen- und Sagenforscher Überreste heidnisch-germanischen Kulturgutes festhielten, brachte die Gundelrebe mit der Walküre Gunnr/Gunder in Verbindung. Die weiblichen Geistwesen der nordischen Mythologie geleiteten die ehrenvoll gefallenen Krieger an Odins reich gedeckte Tafel von Walhalla. Der Bezug zu kriegerischen Auseinandersetzungen ist kein Zufall. Tatsächlich ist die Gundelrebe ein erstklassiges Wundheilmittel. Der altgermanische Begriff «Gund» bedeutet fauliges Wundsekret oder Eiter. Andere Namen für diese Pflanze sind: Gundermann, Erd-Efeu, Wundrebe oder Guck durch den Zaun – um nur einige zu nennen. Die wissenschaftliche Bezeichnung lautet Glechoma hederacea, was soviel bedeutet wie efeuartige Poleiminze.

Das vielseitige Würzkraut

Der mehrjährige Lippenblütler ist ein Kulturfolger. Wie schillernde Schlangen breiten sich seine Ausläufer über den Boden aus. Obwohl die Gundelrebe zu den Wildkräutern zählt, lässt sie sich gut im Garten ziehen. Ich setze sie gerne zwischen die Kulturpflanzen, wo sie den Boden vor Austrocknung und Erosion schützt. Ihre dichten Polster reduzieren auch andere Beikräuter. Im Frühling richten sich die blühenden Sprosse auf und locken mit ihrem aromatischen Duft Bienen und Hummeln an. Und wenn die Gundelrebe doch einmal zu üppig wuchert, lässt sie sich sehr einfach ausjäten.

Manche Gärtner*innen sehen in dieser vitalen Pflanze ein Unkraut. Zu Unrecht wie ich finde, denn sie liefert das ganze Jahr über wertvolle Nährstoffe und lässt sich vielseitig verwenden. Zum Würzen von Suppen, Salaten, Saucen und Eintopfgerichten genügen einige wenige Blättchen. Sie verleihen jedem Gericht eine herb-aromatische Note. Auch Kräuterweine und Speiseöle lassen sich mit dem Kraut aromatisieren. Vor der Einführung des Hopfens war die Gundelrebe eine beliebte Bierwürze, vor allem in England.

Die historische Anwendung der Gundelrebe

Winterharte, immergrüne Pflanzen symbolisieren das ewige Leben. Hildegard von Bingen nannte diese grüne Lebenskraft «Viriditas». Im frühen 12. Jahrhundert schrieb die heilkundige Äbtissin: «Es ist eine Kraft aus der Ewigkeit und diese Kraft ist heilsam.» Die Gundelrebe empfahl sie bei Erkrankungen der Bronchien und zur Behandlung von langwierigen, auszehrenden Erschöpfungszuständen. Auflagen aus abgekochtem Kraut setzte sie gegen Ohrenentzündungen ein. Aus dem späteren Mittelalter sind Gundelrebenanwendungen gegen Nieren-, Leber- und Lungenleiden überliefert.

Gemäss der Signaturenlehre deuten die nierenförmigen Blätter auf einen engen Bezug zur Niere hin. Entsprechend wird die Gundelrebe als Heilmittel für den Urogenitaltrakt angesehen. Wenn bei Nieren- und Blasensteinen eine Operation noch nicht erforderlich ist, mag ein kräftiger Gundelrebentee Linderung verschaffen. Dem einfachen Landvolk war das getrocknete, pulverisierte Kraut ein beliebtes Mittel gegen die Schwermut. Um Depressionen aufzulösen, wurde das Pulver dem Schnupftabak beigemengt und in die Nase hochgezogen.

Eine Pflanzenmedizin mit breitem Wirkspektrum

Gundelrebe enthält ein reichhaltiges Wirkstoffgemisch aus ätherischen Ölen, Gerbstoffen, Bitterstoffen, Flavonoiden, Phenolcarbonsäuren, Terpenen, Saponinen, Vitamin C und Kalium. Sie wirkt entzündungswidrig, antibakteriell, appetitanregend, schleimlösend und verdauungsfördernd. Bei Entzündungen der Mund- und Rachenschleimhaut mit festsitzendem Schleim und bei Zahnfleischbluten hilft der gerbstoffreiche Tee als Gurgelspülung. Um reichlich Gerbstoffe herauszulösen, sollte man den Aufguss mindestens 10 Minuten ziehen lassen. Alle eitrigen Entzündungen können damit behandelt werden, etwa Akne oder bakterielle Vaginose.

Die Pflanze ist ein natürliches Antibiotikum. Sie regt den Stoffwechsel an und kräftigt den gesamten Organismus. Neuere Studien bestätigen die antibakterielle Eigenschaft und belegen zudem eine antioxidative sowie eine krebs- und tumorhemmende Wirkung. Gundelrebentee eignet sich zur Begleitung einer Entgiftungskur. Entgiftend wirkt auch ein Smoothie. Ich püriere das Kraut gerne zusammen mit Brennesseln zu einem stärkenden, herb-aromatischen Frühjahrstrunk.

Gundelrebeblättchen verwendet man am besten frisch. Die blühenden Triebspitzen können von Anfang April bis Ende Juni gesammelt werden. Der Tee aus getrocknetem Kraut schmeckt milder als die rohen Blättchen. Um die fettlöslichen ätherischen Öle zu binden, sollte man etwas Milch, Butter oder einige Tropfen Öl in den Tee geben.

Sammeltipp

Mit etwas Übung lassen sich die herzförmig gekerbten Blätter der Gundelrebe gut von anderen Wilkräutern unterscheiden. Die Blättchen haben einen Blattstiel, stehen kreuzgegenständig und in weiten Abständen zwischen den Blattpaaren am Stängel. Eine Verwechslungsmöglichkeit besteht mit dem kriechenden Günsel (Ajuga reptans), der ebenfalls blau blüht, jedoch deutlich kleinere, ganzrandige Blätter ohne Blattstiel hat. Auch die purpurrote Taubnessel (Lamium purpureum) ähnelt der Gundelrebe. Doch die Blätter verjüngen sich nach oben und bilden pyramidenförmige Triebspitzen. Die Blüten stehen in dicht gedrängten Scheinquirlen. Aber keine Sorge: Alle drei Pflanzen sind wertvolle Wildkräuter. Eine Verwechslung dieser Lippenblütler ist ohne Folgen.

 

Anwendungen

Gundelrebe-Kompresse

Zur Behandlung von Hauterkrankungen und oberflächlichen Wunden

  1. Zwei Handvoll frische Gundelrebe waschen und kleinhacken. Aus einer Hälfte des Krautes einen Tee machen und 10 Minuten ziehen lassen.
  2. Ein sauberes Baumwolltuch mit dem Tee tränken, leicht auswringen und ausbreiten. Die andere Hälfte des Krautes in das Tuch einschlagen.
  3. Die handwarme Kompresse auf die Haut auflegen und mit einem zweiten Tuch, einer Mullbinde oder mit Frischhaltefolie umwickeln.

Die Kompresse 20 bis 30 Minuten aufgelegt lassen und mehrmals erneuern.

Wunderblättchenöl nach Susanne Fischer-Rizzi

Ein sauberes Schraubglas mit frischer Gundelrebe dicht befüllen und an der Sonne stehen lassen. Nach einigen Tagen sammelt sich am Boden des Glases eine ölige Flüssigkeit, die stark wundheilende Eigenschaften aufweist. Es kann entweder direkt auf die Haut aufgetragen oder in eine Salbe eingearbeitet werden. In einem dunklen Glas kühl gelagert, hält sich das Wunderblättchenöl einige Wochen. Wer es besser konservieren will, kann das Öl mit Schnaps versetzen und so eine Tinktur herstellen.

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