Wasserdost lindert Infektionskrankheiten und stärkt das Immunsystem. Die Pflanze ist ein Paradebeispiel dafür, dass eine altgediente Heilpflanze trotz Warnhinweisen aus der Pharma-Forschung immer noch von Bedeutung ist.
Yves Scherer
Auf einem etwas abgelegenen Pfad im Wald steht eine Gruppe von Wasserdostpflanzen. Als ich das erste Mal diesen Weg gegangen bin, kannte ich den Wasserdost noch nicht. Sein stattliches Erscheinungsbild war auffallend und ich blieb stehen, um genauer hinzuschauen. Es war Spätsommer und das Kraut trug ausgereifte Samen. Der Haarkelch der Samen, der sogenannte Pappus, war schon gut ausgebildet. Es sah aus, als klebten weisse Wölkchen an den Pflanzen, die sich mit dem nächsten Windstoss loslösen und davon fliegen würden. Ich kostete ein Blatt und war erstaunt, wie bitter es schmeckte.
Den Wasserdost kennt man auch als «Kunigunden-kraut». Dieser Name bezieht sich auf Kunigunde von Luxemburg (980–1033), Kaiserin des Heiligen Römischen Reiches. Weshalb die Pflanze den Namen der heilig gesprochenen Kunigunde erhielt, ist nicht geklärt. Tatsächlich hat der Wasserdost noch viele weitere Namen. Manche enthalten klare Hinweise auf besondere Eigenschaften oder Heilkräfte. Der Ethnobotaniker Wolf-Dieter Storl erwähnt in seinem Buch «Meine Kräuter des Waldes», dass mithilfe des Wasserdostes früher Wetterzauber betrieben wurde. Einer ging so: Um eine Dürre zu beenden, musste eine nackte Frau mit dem «Donnerkraut» eine Pfütze peitschen.
Andere Namen sind «Lebertrost», «Mannskraft» und «Rotes Ruhrkraut». Sie nehmen eindeutig Bezug auf den medizinischen Nutzen, den man sich von der Pflanze versprach. Die Bezeichnung «Wasserdost» schliesslich verweist auf die rosafarbenen Blüten, die jenen des Dostes ähnlich sehen und den feuchten Lebensraum, den die Pflanze bevorzugt. Wer sie finden will, folgt am besten dem Wasser.
Ausgewachsen kann das mehrjährige Kraut über 1,50 Meter hoch werden. Von Juli bis September schmückt es sich mit doldigen Rispenblüten, die von vielen Insekten besucht werden. Die Gattung Eupatorium umfasst 40 bis 45 bekannte Arten. Für die moderne westliche Naturheilkunde sind besonders der gewöhnliche Wasserdost (Eupatorium cannabinum), der bei uns einheimisch ist und der aus Nordamerika stammende, durchwachsene Wasserdost (Eupatorium perfoliatum) von Interesse.
Der gewöhnliche Wasserdost beginnt zu blühen (Eupatorium cannabinum).
Der gewöhnliche Wasserdost (Eupatorium cannabinum)
Sein Verbreitungsgebiet erstreckt sich von Europa bis nach Zentralasien und Nordafrika. Seit der Antike wird er bei Lebererkrankungen und entzündlichen Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes verordnet. Der Tee oder Kaltwasserauszug reinigt Leber und Milz, regt die Darmperistaltik an, wirkt entzündungshemmend und unterstützt die Wasserausscheidung bei Ödemen. Heute wird Wasserdost hauptsächlich zur Prophylaxe und Behandlung von Erkältungen, Bronchitis und grippalen Infekten verwendet. Er wirkt schweisstreibend, harntreibend, entzündungshemmend, antibakteriell, antiviral, antioxidativ, fiebersenkend, hustenlindernd und allgemein kräftigend.
Zur prophylaktischen und akuten Unterstützung des Immunsystems ist der gewöhnliche Wasserdost unser einheimisches Pendant zum bekannten Purpurroten Sonnenhut (Echinacea purpurea). Beide Heilpflanzen können als sogenannte Immunmodulatoren unser Immunsystem stimulieren oder unterdrücken. Bei einer drohenden oder bereits eingetretenen Infektion werden immunmodulierende Pflanzen kurzfristig während weniger Wochen eingenommen, wobei alle vier bis fünf Tage eine Pause von zwei bis drei Tagen eingelegt werden sollte. Längerfristige Anwendungen können das Immunsystem schwächen. Bei Erkrankungen mit ausgeprägter Beteiligung des Immunsystems wie HIV, Tuberkulose, Leukämie, Multipler Sklerose oder bei Autoimmunerkrankungen dürfen immunmodulierende Pflanzen nicht eingenommen werden.
«Wer die Wasserdostpflanze finden möchte, folgt am besten dem Wasser, in dessen Nähe sie ihre rosafarbenen Blüten entfaltet.»
In Verruf als Lebergift
Der Nachweis von potenziell lebertoxischen Pyrrolizidinalkaloiden (PA) in Eupatorium cannabinum hat zur Folge, dass von der Einnahme des Wasserdosts abgeraten wird. Dieselbe Warnung begegnet uns auch beim Huflattich, der Pestwurz, dem Beinwell und dem Borretsch. Alle diese Pflanzen werden jedoch seit langer Zeit therapeutisch genutzt, ohne dass sie ein Massensterben ausgelöst hätten. Dass in einer Pflanze PA enthalten sind, spricht nicht gegen ihre kurzfristige Anwendung als Arznei. PA sind in Spuren in sehr vielen Nahrungspflanzen enthalten.
Für eine sichere Anwendung gibt es im Fachhandel Fertigpräparate mit homöopathisch potenziertem Wasserdost. Diese enthalten keine PA. Als Teepflanze darf das frische Kraut nicht länger als ein bis zwei Wochen konsumiert werden. Bei einer beginnenden Erkältung 1 Teelöffel zerkleinerte Blätter über Nacht in 250 ml Wasser einlegen und über den Tag verteilt schluckweise trinken. Wasserdost schmeckt ähnlich bitter wie Wermut. Bittertees sollten nicht gesüsst werden, da sie sonst ihre verdauungsfördernde Wirkung verlieren. Wer keinen bitteren Tee mag, kann die Tinktur einnehmen. Der Wasserdost lässt sich gut mit dem roten Sonnenhut und der Kapuzinerkresse kombinieren, beides sind Heilpflanzen, welche das Immunsystem stärken. Sie eignen sich als Intervalltherapie. Das heisst: Drei Tage einnehmen, drei Tage Pause. Diesen Zyklus dreimal wiederholen.
Besteht der Verdacht auf eine Überempfindlichkeit gegenüber Korbblütlern, geben Sie wenig Pflanzensaft auf die Ellenbeuge. Tritt innert zehn Minuten keine Hautreaktion auf, kann die Arznei verwendet werden.
Der durchwachsene Wasserdost (Eupatorium perfoliatum)
Der aus Nordamerika stammende durchwachsene Wasserdost und viele verwandte Arten werden von indigenen Heilkundigen seit langer Zeit sehr erfolgreich zur Behandlung verschiedener Krankheiten eingesetzt. Oft sind es winzige Mengen, die eingenommen werden. Der durchwachsene Wasserdost hat für das Überleben der frühen Siedler*innen aus Europa eine wichtige Rolle gespielt. Die Heilerfolge bei schweren Fiebererkrankungen wie Gelbfieber und Malaria trugen dazu bei, dass die Heilpflanze zu einer Standardarznei der amerikanischen Materia medica des neunzehnten Jahrhunderts wurde. Heinz J. Stammel hat in seinem spannenden Buch «Die Apotheke Manitous» die Pflanzenmedizin der indigenen Bevölkerung Nordamerikas ausführlich beschrieben. Eine indische Studie aus dem Jahr 2017 konnte zeigen, dass die homöopathische Arznei Eupatorium perfoliatum C30 gegen Dengue-Fieber wirksam ist.
Als homöopathisches Arzneimittel wird Eupatorium perfoliatum bei Fieber, Erkrankungen der Luftwege und Erkältung eingesetzt. Studien belegen, dass sich durch die Einnahme von Eupatorium perfoliatum die Dauer eines grippalen Infektes um bis zu 50 % reduzieren lässt. Durch die Freisetzung von Chemokinen und der Vermehrung der Makrophagen unter Verstärkung ihrer Aktivität erzeugt Wasserdost eine signifikante antivirale Wirkung. Leitsymptome der Arznei sind starke Schmerzen in Knochen und Muskeln, Zerschlagenheitsgefühl, Erschöpfung mit gleichzeitiger Unruhe, Hitzewallungen abwechselnd mit Schüttelfrost und unstillbarer Durst.
Ausgereifte Samen mit Pappus.
Wasserdost
Ein weiterer Name für den Wasserdost ist «Wasserhanf», weil seine Blätter denen des Hanfs ähnlich sehen.
Der Garten, meine Hausapotheke
Ich habe aus dem Wald ein paar Wasserdost-Pflanzen in den Garten geholt. Wenn ich mich nicht fit fühle, esse ich ein paar frische Blätter oder gebe diese in eine Teemischung. Der Kontakt zur Pflanze hat mir das Vertrauen geschenkt, sie zu verwenden. Da ich sie nur selten und in kleinen Dosen konsumiere, habe ich keine Bedenken wegen irgendwelchen toxischen oder kanzerogenen Stoffen. Im Gegenteil – ich bin überzeugt davon, dass auch diese eine gesundheitserhaltende Wirkung haben. Wie bereits Paracelsus sagte: «In allen Dingen ist ein Gift und es ist nichts ohne Gift. Es hängt allein von der Dosis ab, ob ein Ding ein Gift ist oder nicht.»
Der weiss blühende Durchwachsene Wasserdost (Eupatorium perfoliatum).
Yves Scherer
Yves Scherer ist Herbalist, diplomierter Naturheilpraktiker und visueller Gestalter. Er unterrichtet Phytotherapie an verschiedenen Fachschulen und bietet eine eigene Ausbildung in Pflanzenheilkunde und Kräuterwanderungen an: www.medizingarten.ch / www.medizinwald.ch