Das Sonnenkraut der schönen Helena
Der Echte Alant ist ein wenig beachtetes Naturheilmittel.
Das war nicht immer so. Von der Antike bis ins Mittelalter wurde das «Helenenkraut» als Gewürz- und Heilpflanze sehr geschätzt.
Yves Scherer

Der Alant überragt in unserem Garten alle anderen Pflanzen und nimmt entsprechend viel Platz in Anspruch. Zu seinen Füssen habe ich Waldmeister gepflanzt, dem es nichts ausmacht, im Schatten des grossen Nachbarn zu stehen. Vergangenen Frühling wollte ich eine Alantwurzel ausgraben, um sie für Teemischungen und zum Räuchern zu verwenden. Man denke nun nicht, das sei einfach gewesen!
Es kostete mich einige Anstrengung, die tief eingewachsene, dicke Wurzel aus dem Boden zu holen. Als ich den frisch geernteten Wurzelstock mit der Bürste säuberte, überraschte mich sein kräftiger Geruch. Einen Teil des Rhizoms setzte ich zurück in die Erde und aus ihm ist wieder eine stattliche Pflanze herangewachsen, deren Erscheinung einen starken Akzent setzt. Im Verlauf des Sommers erschienen immer mehr gelbe Blüten, die wie kleine Sonnenräder in den Himmel ragen und viele Bienen anlocken.
Ursprünglich in Zentralasien und Anatolien beheimatet, wurde der Alant vermutlich von keltischen Einwanderern nach Europa gebracht. Die Pflanze wächst gerne auf leicht feuchten, nährstoffreichen Böden und wird bis zu zweieinhalb Meter hoch. Auch ihre Blätter sind aussergewöhnlich gross. Ich will es genau wissen und messe nach: Das grösste der grundständigen Blätter weist eine Länge von sage und schreibe 80 Zentimetern auf! Ohne Blattstiel. Zähle ich diesen dazu, misst das Blatt 120 Zentimeter. Die am Stängel ansitzenden Blätter sind deutlich kleiner und nicht gestielt. Ein typisches Merkmal der Körbchenblüten ist der grob geschuppte Hüllkelch, dessen Geometrie wie bei einem Tannenzapfen aus sich kreuzenden Spiralen aufgebaut ist.
Herleitung des Namens
Den Echten Alant kennt man auch unter den Namen Brustalant, Darmwurz, Edelwurz, Grosser Heinrich, Gottesauge, Odinskopf und Helenenkraut. Der wissenschaftliche Name lautet Inula helenium. Inula bedeutet «ausleeren» oder «reinigen» und bezieht sich auf die abführende Wirkung von hochdosiertem Alanttee. Der Namenszusatz helenium leitet sich vom griechischen Wort hḗlios (= Sonne) ab. Die leuchtend gelben Blüten erinnern tatsächlich an kleine Sonnen.
Einer griechischen Sage zufolge entstand der Alant aus den zu Boden gefallenen Tränen der schönen Helena, der Tochter des Zeus und der Leda, deren Entführung durch den trojanischen Prinzen Paris den trojanischen Krieg ausgelöst haben soll.
Alantblüten erstrahlen in kräftigem Gelb.
Vielseitige Heilwirkung
Arzneilich verwendet wird der im Frühling oder Herbst ausgegrabene Wurzelstock von zwei- bis dreijährigen Pflanzen. Vor dem Trocknen wird er in der Regel zerkleinert – am besten in dünne, ca. zwei Zentimeter lange Streifen. Das hat den Vorteil, dass die Wurzelstücke in Teemischungen gleichmässig verteilt bleiben und nicht im Aufbewahrungsgefäss zu Boden rutschen, wie es bei sehr klein geschnittenem Material oft vorkommt. Alantwurzel enthält ätherisches Öl, Bitterstoffe, Polyacetylene, Triterpene, Beta-Sitosterol und bis zu 50 % Inulin, das seinen Namen von dieser Pflanze hat.
Mittelalterliche Autoren bescheinigten dem Alant eine starke abwehrende Kraft gegen körperliche und seelische Leiden. Zeitgenössische Studien bestätigen, dass das im ätherischen Öl enthaltene Sesquiterpen Helenin das Wachstum von Tuberkuloseerregern und Staphylokokken hemmt.
Alantwurzeltee löst festsitzenden Schleim in den oberen Atemwegen, erweitert und entkrampft die Bronchien und lindert den Hustenreiz. Alant eignet sich hervorragend als Bestandteil von Teemischungen gegen produktiven (verschleimten) Husten und andere Atemwegserkrankungen. Weitere schleimlösende und hustenreizlindernde Heilpflanzen, die sich gut mit Alant kombinieren lassen, sind Anis, Efeu, Engelwurz, Eukalyptus, Fenchel, Hohlzahn, Schlüsselblume, Süssholz und Thymian.

Frisch geerntete Wurzeln.
Neben der heilenden Wirkung auf Bronchien und Lunge entfaltet die Bitterstoffdroge auch positive Effekte auf das Verdauungssystem. Sie regt den Appetit und die Verdauung an, stärkt den Magen, bessert Blähungen und unterstützt Leber und Galle. Bitterstoffrezeptoren finden sich übrigens im gesamten menschlichen Körper, auch im Herzen, im Gehirn und auf der Haut – ein starker Hinweis darauf, dass Bitterstoffe für unsere Gesundheit sehr bedeutsam sind und wir sie regelmässig geniessen sollten.
Wenig bekannt ist die stimmungsaufhellende, tonisierende Kraft der Bitterstoffdrogen (Amara). In der Volksheilkunde wird der hochgewachsene, sonnenhafte Alant gegen Angstzustände und Schwermut eingesetzt. Auch andere Amara wie Wermut (Artemisia absinthium), Gewöhnlicher Beifuss (Artemisia vulgaris), Chinesischer Beifuss (Artemisia sinensis), Eberraute (Artemisia abrotanum), Schafgarbe (Achillea millefolium) und viele weitere bitter schmeckende Pflanzen sorgen für gute Laune und wirken allgemein kräftigend. Alant steht zudem im Ruf, die sexuelle Leistungsfähigkeit zu verbessern.
«Die leuchtend gelben Blüten erinnern an kleine Sonnen.»
Alant in der Frauenheilkunde und als Räuchermittel
Der «Vater der Heilkunde» Hippokrates von Kos (460 bis ca. 377 v. Chr.) hat die Pflanze als Arznei für die Gebärmutter gelobt. Belegt sind menstruationsfördernde, entzündungshemmende, pilzfeindliche, antibiotische und antikanzerogene Eigenschaften. Bei leichten Wechseljahrbeschwerden ergänzt Alant hormonregulierende Anwendungen mit Rotklee, Traubensilberkerze oder Soja. Hierfür eignet sich neben Teezubereitungen und Tinkturen auch der Alantwein. Dieser galt im Mittelalter als Universalheilmittel und wurde gegen zahlreiche Beschwerden verabreicht (siehe Rezept).
Räuchern mit getrockneter Alantwurzel.
Alant ist zudem ein hervorragendes Räuchermittel. Rituelle Räucherungen bieten einen guten Rahmen, um in meditativer Zurückgezogenheit seiner Befindlichkeit bewusst zu werden, zu reflektieren, zu fokussieren und sich mit dem Mysterium des Lebens zu verbinden. Räucherungen mit Alantwurzel eignen sich besonders, um eine Atmosphäre der Geborgenheit zu kreieren und Zuversicht und Stärke zurückzugewinnen. Zum Räuchern legt man die getrockneten Wurzelstücke auf eine glühende Räucherkohle. Wer das feine Aroma ohne Rauch geniessen möchte, kann die Wurzel auf ein Drahtsieb legen und wenige Zentimeter über einem Teelicht rösten.
«Räucherungen mit Alantwurzel eignen sich besonders, um eine Atmosphäre der Geborgenheit zu kreieren.»
Anwendungen
Tee-Zubereitung:
1 EL zerkleinerte, frische oder getrocknete Wurzelstücke mit einem halben Liter heissem Wasser übergiessen und 5–15 Minuten ziehen lassen.
Der Tee aus Alantwurzel hat ein reichhaltiges, harzig-warmes Aroma. Je länger man ihn ziehen lässt, desto bitterer wird er.
Wird Alantwurzel Teemischungen beigegeben, sollte beachtet werden, dass sie den Geschmack der Mischung stark beeinflusst. Die Blüten haben keinen nennenswerten Eigengeschmack. Hübsch wie sie sind, verbessern sie jedoch das Aussehen von Teemischungen und geben diesen zusätzliches Volumen.
Alantwein: Rezept und Anwendungsempfehlung von Margret Madejsky
50 g getrocknete, zerkleinerte Alantwurzel in 0.7 l Rotwein zum Kochen bringen und auf kleinster Flamme 5 Minuten köcheln lassen. Anschliessend vom Herd nehmen und zugedeckt abkühlen lassen bis der Wein lauwarm ist. 2–3 TL Honig hinzugeben, abseihen und in die ausgewaschene Weinflasche füllen. Im Kühlschrank hält sich der Alantwein mehrere Wochen. Zur Linderung leichter Wechseljahrbeschwerden vorübergehend zwei- bis dreimal täglich 1 Likörgläschen des Weins geniessen.
Alant in der Küche
Alant als Gewürz ist leider aus der Mode geraten. Die Verwendung von Heilpflanzen in der Küche entspricht jedoch genau der Empfehlung von Hippokrates von Kos, der postulierte: «Eure Nahrungsmittel sollen eure Heilmittel sein und eure Heilmittel sollen eure Nahrungsmittel sein.»
Pulverisierte Alantwurzel verleiht Desserts, Backwaren, Glacé und Getränken ein exotisch anmutendes, würzig-warmes Aroma. Man kann es niedrig dosiert dem Kaffeepulver beigeben oder anstelle von Zimt oder Schokoladenpulver auf den Kaffeeschaum streuen.
Kontraindikationen und Nebenwirkungen
Während der Schwangerschaft darf Alant nicht eingenommen werden, da er abortiv wirken kann. Überdosierung kann zu Magenschmerzen, Durchfall oder Erbrechen führen.
Yves Scherer
Yves Scherer ist Herbalist, diplomierter Naturheilpraktiker und visueller Gestalter. Er unterrichtet Phytotherapie an verschiedenen Fachschulen und bietet eine eigene Ausbildung in Pflanzenheilkunde und Kräuterwanderungen an: www.medizingarten.ch / www.medizinwald.ch