Die Schutzpflanze für das Herz
Weissdorn – der heilige Baum der Kelten – ist die bekannteste Heilpflanze zur Vorbeugung und Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Yves Scherer

Frühling in der Grafschaft Pembrokeshire in Wales. Meine Frau und ich verbringen einige Tage in der Nähe der Preseli-Berge, von wo die Blausteine des Megalith-Baudenkmals Stonehenge im Süden Englands stammen sollen. Der felsgekrönte Hügelzug erhebt sich über den frühmorgendlichen Dunst der weitläufigen Moorlandschaft. Hinter unserer kleinen Hütte liegt ein uralter Steinkreis, umgeben von üppig blühenden Ginster- und Weissdornsträuchern.
Es tut gut, in dieser wilden Landschaft zu verweilen, weit weg vom hektischen Trubel der Stadt. Ich gehe barfuss durch das weiche Gras und sammle Weissdornblüten. Büschelweise breche ich die weichen, weissen Blüten von den Sträuchern und fülle sie in einen Korb. Hinter dem Steinkreis haben halbwilde Pferde die Nacht verbracht. Behutsam nähere ich mich der Herde und setze mich auf den Boden. Gemächlich erhebt sich ein Pferd nach dem anderen, um zu grasen. Eines verlässt die Herde, kommt langsam näher und bleibt vor mir stehen. Das weisse Pferd beobachtet mich. Mildes Frühlingslicht flimmert über dem Moor und ein leichter Wind kommt auf. Aus dem vollen Korb duften die frischen Weissdornblüten.
Schwer zu bestimmende Arten Weissdornsträucher gedeihen in der kühl-gemässigten Klimazone der nördlichen Erdhalbkugel. Sie werden nicht selten über fünf Meter hoch und gleichen dann eher einem Baum als einem Strauch. Weissdorne können um 500 Jahre alt werden. Anfang Mai öffnen sich die Blütenknospen und bis in den Hochsommer hinein prangt üppiger Blütenschmuck am Strauch. Die Weissdornfrüchte, die sogenannten «Mehlfässchen», sind essbar und können von August bis September geerntet werden.
Die Gattung der Weissdorne (Crataegus) gehört zur grossen Pflanzenfamilie der Rosengewächse (Rosaceae). Die verschiedenen Arten kreuzen sich leicht, sodass ständig neue Hybriden entstehen. Unter Fachleuten ist deshalb umstritten, wie viele Weissdorn-Arten es tatsächlich gibt. Ursprünglich in Mitteleuropa heimisch sind der Eingriffelige Weissdorn (Crataegus monogyna), der Zweigriffelige Weissdorn (Crataegus laevigata) und der Grosskelchige Weissdorn (Crataegus rhipidophylla).
Wer seinen selbst gesammelten Weissdornblüten ein fachlich korrektes Etikett umhängen will, schreibt einfach: Weissdorn (Crataegus ssp.). Das Kürzel ssp. steht für Subspezies (Unterart).

Ein Symbol für Liebe und Schutz
Der wissenschaftliche Name der Gattung Crataegus entstammt dem griechischen Wort krataios, das «fest» oder «stark» bedeutet. Der Begriff bezieht sich wohl auf das harte Holz. Andere gebräuchliche Namen sind Christdorn und Mehlbeere.
Die Bezeichnungen Hagedorn und Heckdorn weisen darauf hin, dass der Weissdorn am Rande der Siedlung für Mensch und Vieh ein natürliches Gehege bildete, das Schutz und Sicherheit bot. Die keltische Mythologie verehrt Hawthorn als heiligen Baum und Sinnbild für Liebe und Schutz. Zur Bezeugung des Liebesbundes war es üblich, dass sich die Braut an der Hochzeit mit Weissdornblüten schmückte. Auf den Britischen Inseln finden sich bis heute Weissdornsträucher bei heiligen Quellen und Brunnen.

Herzmittel ohne Nebenwirkungen
In der modernen Phytotherapie ist Weissdorn wohl die bekannteste Arzneipflanze zur Unterstützung des Herzens. Weissdorn-Anwendungen können nebenwirkungsfrei bei allen Herz-, Kreislauf- und Gefässerkrankungen eingesetzt werden. Sie stärken die Durchblutung, die Reizleitungsfähigkeit und die Schlagkraft des Herzens, regulieren den Herzrhythmus und den Blutdruck.
Weissdorn eignet sich sowohl zur Vorbeugung als auch zur Behandlung und Nachsorge von kardiovaskulären Erkrankungen. Gut untersucht sind positive Effekte bei funktionellen und nervösen Herzbeschwerden, Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck, Kreislaufbeschwerden, koronarer Herzkrankheit und Herzinsuffizienz. Ausserdem senkt Weissdorn die Ausschüttung von Stresshormonen und bessert Atemnot, Herzklopfen, Erschöpfungs- und Angstzustände. Damit eignet sich die Pflanze auch zur Begleitbehandlung des Burn-out-Syndroms.
Die Heilwirkung des Weissdorns beruht vorwiegend auf der gefässschützenden Wirkung der Flavonoide, die vor allem in den Blättern und Blüten enthalten sind. Flavonoide sind hervorragende Antioxidantien. Sie schützen die Zellen vor aggressiven freien Sauerstoffradikalen, die vermehrt durch chronische Entzündungen, Genussmittelmissbrauch, Fehlernährung oder Stress entstehen.
Weissdorn eignet sich zur langfristigen Anwendung und darf bedenkenlos mehrere Monate lang eingenommen werden. Der therapeutische Effekt setzt nach etwa zwei Wochen ein, baut sich dann allmählich auf und erreicht die volle Wirkung nach 5–6 Wochen. Übliche Anwendungen sind Tee oder Tinktur aus Blüten und Blättern. Doch auch die Früchte haben eine kardioprotektive Wirkung und können mit den Blüten und Blättern zusammen aufgegossen werden. Um einer Herzschwäche infolge einer viralen Infektion vorzubeugen, darf Weissdorn auch in jede Grippeteemischung gegeben werden. Ausserdem hilft das mild wirkende Herzmittel, den Schlaf zu verbessern.
Die mehligen Weissdornfrüchte sind roh geniessbar, schmecken jedoch nicht besonders delikat. Man kann sie zusammen mit Äpfeln, Birnen, Quitten oder Brombeeren zu Konfitüren, Säften oder Chutneys verarbeiten. Getrocknet und gemahlen können sie mit ins Brot gebacken werden. Den Weissdornfrüchten wird eine positive Wirkung auf Magen und Darm zugeschrieben.

Stärkender Tee für das Herz
Verwendet werden die frischen oder getrockneten Blüten, Blätter und Früchte.
1–2 TL Droge mit 1 Tasse heissem Wasser übergiessen, 15 Min. bedeckt ziehen lassen, 3–4 Tassen täglich geniessen. Bei Bedarf mit Honig süssen. Zur Ergänzung des Weissdorns eignen sich folgende herzwirksame Pflanzen:
- Baldrian (Valeriana officinalis) beruhigend, angstlösend
- Eisenkraut (Verbena officinalis) beruhigend, leicht antidepressiv, verdauungsfördernd
- Grüner Haferkrauttee (Avena sativa) beruhigend, herzstärkend
- Herzgespann (Leonurus cardiaca) schwach blutdrucksenkend, verbessert die Sauerstoffversorgung des Herzens
- Hopfen (Humulus lupulus) beruhigend bei Herzklopfen in den Wechseljahren
- Lavendel (Lavandula angustifolia) beruhigend bei nervösen Herzbeschwerden
- Melisse (Melissa officinalis) stärkt das nervöse Herz
- Passionsblume (Passiflora incarnata) ausgleichend, blutdrucksenkend
- Rose (Rosa damascena) angstlösend, beruhigend, entspannend
- Rosmarin (Rosmarinus officinalis) steigert die Durchblutung des Herzens (nicht am Abend einnehmen, Rosmarin ist ein «Wachmacher»)