Bärenmedizin

Der Bärlauch reinigt die Verdauungsorgane, beugt Herz- und Gefässerkrankungen vor und schützt als natürliches Antibiotikum vor schädlichen Bakterien und Pilzen.

Yves Scherer

Wie ein hellgrüner Teppich leuchtet mir der Bärlauch (Allium ursinum) zwischen den Bäumen entgegen, wenn ich im Frühling durch den Wald streife. Nach den dunklen Wintermonaten habe ich Appetit auf frisches Grün. Jetzt, wo die Vegetation wieder erwacht ist, spriessen überall junge Wildkräuter. Ihre Vitalstoffe beleben nicht nur uns, sondern auch den Bären, der aus seinem langen Winterschlaf erwacht. Auch er kommt mit Hilfe von frischen Kräutern und Wurzeln wieder zu Kräften. Bärlauch bildet grosse, flächendeckende Bestände in feuchten, schattigen Gehölzen und an Waldrändern. Die zarten jungen Blätter kann man von März bis Mai sammeln. Ihr süsslich-scharfer Schwefelgeschmack ist ein deutliches Indiz für ihre kraftvolle Wirkung.

Ein Lauch so stark wie der Bär

Das schmackhafte Wildkraut verdankt seinen Namen dem Bären, einem mächtigen Krafttier. Pflanzen, die nach dem Bären, dem Hirsch oder dem Eber benannt sind, werden mit der ausdauernden Lebenskraft dieser wilden Tiere assoziiert. Ihre Namen künden auch von einer langen Tradition als Heilpflanzen in der Volksheilkunde. Franklin George, ein alter Kräuterkundiger des Ojibway-Stammes in Ontario, Kanada wies mich darauf hin, dass indigene Heiler*innen oft dem Bären folgen, um jene Wurzeln zu sammeln, welche das mächtige Tier aus dem Boden gräbt. Den Ojibway gilt der Bär als Medizintier. Ein indianisches Sprichwort sagt: «Erscheint dir ein Bär im Traum, sollst du dich mit der Medizin der Pflanzen beschäftigen.»

Eine Kräutermedizin mit entgiftender Wirkung

Von der Kraft des Bären berichtet auch Kräuterpfarrer Künzle: «Der Bärlauch ist eine der stärksten und gewaltigsten Medizinen in des Herrgotts Apotheke. Wohl kein Kraut der Erde ist so wirksam zur Reinigung von Magen, Gedärmen und Blut wie der Bärlauch.» Leonhart Fuchs nennt in seinem «New Kräutterbuch» aus dem Jahr 1543 die klassischen historischen Indikationen des Bärlauchs, die seit der Antike bekannt sind: Blähungen, Würmer und die «Entgiftung» des Körpers.Verantwortlich für die entgiftende Wirkung sind unter anderem die im ätherischen Öl enthaltenen Schwefelverbindungen Alliin und Allicin. Sie wirken Gärungs- und Fäulnisprozessen im Verdauungstrakt entgegen, mobilisieren und binden eingelagerte Schadstoffe.

Ein schmackhaftes Wildkraut

Die frischen Bärlauchblätter enthalten viele wichtige Vitalstoffe wie Vitamin C, Vitamin A, B1, B6 sowie Eisen, Kalium, Mangan, Calcium und Phosphor. 100 Gramm Bärlauch decken den Tagesbedarf an Vitamin C. Dieses Vitamin gehört zu den Antioxidantien, steuert zahlreiche Körperfunktionen und spielt eine wichtige Rolle im Cholesterin- und Energiestoffwechsel. Mit diesem reichen Wirkstoffmix versorgt uns das Lauchgewächs mit lebenswichtigen Nährstoffen. Bärlauch unterstützt das Immunsystem, wirkt krampflösend, blähungswidrig, entzündungshemmend und regt die Verdauung an. Am besten eignen sich die Blätter roh als Beigabe zu Salaten, Suppen oder als Pesto. Auf diese Weise gehen keine temperaturempfindlichen Vitamine verloren.

Bärlauch eignet sich hervorragend zum Anregen des Stoffwechsels im Frühling und zur sanften Reinigung des gesamten Organismus. Auch zur Ausleitung von Schwermetallen, kann der Bärlauch hilfreich sein. Die Medizinkraft des Bärlauchs entgiftet den Körper. Sie öffnet und reinigt. Am besten kommt ihre Wirkung in einer Fastenkur zur Geltung. In der Tradition vieler indigener Völker Südamerikas kennt man die «dieta» – eine mehrwöchige Kur, während der nur eine spezifische Pflanze konsumiert wird. Diese Fastenzeit wird in isolierter Abgeschiedenheit in der Natur verbracht.

Wer eine dieta macht, öffnet sich dem Pflanzengeist. Nach und nach durchdringt dieser die fastende Person. Nicht nur der Körper soll geheilt werden, sondern der ganze Mensch. Der Bärlauch ist wie geschaffen für eine solche Diät.

Breitbandantibiotikum

Wird frischer Bärlauch während einer viralen Erkrankung eingenommen, kann seine bakteriostatische Wirkung einer drohenden bakteriellen Superinfektion entgegenwirken.

Zur unterstützenden Behandlung einer Erkältung oder Grippe ausserhalb der Bärlauchsaison eignet sich eine Bärlauch-Tinktur. Die schwefelaktiven Substanzen sind wirksam gegen Bakterien, Viren, Pilze und Würmer. Sie aktivieren körpereigene enzymatische Entgiftungsprozesse. Deswegen eignen sich Bärlauch-Anwendungen zur Darmsanierung. Bärlauch und Knoblauch schützen und erweitern die Blutgefässe. Sie wirken der Ablagerung von Cholesterin entgegen und senken den Blutdruck. Die beiden Lauchgewächse beugen bei langfristiger Einnahme Arteriosklerose, Thrombosen und Herzinfarkt vor.

Begegnung in der Natur

Um die Bärlauchblätter gefahrlos zu geniessen, muss man die Wildpflanze von ihren giftigen Nachbarn, der Herbstzeitlose und dem Maiglöckchen, unterscheiden lernen. Gut, dass die Bärlauchblätter früh im Jahr erscheinen. Das Maiglöckchen und die Herbstzeitlose kommen erst ein bis zwei Monate später zum Vorschein. Das beste Unterscheidungsmerkmal ist der ausgeprägte Knoblauchgeruch der Bärlauchblätter. Allerdings überträgt sich dieser Geruch beim Sammeln auf die Hände und der Geruchstest verliert seine Aussagekraft. Beim Bärlauch spriesst jedes Blatt einzeln aus dem Boden. Die Blattoberseite glänzt, die Unterseite ist matt. Im Gegensatz dazu sind beim Maiglöckchen und der Herbstzeitlose immer mehrere Blätter als Bündel zusammengefasst. Diese glänzen an der Ober- und der Unterseite. Wenn man die zeitliche Abfolge, den Duft wie auch die Wuchsart beachtet, besteht kaum Verwechslungsgefahr. Trotzdem empfehle ich allen zukünftigen Wildkräutersammler*innen, anfangs in Begleitung mit einer kundigen Person auf die Suche nach Bärlauch zu gehen.

Anwendungstipps

Sammeln: Nur saubere, trockene Blätter pflücken. Nur frische Blätter verwenden, ihre Heilwirkung geht beim Trocknen verloren. Wird die frisch gesammelte Pflanze zu einem Pesto oder einer Tinktur verarbeitet, bleiben ihre Wirkstoffe erhalten. Die Bärlauch-Saison ist beendet, sobald sich im Mai die Blüten öffnen. Sind die Blüten da, verlieren die Blätter an Kraft.

Rezept Bärlauch-Pesto: Die frischen Blätter in grobe Streifen schneiden und in ein weithalsiges, verschliessbares Glasgefäss füllen. Natives Bio-Olivenöl hinzugeben, bis das Kraut komplett bedeckt ist. Nach Belieben mit Salz und Pfeffer würzen. Anschliessend mit dem Stabmixer pürieren und frisch geröstete Pinienoder andere Kerne hinzugeben.Geriebener Hartkäse wird dem Pesto nicht beigefügt, sondern erst beim Servieren der Mahlzeit gereicht. So hält sich der Pesto länger. Ungeöffnet im Kühlschrank aufbewahrt, ist er etwa ein Jahr haltbar, wenn das Glas bis obenhin gefüllt ist. Der Pesto kann auch eingefroren werden. Er passt sehr gut zu Pasta, Risotto, Kartoffeln oder zu Brot.

Rezept Bärlauch-Tinktur: Sie eignet sich als Begleitbehandlung zur Entgiftung des Verdauungstraktes und Unterstützung der Darmflora. Die frischen Blätter in feine Streifen schneiden (am besten mit einem Keramikmesser) und in ein weithalsiges, verschliessbares Glasgefäss geben. Das Glas mit Schnaps oder Trinkspiritus von 40 bis 45 Volumenprozent auffüllen, bis das Kraut komplett bedeckt ist. An einem dunklen Ort bei Raumtemperatur ausziehen lassen und regelmässig schütteln. Nach drei bis vier Wochen kann die Tinktur durch einen Kaffeefilter abgeseiht werden. In Braunglasfläschchen (beschriftet) aufbewahren. Die Tinktur hält sich mindestens fünf Jahre. Einnahme: 3 × täglich 20 Tropfen während 4 bis 6 Wochen.

Verwechslungsgefahr

Bärlauch (Allium ursinum): Jedes Blatt spriesst EINZELN aus dem Boden. Die Blattoberseite glänzt, die Unterseite ist matt.

Herbstzeitlose (Colchicum autumnale): Aus der Blattscheide spriesst ein BÜNDEL mehrerer Blätter. Sowohl die Oberseite als auch die Unterseite der Blätter glänzen.

Maiglöckchen (Convallaria majalis): Aus der Blattscheide spriessen ZWEI Blätter. Sowohl die Oberseite als auch die Unterseite der Blätter glänzen.

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