Worte können Brücken bauen

Unsere vorgefassten Vorstellungen über den anderen bauen oft so hohe Mauern auf, dass die Beziehungsebene verschüttet wird. Das erschwert die Kommunikation. Ein tierisches Beispiel zeigt, wie wir aus dieser Falle entkommen können.

Gundula Madeleine Tegtmeyer


F
ast jeder Konflikt hat seine Wurzeln in mangelnder Wertschätzung.» Dies ist ein Zitat des US-amerikanischen Psychologen Ph.D. Marshall B. Rosenberg (1934–2015). Rosenberg war Gründungsdirektor der Bildungsdienste des «Center for Nonviolent Communication», der «Gewaltfreien Kommunikation». Rosenberg wuchs in in Detroit, Michigan (USA) auf, wo er täglich verschiedene Formen von Gewalt, wie etwa die ausufernden Massenkrawalle in den Strassen seiner Heimatstadt, erlebte. Gewalterfahrungen, die sich tief einbrannten. Rosenberg begann sich mit der Frage zu beschäftigen, warum es Gewalt gibt und was uns Menschen dazu veranlasst, andere zu verletzen. Eine zentrale Frage lautete: Was geschieht, wenn Menschen die Verbindung zu ihrer einfühlsamen Natur verlieren? Rosenberg zog seine Rückschlüsse für die Ursache von Gewalt aus der Art und Weise, wie wir gelernt haben und geprägt wurden zu denken, zu kommunizieren und mit Macht umzugehen. 1963 gründete Rosenberg die «Gewaltfreie Kommunikation» (GFK), im englischsprachigen Raum «Nonviolent Communication» (NVC) genannt.

 

Nicht verletzbar sein wollen

Das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation beruht auf der Annahme, dass die meisten zwischenmenschlichen Konflikte ihre Ursache darin haben, dass wir uns nicht verletzbar zeigen wollen und daraus resultierend unsere Bedürfnisse nicht ehrlich offenlegen. Die Gewaltfreie Kommunikation ist bei genauer Betrachtung keine Kommunikationsmethode, vielmehr eine Bewusstseinsschulung, denn sie kann uns zu unserer einfühlsamen Natur zurückführen. Jeder von uns ist konditioniert. Gewaltfreie Kommunikation ist ein Prozess, der in uns beginnt mit der Klärung der eigenen Bedürfnisse, Klarheit zu schaffen als Voraussetzung dafür, dass wir uns in den anderen einfühlen und die Bedürfnisse des Gegenübers wahrnehmen können. Empathie, die Bereitschaft und Fähigkeit sich in die Sichtweise anderer Menschen einzufühlen, ist ein Schlüssel in der Gewaltfreien Kommunikation. Empathie löst keine Probleme, aber sie schafft eine Verbindung.


Vier Schritte zur besseren Kommunikation

Um diese innere Verbindung zu uns selbst und Anderen herstellen zu können, entwickelte Marshall Rosenberg die 4-Schritte-Methode. Sie unterstützt uns dabei unsere kommunikative Fähigkeit zu erweitern. Die vier Schritte sind: Beobachten, ohne zu bewerten, gefolgt von Wahrnehmung und Beschreibung der Situation, beispielsweise «zu unseren letzten beiden Verabredungen bist du zu spät gekommen», statt «immer kommst du zu spät», Erspüren der eigenen Emotionen und Verantwortung dafür übernehmen. In unserem Beispiel könnte das eigene Bedürfnis sein: «Ich wünsche mir mehr Wertschätzung.» Haben wir unser Bedürfnis klar erkannt, kann daraus im vierten Schritt eine Bitte um eine konkrete Handlung resultieren: «Kannst du dich bitte bemühen bei unserer nächsten Verabredung pünktlicher zu sein?» Der Gewaltfreien Kommunikation geht es um die Auseinandersetzung mit Fragen, wie: Schätze ich die Bedürfnisse anderer als meine eigenen? Bin ich bestrebt, nach Lösungen zu suchen, die den Bedürfnissen aller gerecht werden? Sind meine Worte frei von Kritik und Vorwürfen? Stimmen mein Tonfall und meine Körpersprache mit meinen Worten überein? Beabsichtige ich zu bekommen, was ich will? Formuliere ich eine versteckte Forderung? Übe ich Macht über andere aus? Bin ich bereit, ein Nein zu hören, einfühlsam zuzuhören und die Verbindung aufrechtzuerhalten? Bin ich bereit, im Dialog zu bleiben, bis wir eine Lösung finden, die alle Beteiligten zufriedenstellt?

 

Wolf und Giraffe als Beispiele

Wolf und Giraffe, diese beiden Tiere haben sich als Symbole durch Marshall Rosenberg in der Gewaltfreien Kommunikation fest verankert. Wir finden sie in der Fachliteratur auch als Wolfssprache und Giraffensprache. Sie dienen der Differenzierung und symbolisieren die jeweilig andere Haltung, die wir im Kontakt zu anderen einnehmen können. Der Wolf stellt sich in seiner Sprache in den Mittelpunkt. Die Giraffe sagt zu ihrem Gegenüber: «Du bist (mir) wichtig.» Wolf: «Ich übe Druck (auf dich) aus!» Giraffe: «Komm, wir suchen gemeinsam nach einer Lösung.»

Wir können den Prozess der Gewaltfreien Kommunikation wählen, um uns von kulturellen Konditionierungen zu befreien, die Wunden des Lebens zu heilen und Urteile in Verständnis für unerfüllte Bedürfnisse umzuwandeln. Die Gewaltfreie Kommunikation ermutigt uns, authentisch zu sein. Wir begegnen anderen mit Empathie, Ehrlichkeit und Fürsorge, wodurch das Vertrauen, das Verständnis und die Zusammenarbeit in Beziehungen gestärkt werden. Empathie und Ehrlichkeit sind die wesentlichen Merkmale von zwischenmenschlicher Intimität. Die Gewaltlose Kommunikation zielt nicht auf Harmonie ab, es geht um Authentizität, uns so zu zeigen, wie wir sind, mit sich selbst und dem Gegenüber in Verbindung zu kommen. Die Gewaltlose Kommunikation basiert auf der Annahme, dass es in uns liegt, zum Wohl anderer beizutragen. Das Erlernen der Gewaltfreien Kommunikation bedeutet, wieder zu unserer einfühlsamen Natur zurückzufinden. Wie wir mit uns und mit in anderen Menschen umgehen, kann eine Kette von Handlungen und Reaktionen in Gang setzen, die sich auf unvorhersehbare Weise auf die Gesellschaft auswirken kann – im Guten wie im Schlechten. Weihnachten ist das Fest des Lichts und der Liebe, mit Freude und Hoffnung verbunden. Zum Ende des Jahres innerlich wieder zum Licht zurückzukehren und die besinnliche Zeit zu nutzen, um wahren Frieden einziehen zu lassen, ist die Bedeutung von Weihnachten. Die Gewaltfreie Kommunikation kann uns unterstützen eine sprachliche Umgangsform zu finden, mit der wir zu gegenseitigem Wohlergehen beitragen können. In diesem Sinne: Frohe und friedvolle Weihnachten!

«Die Gewaltlose Kommunikation basiert
auf der Annahme, dass es in
uns liegt,
zum
Wohl anderer beizutragen.»

 
Die Transaktionsanalyse

Die Transaktionsanalyse (TA) wurde Mitte des 20. Jahrhunderts vom US-amerikanischen Psychiater Eric Berne begründet und erhebt den Anspruch, anschauliche psychologische Konzepte zur Verfügung zu stellen, mit denen Menschen ihre erlebte Wirklichkeit reflektieren, analysieren und verändern können. Die TA nutzt das Mittel der Kommunikation, um es Menschen zu ermöglichen, ihre Realitätswahrnehmung und ihre Interaktionen zu interpretieren und ihren eigenen Lebensweg zu gestalten.

Dazu stellt die Transaktionsanalyse eine Theorie der Persönlichkeit und eine Beschreibung kommunikativer Abläufe in unterschiedlichen Kontexten zur Verfügung und bietet Modelle zum Beobachten, Beschreiben, Verstehen und Verändern bzw. Entwickeln der Persönlichkeit und der Beziehungen zwischen Individuen und sozialen Systemen. TA umfasst Konzepte zur Persönlichkeits- und Beziehungsanalyse, zur Gruppendynamik und Gruppenanalyse und zur Analyse und Steuerung von sozialen Systemen sowie Methoden der Einflussnahme auf die Gestaltung von als sinnvoll erachteten Veränderungen im interaktiven Bereich.

Wenn Menschen mit Hilfe der Grundgedanken der Transaktionsanalyse auf soziale Interaktionen oder einzelne Persönlichkeiten schauen, dann gelten hierfür diese Annahmen:

  • Jeder Mensch hat die Fähigkeit zu denken und Probleme zu lösen.
  • Jeder Mensch ist in all seinen Schattierungen und in seiner Ganzheit in Ordnung.
  • Jeder Mensch ist in der Lage, Verantwortung für sein Leben und dessen Gestaltung zu übernehmen. Er verfügt dazu über die Fähigkeit der bewussten Wahrnehmung und Steuerung seiner mentalen, emotionalen und sensorischen Vorgänge und der sich daraus ergebenden Handlungen bzw. sozialen Interaktionen.
  • Jeder Mensch wird als fähig angesehen, sein Lebenskonzept (oder Lebensgestaltungsmuster) schöpferisch, zuträglich und konstruktiv zu gestalten.

«Richtig streiten gibt es nicht»

Angela Gohl aus Pfäffikon ZH ist zertifizierte Trainerin für Gewaltfreie Kommunikation (CNVC). Sie zeigt im Interview auf, wie die Weihnachtstage stress- und streitarm gestaltet werden können.

Interview: Gundula Madeleine Tegtmeyer

«natürlich»: Bald feiern wir Weihnachten, ein Fest, das wir mit Licht, Freude, Hoffnung und Liebe assoziieren. Die Realität sieht oft anders aus, statt friedvollem Beisammensein kommt es nicht selten zu Streit und Zerwürfnissen an Feiertagen.

Angela Gohl: Oft haben wir konkrete Vorstellungen davon, wie ein schönes Weihnachtsfest sein sollte. Wenn unsere Erwartungen, wie etwas sein sollte oder sein müsste nicht erfüllt werden, entstehen oft Ärger und Enttäuschung. Es ist daher sinnvoller, sich auf den Moment zu konzentrieren und unsere Erwartungen loszulassen, um mehr mit der Realität in Verbindung zu treten. Marshall B. Rosenberg betonte stets die Bedeutung zweier Fragen: Was ist lebendig in dir? Was könnte dein Leben gerade bereichern? Diese Fragen helfen uns, im Hier und Jetzt präsent zu sein und uns mit unseren Gefühlen und Bedürfnissen zu verbinden, um diese ehrlich zu kommunizieren.

Wie kann eine echte Begegnung mit Anderen gelingen?

Es wäre förderlich, mehr zu beobachten, anstatt zu bewerten und zu interpretieren, um weniger Konflikte zu erleben und offener für Gespräche zu sein. Wichtig ist zu erkennen, dass Trigger im Grunde nichts mit der anderen Person zu tun haben. Unser Gegenüber mag etwas in uns auslösen, doch die damit verbundenen Gefühle entstehen in unserem eigenen Inneren. Dieses Bewusstsein schafft Verantwortung für unsere eigenen Gefühle. Erste Strategien, um mit Konflikten umzugehen, können sein, dass wir zunächst innehalten, wenn nötig ein Stopp setzen. Ein kurzer Rückzug, ein tiefer Atemzug oder Spaziergang und Selbstzuspruch können hilfreich sein. Eine spätere Reflektion darüber, was uns getriggert hat, eröffnet uns die Möglichkeit, uns selbst besser kennenzulernen. Konflikte entstehen oft auch dann, wenn wir nicht zuhören, auf unserem Standpunkt beharren oder die Bedürfnisse anderer ignorieren.

Was empfehlen Sie unseren Lesern zu tun, um «richtig zu streiten», sollte es zu Streit kommen?

Ich glaube, dass es «richtig streiten» nicht gibt. Es ist auch nicht die Haltung der Gewaltfreien Kommunikation, Wörter wie richtig, falsch, gut oder schlecht zu verwenden, da diese eher eine statische Sprache ausdrücken. Die GFK ist eine Prozesssprache, die sich im ständigen Veränderungsprozess befindet und ausdrücken möchte, was im Moment lebendig ist. Das, was im Moment stattfindet, hat immer seine Berechtigung. Wenn wir bereit sind uns mit dem Konflikt auseinanderzusetzen, dienen uns die 4 Schritte der GFK-Methode.

Gibt es Schlüsselsätze, die auch GFKUnerfahrene aussprechen können, um bei drohender Eskalation zu signalisieren, einen Standpunkt zu haben aber gesprächsoffen zu sein?

Offenheit zeige ich, indem ich meinem Gegenüber signalisiere, dass es mich interessiert, was in ihm vorgeht, mit Fragen wie: «Wie ist das bei dir?» oder «Erlebst du das auch so?» oder durch die Aussage: «Interessant, so habe ich das noch nie gesehen.» Es kann uns helfen, zu verstehen, wie unsere Worte bei anderen ankommen, wenn wir zum Beispiel Bitten aussprechen, wie: «Kannst du mir sagen, was du von dem, was ich gesagt habe, gehört hast?» oder «Was löst es in dir aus, wenn du das hörst?»

Worin sehen Sie als GFK-Trainerin den Zusammenhang zwischen Macht und der Art, wie wir miteinander kommunizieren?

Marshall B. Rosenberg sagte, dass die Ursache von Gewalt in der Art und Weise liegt, wie wir gelernt haben zu denken, zu kommunizieren und mit Macht umzugehen. Ich denke, wir sind alle grösstenteils in Machtstrukturen oder hierarchischen Strukturen aufgewachsen und haben nicht gelernt unsere Bedürfnisse wahrzunehmen, für uns einzustehen und für uns verantwortlich zu sein. Die Gewaltfreie Kommunikation lenkt ihren Fokus auf die Bedürfnisse und Werte. Sie kann dazu beitragen, Beziehungen auf Augenhöhe aufzubauen und Konflikte zu lösen.

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