Die Heilkraft der Harze

Die heiligen drei Könige bringen Gold, Weihrauch und Myrrhe. Mit den wertvollen Baumharzen wird seit jeher geräuchert, um eine sakrale Stimmung zu erzeugen. Auch die Harze unserer Nadelbäume sind gute Räucherstoffe. Als Arzneimittel lindern sie Schmerzen, Erkrankungen der Atemwege und unterstützen die Wundheilung.

Yves Scherer

 


Auf den Waldweiden im Jura grasen Pferde und Kühe zwischen freistehenden Fichten, Tannen und Ahornbäumen. Es ist eine struktur- und artenreiche Kulturlandschaft, die seit dem Mittelalter extensiv bewirtschaftet und mit viel Aufwand gepflegt wird. Ich setze mich unter eine grosse, alte Fichte. Dieses mächtige Baumwesen vermittelt in seiner scheinbar zeitlosen Präsenz würdevolle Gelassenheit, Freiheit und Beständigkeit. Die Rinde am Stamm ist an mehreren Stellen abgebrochen. Der Spalt zwischen Rinde und freiliegendem Splintholz ist mit eingetrocknetem Harz überzogen, einem natürlichen Wundverschluss, der eindringende Bakterien und Pilze abtötet.


«Harz» nennt man den ausgetrockneten Balsam des Baumes, eine zähflüssig-klebrige Masse, die nördlich der Alpen nur von Nadelbäumen produziert wird. Eine Ausnahme ist die Eibe, sie produziert keinen Balsam. Die schneller wachsenden Laubbäume verschliessen Verletzungen an Stamm und Ästen mit einer Wulstnarbe (Kallus). An «meiner» Fichte ist genug Harz vorhanden, dass ich etwas davon mit einem Holzstöckchen abschaben kann. Das verbleibende Harz verstreiche ich vorsichtig, damit die verletzte Stelle gut bedeckt bleibt.


Immergrüne Zapfenträger

Wissenschaftlich werden Nadelbäume «Koniferen» genannt. Der Begriff stammt aus dem Lateinischen und bedeutet «Zapfenträger», von conus (= Zapfen oder Kegel) und ferre (= tragen). Koniferen sind sogenannte Nacktsamer (Gymnospermen). Ihre Samen sind nicht durch eine Frucht geschützt wie etwa bei einem Obstbaum, sondern durch einen Zapfen, der sich öffnet und den nackten Samen freigibt, wenn er ausgereift ist. Fichten, Tannen, Kiefern und Lärchen gehören zur Pflanzenfamilie der Kieferngewächse (Pinaceae). Das lateinische Stammwort für den Gattungsnamen Pinus lautet pix und bedeutet «Harz». Der Begriff «Kiefer» stammt vom althochdeutschen kien ab und bedeutet «harzreiches Holz».

Balsam für die Gesundheit

In der traditionellen Heilkunde des Alpenraumes sind Fichte (Picea abies), Tanne (Abies alba), Waldkiefer (Pinus sylvestris), Latschenkiefer (Pinus mugo), Arve (Pinus cembra), Lärche (Larix decidua) und Wachholder (Juniperus communis) wichtige Heilpflanzen. Ihr Harz und ihre ätherischen Öle werden zur Behandlung von Atemwegserkrankungen, rheumatischen Beschwerden und zur Wundbehandlung verwendet. Die Nadelbäume lagern ihre wohlriechenden Balsame in den Wurzeln, im Holz und in den Blättern. Sie sind von oben bis unten durchdrungen davon. Nicht selten lässt sich ein tiefhängender Zapfen vom Baum pflücken, aus dem Harz tropft. Der Balsam der Nadelbäume wird auch Terpentin genannt. Dass die Bäume diese Substanz das ganze Jahr über produzieren, hat seinen guten Grund. Das keimhemmende Gemisch aus Harzsäuren und ätherischen Ölen tötet nicht nur eindringende Mikroorganismen ab, es schützt die immergrünen Bäume auch vor extremen Temperaturschwankungen. Aromatische terpenoide Verbindungen werden von den Nadelbäumen auch in grossen Mengen an die Umgebungsluft abgegeben. Auf uns Menschen wirken sie entspannend und belebend zugleich. Ein Spaziergang im Wald lässt uns darum freier atmen. Die wohlriechende Waldluft senkt ausserdem die Pulsfrequenz und den Blutdruck und macht uns widerstandsfähiger.

Die ätherischen Öle werden durch Wasserdampf-Destillation der nadelförmigen Blätter gewonnen. Von Kiefern und Lärchen wird auch der frische Balsam destilliert. Das so gewonnene ätherische Terpentinöl hilft als Einreibemittel bei produktivem Husten, Nerven-, Muskel- und Gelenkschmerzen. Weil es stark hautreizend wirkt, darf man es nur verdünnt anwenden, zum Beispiel als Bestandteil einer Salbe. Die ätherischen Öle und Harze aller einheimischen Nadelbäume werden sehr ähnlich eingesetzt. Ihre Gemeinsamkeiten sind grösser als ihre Unterschiede. Sie wirken desinfizierend, durchblutungsfördernd, entzündungshemmend, wundheilend, schmerzstillend, schleimlösend, hustenstillend, krampflösend, kräftigend und blähungswidrig.

 

Zur Behandlung von akuten oder chronischen Atemwegserkrankungen hilft die Inhalation mit den ätherischen Ölen von Fichte, Tanne, Kiefer oder Lärche. Die im Wasserdampf fein verteilten Tröpfchen desinfizieren die Nasennebenhöhlen und Stirnhöhlen, entspannen die Bronchien, beruhigen den Husten und lösen festsitzenden Schleim.

Die kleinen Baumharz-Kügelchen kann man sogar kauen. Sie desinfizieren die Mundhöhle, beruhigen entzündetes Zahnfleisch und lindern den Husten. Der herb-bittere Harzgeschmack im Mund klingt nach ein bis zwei Stunden ab. Mit etwas Geduld lassen sich Baumharze auch in warmem Oliven- oder Mandelöl schmelzen. Dieses Harzöl ist geeignet für Einreibungen und als Grundlage für eine Wundheilsalbe (siehe Rezept).


Räuchern

Edle Naturharze wie Weihrauch, Myrrhe, Drachenblut oder Copal sind bekannte Räucherstoffe aus fernen Ländern. Doch auch die Harze und Blätter der einheimischen Nadelbäume eignen sich zum Räuchern. Fichtenharz kennt man auch unter dem Namen «Waldweihrauch».

Besonders während der Rauhnächte (oder Rauchnächte) zwischen dem 25. Dezember und dem 6. Januar wird im und ums Haus herum geräuchert. Der Brauch hat seinen Ursprung vermutlich in der Zeitrechnung nach einem Mondjahr. Ein Jahr aus zwölf Mondmonaten dauert 354 Tage. Die fehlenden elf Tage und zwölf Nächte werden deshalb als Tage «ausserhalb der Zeit» betrachtet. Während dieser «toten Tage» ist die Grenze zum Totenreich durchlässig. Die verstorbenen Seelen, die nicht in Frieden ruhen, sollten mit dem wohlriechenden Rauch besänftigt oder gar vertrieben werden. Räucherungen mit Wacholder sind besonders kraftvoll. Das Harz, das Holz und die Blätter dieses Zypressengewächses wirken stark desinfizierend. Die klebrigen Harzklumpen können das ganze Jahr über gesammelt werden. Mit einem Ästchen oder Messer lässt sich auch altes, hartes Harz recht gut vom Stamm ablösen. Zum Transport eignen sich kleine Glasbehälter oder Backtrennpapier. Um dem Baum nicht zu schaden, sammelt man nur was zu viel vorhanden ist.

Nach meinem Aufenthalt bei der alten Fichte bin ich tief entspannt, reich beschenkt und wieder einmal beeindruckt von der Weisheit der Natur. Nichts ist so gross, so schön und so heilsam wie Mutter Erde. Warum können wir nicht besser zu ihr Sorge tragen? 

 

Harzsalbe selbst machen

Zum Einreiben auf Brust und Rücken bei Erkältungskrankheiten oder als desinizierende Wund- und Zugsalbe.

Zutaten und Material für ca. 150 ml

  • 100 ml Oliven- oder Mandelöl
  • 50–80 g Fichten-, Tannen-, Kiefern- oder Lärchenharz
  • 8 g Bienenwachs
  • 2 Konfitürengläser
  • 1 Teesieb
  • 5 Salbentiegel à 30 ml


Zubereitung

Das Öl mit dem Harz in ein Konfitürenglas geben und im Wasserbad erwärmen, bis sich das Harz vollständig auflöst. Das Harzöl in das zweite Konfitürenglas absieben, um es zu reinigen. Nochmals im Wasserbad erwärmen, das Bienenwachs hinzugeben und ebenfalls schmelzen lassen. Gut verrühren und noch flüssig in die Tiegel füllen. Mit Inhalt und Datum beschriften und erst verschliessen, wenn die Salbe fest geworden ist. Die Harzsalbe ist mind. zwölf Monate haltbar und auch für Kinder geeignet.

Tipp

Harz lässt sich nur schwer abwaschen. Latexhandschuhe tragen und gebrauchte Konfitürengläser verwenden.

 

 

Inhalation mit ätherischem Öl

3–5 Tropfen ätherisches Öl in eine Schüssel mit heissem Wasser geben und einige Minuten lang den Dampf tief einatmen. Kinder sollten beim Inhalieren beaufsichtigt werden. Kein heisses Wasser neben das Kinderbett stellen! Die Verwendung eines Inhalationsgerätes reduziert die Verbrühungsgefahr.

Patienten mit Keuchhusten und Asthma sollten das reine ätherische Öl von Koniferen nicht benutzen, da dieses die krampfartigen Beschwerden verschlimmern kann.

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