Wie ich lernte, meine Zwillinge willkommen zu heissen

Jede Geburt ist anders. Während die Autorin die erste als verklärte Erfahrung unter blühenden Bäumen erlebte, war die zweite Schwangerschaft und Geburt wegen einer alten Familiengeschichte geprägt von Angst und Sorge, die sich durch glückliche Fügung dann doch auflösten.

Therese Krähenbühl-Müller

Manche Geschichten dauern so lange wie ein Menschenleben, bis sie ein Ende oder eben einen Anfang finden. So beginnt die Geschichte meiner Zwillinge bereits am 5. Mai 1945. Dabei handelt es sich nicht nur um ein welthistorisch wichtiges Datum, an dem die deutschen Streitkräfte zu kapitulieren begannen und somit die Endphase des Zweiten Weltkrieges eingeläutet wurde. Auch für die Geschichte meiner Familie ist dieses Datum bedeutend, da an diesem Tag die jüngeren Schwestern meines Vaters geboren wurden. «Während ich in den Wehen lag, erklangen im Radio die langersehnten Meldungen vom Waffenstillstand. Das war Musik und im Schwick ging die Geburt vorbei», schrieb meine Grossmutter über diesen Tag. Aber doch nicht problemlos sei alles verlaufen. «Es kam auch noch ein zweites Mädchen nach, und das war tot.» Eine Geschichte, die auch deshalb sehr schwer wog, weil meine Grossmutter bereits ihren ersten Sohn wenige Tage nach der Geburt an plötzlichen Kindstod verloren hatte.

Blühende Bäume

Mein erster Sohn wurde im Frühling 2021 geboren. Obwohl die ganzen Massnahmen rund um Covid die Schwangerschaft etwas einsam machten, erlebten mein Mann und ich seine Geburt als ein geradezu transzendentales Ereignis. Im Wissen darum, dass viele Frauen in meiner Familie gute Geburten gehabt hatten, ging ich voller Vertrauen in das Geschehen hinein. In Erinnerung sind mir vor allem die blühenden Bäume in der untergehenden Frühlingssonne vor dem Fenster des Gebärsaals geblieben, in deren Licht sich der Tag, an dem mein erstes Kind in einer ruhigen und wunderschönen Geburt zur Welt kam, zu Ende neigte. 

Vertraut und doch anders

Als ich zum zweiten Mal schwanger wurde, fühlte sich Vieles schon sehr vertraut an. Einzig war ich erstaunt darüber, dass sich nach nur wenigen Tagen stärkere Symptome wie Übelkeit einstellten. Auch der erste Untersuchungstermin war für meinen Mann und mich fast schon eine Routineangelegenheit. Und dann fühlte es sich an, als hätte jemand auf Pause gedrückt, als der Gynäkologe die Worte für das aussprach, was auch wir sofort auf dem Ultraschallbild erkannt hatten. «Es sind zwei.» Zwillinge. Trotzdem überrollte mich kein reiner Freudentaumel. Stattdessen: eine merkwürdige Mischung aus Staunen, Angst und Traurigkeit. Die Geschichte meiner Grossmutter war wie ein Schatten in unserer Familienerzählung. Ich wusste immer: Zwillinge bedeuteten für uns nicht nur doppeltes Glück, sondern auch doppeltes Risiko, doppelten Schmerz. 

Liebevoll umsorgt

Aber diese Schwangerschaft war nicht 1945. Und ich war nicht allein. Anders als meine Grossmutter, die nicht ahnte, dass sie mit Zwillingen schwanger ist, wusste ich es, konnte mich vorbereiten, bewusste Entscheidungen treffen und von den Erfahrungen aus meiner ersten Schwangerschaft profitieren. Als Risikoschwangere wird man häufiger und auch von verschiedenen Ärzten untersucht. Diese Konsultationen erlebte ich nicht nur positiv und fühlte mich oft verunsichert. Zum Glück hatte ich bereits während meiner Schwangerschaft Nicole Kessler, eine Hebamme aus dem zürcherischen Meilen, an meiner Seite, die nicht nur medizinisch kompetent war, sondern auch intuitiv spürte, wann ich Halt brauchte. Sie ist selbst Mutter von Zwillingen und verfügt darüber hinaus über ein immenses Fachwissen. Von ihr fühlte ich mich die ganze Schwangerschaft über und später auch im Wochenbett liebevoll umsorgt.

Spezielle Geburten

Ich brauchte auch einige Zeit, bis ich mich vom Gedanken einer entspannten zweiten Geburt mit blühenden Bäumen vor dem Fenster verabschieden konnte. Denn Zwillingsgeburten sind immer spezieller als das bei Einlingen der Fall ist. Dass aus diversen Gründen sogar ein Kaiserschnitt anvisiert und schlussendlich unvermeidbar wurde, setzte mir eine Weile lang zu. Ich hatte aber das Glück mit dem Spital Zollikerberg eine Klinik gefunden zu haben, in der ich von einem Ärzteteam betreut wurde, das sehr einfühlsam und vorausschauend agierte, mir jeden Schritt erklärte und die Unsicherheiten aus dem Weg räumte. Der Moment, als beide Kinder aus mir gehoben wurden, war dann nicht weniger magisch als damals, als mein Sohn auf natürlichem Weg zur Welt kam. Gott sei Dank gab es keine Notfallsituation und keine Trennung. 

Beide Babys atmeten von Anfang an selbstständig. Keines musste auf die Neonatologie. Sie wurden mir direkt gezeigt, nur kurz untersucht und dann direkt auf die Brust gelegt – sehr klein, weil sie Frühgeburten waren, aber auch rosig, lebendig und vollkommen. In diesem Moment, als ich ihre kleinen Gesichter zum ersten Mal sah, spürte ich, wie sich etwas löste. Der Schatten der Vergangenheit wich dem Licht der Gegenwart. Ich hatte Zwillinge – ein Mädchen und einen Jungen – und zum ersten Mal fühlte es sich nicht nur nach Verantwortung und Sorge an, sondern nach einem Geschenk. Und nach Heilung.

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