Wo wir schlafen – und warum das nicht immer ein Bett ist
Das Bett scheint uns heute selbstverständlich: weich, warm, privat. Doch historisch und kulturell betrachtet war das Schlafen – im wahrsten Sinne – oft eine bodenständige, geteilte oder gar hochpolitische Angelegenheit. Eine Reise durch die Geschichte des Betts zwischen Mythos, Märchen und Moderne.
Samuel Krähenbühl

Schlaf ist eine physiologische Notwendigkeit – doch schlafen muss man nicht zwingend in einem Bett. Was ist überhaupt ein Bett? Laut Wikipedia handelt es sich um ein Möbelstück, meist in Form eines Rahmens mit einer Unterlage, das dem Schlaf gewidmet ist. Typischerweise schafft es eine Distanz zum Boden, was das Aufstehen erleichtert und eine trockenere sowie bequemere Schlafposition ermöglicht.
Die Menschheit hat jedoch vermutlich die meiste Zeit ihrer Geschichte nicht in solchen gefertigten Betten geschlafen. In einem altägyptischen Text, herausgegeben vom englischen Ägyptologen E. A. Wallis Budge unter dem Titel «Tales of Travel and Adventure of the Ancient Egyptians», wird von einem Reisenden berichtet, der nach seiner Rückkehr nach Ägypten wieder in einem Bett schläft. Das deutet darauf hin, dass noch um 1000 v. Chr. – also rund 3000 Jahre vor unserer Zeit – in vielen Kulturen des Nahen Ostens nicht in Betten geschlafen wurde. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die meisten Menschen am Boden auf Decken oder Fellen schliefen. Doch auch das frühe Bett hatte nicht nur eine praktische, sondern auch eine beinahe mystische Bedeutung.
Das mythische Bett des Odysseus
Der griechische Held Odysseus konnte nach seinen langen Irrfahrten seine Identität gegenüber seiner Frau Penelope nur durch ein ganz besonderes Möbelstück beweisen: ihr gemeinsames Bett. Penelope erkannte ihren Mann zunächst nicht – zu lange war er fort gewesen.
Doch beide kannten das Geheimnis ihres Betts: Es war in einen Olivenbaumstumpf hineingeschnitzt, der gleichzeitig als einer der Bettpfosten diente. Nur Odysseus konnte dieses Detail kennen. So wurde das Bett zum Beweis seiner Identität – und zum Symbol ihrer ehelichen Verbindung. Auch später in der Geschichte blieb das Bett ein Ort mit politischer, sozialer oder spiritueller Bedeutung.

Himmelbetten und höfische Morgenrituale
Ein berühmtes Beispiel für die Inszenierung des Schlafzimmers ist König Ludwig XIV. von Frankreich (1638–1715). Der «Sonnenkönig» zelebrierte das morgendliche Aufstehen mit einem öffentlichen Ritual: dem «Lever», einem Empfang, der in Anwesenheit von Höflingen stattfand. Wer dem König beim Erwachen beiwohnen durfte, war einflussreich. Noch heute lässt sich das Prunkschlafzimmer im Schloss Versailles bestaunen – samt Himmelbett, das mit Vorhängen und Baldachin ausgestattet ist. Solche Himmelbetten kamen im Mittelalter auch in weniger wohlhabende Haushalte, da sie Schutz vor Kälte boten. Eine besondere Form waren Alkovenbetten, die in Wände eingelassen und mit Türen verschliessbar waren – eine frühe Form der Isolation. Mit der Industrialisierung setzten sich günstigere, komfortable Federbetten durch – sogenannte «Plümos». Diese machten das Bett massentauglich, auch wenn sie weniger aufwendig verziert waren.
Früher gehörte eine komplette Bettstatt übrigens zur Aussteuer einer Frau – und war oft Voraussetzung für eine Heirat.

Von Dornröschen bis Rotkäppchen: Das Bett im Märchen
Betten spielen nicht nur im Alltag, sondern auch in Märchen eine zentrale Rolle. Dornröschen fällt in einen hundertjährigen Schlaf – selbstverständlich in einem Bett –, aus dem sie erst durch den Kuss des Prinzen erwacht. In «Frau Holle» schüttelt die Protagonistin Kissen voller Federn aus, die auf die Erde als Schnee fallen – ein Symbol für Fleiss.
Ein besonders bekanntes Beispiel ist «Die Prinzessin auf der Erbse». Eine wahre Prinzessin wird darin nicht etwa durch königliches Blut, sondern durch ihre Empfindsamkeit erkannt – oder je nach Auslegung auch durch übertriebene Wehleidigkeit –, weil sie selbst durch zwanzig Matratzen hindurch eine Erbse spürt.
Im Märchen «Rotkäppchen» spielt das Bett eine ganz andere Rolle: Der Wolf legt sich in das Bett der Grossmutter, um sich als diese auszugeben. Das Bett wird hier zum Ort der Täuschung, aber auch der Rettung – denn der Jäger befreit Grossmutter und Kind aus dem Bauch des Wolfs. Dabei schwingt – kaum übersehbar – eine erotische Konnotation mit. Die Geschichte warnte junge Mädchen, sich vor lüsternen Männern in Acht zu nehmen, getarnt als freundliche Grossmutter – oder Wolf im Bett.

Schlafen, lieben, leben – das Bett als Ort der Intimität
Das Bett ist mehr als ein Ort zum Schlafen. Noch heute gilt es als Symbol für Intimität und Sexualität. Der Ausdruck «miteinander schlafen» ist ein weit verbreitetes Synonym für Geschlechtsverkehr. Das ist kulturgeschichtlich kein Zufall. Das Bett wurde im Laufe der Jahrhunderte immer stärker mit Privatsphäre und Intimität verknüpft.
Heute ist das eigene Bett ein hochindividuelles Objekt. Nachttische, persönliche Anordnungen von Büchern, Lampen oder Wasserflaschen – das Schlafzimmer ist ein privater Rückzugsort. Doch das war nicht immer so.
Ein eigenes Bett – ein neuer Luxus?
Noch bis vor wenigen Jahrzehnten war es auch in der Schweiz üblich, dass mehrere Kinder in einem Bett schliefen – oder bei ihren Eltern. In Arbeiterunterkünften, etwa beim Bau des Gotthardtunnels im 19. Jahrhundert, wurden Betten sogar schichtweise genutzt: Wer arbeitete, überliess sein Bett dem nächsten Schläfer.
In England während der industriellen Revolution konnten sich die Ärmsten nicht einmal ein Bett leisten. Die sogenannte «Two-Penny Hangover» war eine Form der Billigunterkunft, in der Taglöhner im Sitzen schliefen – auf einer Bank, vor dem Herunterrutschen durch ein Seil vor der Brust geschützt.
Dass das Bett heute ein individuelles, oft exklusiv genutztes Möbelstück ist, ist also keineswegs selbstverständlich – sondern ein historisch relativ neues Phänomen. Das Bett ist mehr als ein Möbelstück – es ist ein Spiegel unserer Kultur, unserer Intimität, unserer Geschichte. Von der Höhle bis zum Boxspringbett, von Odysseus bis Dornröschen: Wo wir schlafen, zeigt, wie wir leben.
