Natürliche Heilmittel aus der eigenen Küche

Manche Heilmittel aus Pflanzen lassen sich auch zuhause herstellen. Die Nachfrage nach entsprechenden Seminaren ist gross. Für eine gute Heilwirkung gilt es jedoch einiges zu beachten.

Fabrice Müller

In den Kräuterbüchern des Mittelalters erwähnen Leonhart Fuchs oder Hildegard von Bingen die Anwendung der Blutwurz (Tormentill) als Heilmittel bei Entzündungen, besonders im Mundund Rachenraum, bei Fieber, Durchfall, Ruhr und Pest. «Die Anwendungsbereiche Durchfall und Entzündungen im Mund- und Rachenraum sind für Blutwurz auch heute noch plausibel», sagt Martin Koradi aus Winterthur, diplomierter Drogist mit Spezialisierung auf Phytotherapie, Kräuterbuchautor und Dozent für Heilpflanzenkunde für Berufsleute wie auch für Laien. Auch als Blutstillmittel bei kleinen, oberflächlichen Schnitt- und Schürfwunden bewähre sich das Tormentillwurzelpulver. «Blutwurz wird vor allem als Tormentilltinktur und als Blutwurzpulver eingesetzt. Es lohnt sich sehr, sich mit dieser Heilpflanze intensiver auseinanderzusetzen», empfiehlt Martin Koradi.

Phytotherapie im Trend

In der Tat ist das Interesse an der Phytotherapie bzw. der Arbeit mit Heilkräutern in den letzten Jahren stark gestiegen. Nach einer Studie des Instituts für Demoskopie in Allensbach verwendeten 73 Prozent der Bevölkerung in Deutschland Naturheilmittel; 1950 waren es nur 50 Prozent. Das Vertrauen in pflanzliche Arzneimittel scheint gross zu sein: 92 Prozent der Befragten berichteten von Behandlungserfolgen. Unerwünschte Effekte befürchteten sie viel seltener als bei chemisch definierten Arzneimitteln. Doch nicht nur das Interesse an Heilkräuterpräparaten an sich ist gestiegen: Immer mehr Menschen entdecken für sich die Faszination, aus Heilkräutern selber Tees, Tinkturen oder Salben herzustellen. Dies kann Martin Koradi, der sich seit mehr als 40 Jahren mit Heilkräutern und der Vermittlung von Fachwissen in Kursen und Lehrgängen beschäftigt, bestätigen: «Ich stelle in den letzten zehn Jahren eine steigende Nachfrage nach Heilkräuterseminaren fest, nicht nur bei Berufsleuten, sondern vor allem auch bei Laien.»

Mehr Transparenz

Woher kommt der Wunsch, bei sich zuhause in der Küche selbst Heilmittel herzustellen? Für Martin Koradi sind verschiedene Gründe mit im Spiel. Das zunehmende Misstrauen gegenüber Herstellern, Ärzten, Apothekern und der Wissenschaft an sich habe bei gewissen Personen zu diesem Trend geführt. «Wer zuhause Heilmittel herstellt, hat in der Regel die volle Transparenz bei der Zusammensetzung der Präparate.» Die Freude am Handwerk, am Sammeln von Kräutern in der Natur und am Herstellungsprozess sei ein weiterer Grund, weshalb die Eigenproduktion von Heilmitteln zuhause zugenommen habe. Doch Martin Koradi warnt: «Oftmals überschätzen sich die Leute und erkennen nicht, dass man differenzieren muss, wann ein gesundheitliches Problem mit eigenen oder professionell hergestellten Heilmitteln behandelt werden muss.»

Hintergründe kennen

Heilmittel aus Kräutern selbst herzustellen, bedeutet laut Martin Koradi, zu lernen, wo man fundiertes Wissen finden kann und wie man es beurteilt. Das Internet sei voll von Informationen über Heilkräuter, doch oftmals setzten sich die Menschen zu wenig mit den Hintergründen der Pflanzen auseinander. «Wer die zufällig im Internet gefundenen Informationen nicht differenzieren kann, läuft Gefahr, Heilmittel herzustellen, die nicht die gewünschte Wirkung haben oder mehr schaden als nützen», betont der Heilpflanzenspezialist. In seinen Kursen lernen die Teilnehmenden unter anderen, welche Arzneiformen für welche Kräuter und welche Beschwerden die passenden sind. Baldrian beispielsweise entfalte seine Wirkung als Tee anders als in Form einer Tinktur oder eines Extrakts. «Die Form ist essentiell für die Heilwirkung», sagt Martin Koradi, «denn je nach Arzneiform ist die Wirkstoffkonzentration unterschiedlich.»

Tee zu Unrecht unterschätzt

Der Heiltee sei für Laien am einfachsten herzustellen und für viele Beschwerden geeignet. Hinzu kommt: «Beim Tee spielt auch die Wirkung des Rituals eine Rolle. Wer sich bewusst Zeit nimmt für den Tee und diesen vielleicht am Abend bei Kerzenlicht geniesst, profitiert noch mehr davon», ist Martin Koradi überzeugt. Leider werde der Tee in seiner Heilwirkung oft unterschätzt, weil er gegenüber anderen Präparaten sehr günstig ist. Zu Unrecht: Die Wirkstoffkonzentration in der Tinktur ist zwar oft grösser, aber weil beim Tee grössere Mengen zugeführt werden, ist die Wirkstoffzufuhr in den Körper schlussendlich meist höher. Die Melisse beispielsweise ist für ihren frischen Zitronenduft bekannt. Als Tee zubereitet, entfaltet sie bei innerer Unruhe, Einschlafstörungen oder nervösem Magen ihre entspannende Wirkung. Andere Heilmittel pflanzen hingegen wie zum Beispiel Kümmel eignen sich laut Martin Koradi besser für Tinkturen, weil sich das ätherische Öl des Kümmels (siehe auch Info-Box) im Wasser nicht gut auflöst.

Salben herstellen

Neben Heiltees und Tinkturen bieten sich Salben aus Heilkräutern für die Selbstherstellung an. Als Basis empfiehlt Martin Koradi Olivenöl, Bienenwachs oder Wollfett. «Diese Zutaten sind stabile Träger und eignen sich gut als Grundlage für eine Salbe mit Kräutern.» Während das Öl bereits flüssig ist, muss das Bienenwachs im heissen Wasserbad verflüssigt werden. Im Gegensatz zu industriell produzierten Salben ist die Haltbarkeit von Eigenprodukten beschränkt, weil sie in der Regel über keine Konservierungsstoffe und Emulgatoren verfügen. Begrenzt ist – so Martin Koradi – auch das Anwendungsspektrum von Heilsalben: «Für die Wundheilung verwendet man heute keine Salben mehr. Sie kommen vor allem bei Entzündungen sowie Muskel- und Gelenkschmerzen zum Einsatz.» Äusserlich schmerzstillend wirkt der Paprika-Wirkstoff Capsaicin. Da er in zu hoher Konzentration stark hautreizend wirken kann, muss er genau dosiert werden. Capsaicin-Salben eigen sich daher nicht für die Eigenproduktion. Sie müssen in der Apotheke hergestellt werden. Gegen Gelenkschmerzen und stumpfe Verletzungen werden auch Salben aus Beinwellwurzeln (Wallwurz) angewendet.

Erntezeit ist entscheidend

Wer eigene Heilmittel zuhause herstellen will, braucht die entsprechenden Kräuter dazu. Beim Sammeln von Kräutern auf Wiesen und im Wald appelliert Martin Koradi, sich an die Naturschutzregeln zu halten und an Orten, wo nur wenige der gesuchten Kräuter wachsen, nicht alle auszureissen. Auf diese Weise verhindere man ein Aussterben bestimmter Arten in einem Gebiet. Weiter hänge die Wirkung einer Heilpflanze auch vom Erntezeitpunkt ab. Die Weissdornblüten etwa, die eine vielfältige Wirkung auf das Herz und die Gefässe haben, pflückt man am besten im Frühjahr, während die Weissdornblätter im Spätsommer ihre volle Heilwirkung entfalten. «Gewisse Pflanzen benötigen mehr Zeit, um ihre Wirkstoffe anzureichern. Und bei manchen Pflanzenarten – zum Beispiel bei der Schafgarbe – gibt es genetische Unterarten, die im Wirkstoffgehalt stark unterschiedlich sind», sagt Martin Koradi. Auch die Frage, ob man einen Heiltee mit frischen oder getrockneten Kräutern ansetzen soll, ist für die Heilwirkung entscheidend. «Frische Pflanzen verfügen noch über dichte Zellwände. Sie lassen das heisse Wasser nur begrenzt ins Zellinnere, während bei welken Blättern die Zellwand löchrig ist», begründet Martin Koradi. Eine Ausnahme bilde der Melissentee: Ihn sollte man aus frischen Blättern anrichten, weil ansonsten nach ein paar Wochen das Aroma verloren gehe.

Dosierung und Zubereitung

Auch auf die richtige Dosierung kommt es an. Wie Martin Koradi informiert, besitzen gewisse Pflanzen wie etwa die Tollkirsche oder der Fingerhut Inhaltsstoffe, die in zu grossen Mengen nicht heilsam, sondern giftig sind, und daher nicht in Eigenregie angewendet werden dürfen. Entscheidend für die Heilwirkung ist bei Tees die Dauer des Ziehens. «Je länger ein Tee gezogen wird, umso mehr Wirkstoffe werden den Kräutern entzogen.» Gewisse Heilpflanzen werden gerne mit Doppelgängern verwechselt, die ihnen ähnlich sind – zum Beispiel der Bärlauch mit den hochgiftigen Herbstzeitlosenblättern. «Deshalb ist es wichtig, bevor man mit der Eigenherstellung von Heilmitteln beginnt, zuerst die Heilpflanzen kennen zu lernen», betont Martin Koradi. Dann würde man unter anderem erfahren, dass die gerne unterschätzte Pfefferminze etwa ein Segen bei Verdauungsproblemen ist oder der Schwarztee dank seines hohen Gerbstoffanteils als Umschlag gegen nässende Wunden, Hautentzündungen und nässende Ekzeme hilft.

Link-Tipp: www.phytotherapie-seminare.ch

 

 

Tormentillwurzel (Blutwurz) bei Durchfall und Wunden

Blutwurz (Potentilla erecta) kommt in den Bergen ziemlich häufig vor. Die Tormentillwurzel enthält viel Gerbstoffe.

Das Blutwurzpulver eignet sich eingerührt in etwas Flüssigkeit zur Behandlung von akuten Durchfällen, zum Beispiel auf Reisen. Äusserlich kann es zur Blutstillung bei kleinen, oberflächlichen Schnittund Schürfwunden aufgestreut werden.

Tormentilltinktur eignet sich 1: 5 verdünnt mit Wasser gut zur lokalen Behandlung von Aphthen, Zahnfleischentzündungen und Mundschleimhautentzündungen (mit Wattestäbchen auftupfen).

Quelle: Martin Koradi

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