Insektenstiche sind zwar lästig, oft aber harmlos. Für Menschen mit einer Insektenstichallergie können sie allerdings bedrohlich werden. Ein guter Schutz und eine angemessene Immuntherapie helfen. Machen Sie sich jetzt Gedanken dazu.
Angela Bernetta
Während der warmen Jahreszeit werden sie wieder zuhauf unterwegs sein: Hautflügler wie Bienen, Wespen, Hummeln und Hornissen. Während ein Wespen- oder Bienenstich bei den meisten Menschen «lediglich» Schwellung, Schmerzen und lokales Jucken auslöst, reagieren einige heftig. Genauso wie Blütenpollen, Katzenhaare, Medikamente oder Lebensmittel kann ein Insektenstich eine allergische Reaktion auslösen. Bei 3,5 Prozent der Schweizer Bevölkerung gerät das Immunsystem ausser Kontrolle. Sie leiden an einer Insektengiftallergie. Bei einigen kann die allergische Reaktion sogar zu einem anaphylaktischen Schock führen: der Atem stockt, die Organe versagen und/oder das Herz bleibt stehen. Ein tödlicher Ausgang bleibt aber die Ausnahme. Hierzulande sterben jährlich 3 bis 4 Menschen an den Folgen eines Insektenstichs.
«In der Schweiz verursacht das Insektengift von Wespen und Bienen am häufigsten eine allergische Reaktion», sagt Roxane Guillod, Expertin beim aha! Allergiezentrum Schweiz. «Aber auch Hornissen- und Hummelstiche können diese auslösen.» Allerdings seien die zurückhaltenden Hummeln und die auch nachtaktiven Hornissen weniger gefährlich, da seltener unterwegs. «Grundsätzlich kann jeder Mensch eine Insektengiftallergie entwickeln», antwortet Guillod auf die Frage, wer allergiegefährdet ist. «Die Gefahr steigt mit der Häufigkeit der Stiche, also mit zunehmendem Alter.» Ein Allergierisiko bestehe überdies, wenn man innerhalb von wenigen Wochen mehrmals gestochen wird. «Imker*innen etwa werden oft von Bienen gestochen und entwickeln daher eher eine Bienengiftallergie.» Aber auch Menschen, die sich oft im Freien bewegen, wie Gärtner*innen oder Sportler*innen, sind gefährdet.
Allergie erkennen und handeln
Die meisten Menschen werden früher oder später von einer Wespe oder Biene gestochen. Doch woran erkennt man eine Insektenstichallergie? Eine Hautrötung mit einem Durchmesser von über zehn Zentimetern, die mindestens einen Tag lang anhält, kann auf eine Überempfindlichkeit hinweisen, besagt eine Faustregel. Verspürt man zusätzlich ein Frösteln oder fühlt sich krank, macht eine Abklärung Sinn. Allerdings ist auch Nichtallegiker*innen geraten, sich gut vor Wespenoder Bienenstichen zu schützen. Wird man in den Hals oder Mund gestochen, können die Atemwege zuschwellen, was gefährlich werden kann.
Wer an einer Insektengiftallergie leidet, sollte stets ein Notfallset bei sich tragen. Damit man dieses im Ernstfall ohne fremde Hilfe anwenden kann, – eine allergische Reaktion tritt etwa bei der Hälfte der Betroffenen nach fünf Minuten, bei weiteren vierzig Prozent nach einer halben Stunde ein, – macht es Sinn, sich vorab mit dem Inhalt und der Anwendung vertraut zu machen. Gut möglich, dass nicht sofort ein*e Ärzt*in bereitsteht, der*die Hilfe leisten kann. Ein Notfallset enthält für gewöhnlich drei Medikamente: Abschwellende Mittel wie schnell wirkende flüssige Antihistaminika und Kortison-Präparate, die nach einem Stich sofort eingenommen werden sollten, und eine Adrenalin-Fertigspritze, die bei ernsten Beschwerden wie Atemnot, Heiserkeit und Schluckstörungen oder ersten Schockanzeichen zur Anwendung kommt, um den Organismus sofort zu stabilisieren.
Wer angemessen vorbeugt und sich gut schützt (siehe unten), muss hoffentlich nie zum Notfallset greifen.
Immunisierung mit Hyposensibilisierung
Seit vielen Jahren werden Allergiker*innen mit einer Hyposensibilisierung gegen Insektengift erfolgreich behandelt (siehe Interview). Die ärztliche Fachperson spritzt den Betroffenen in Tages- bis Wochenabständen steigende Dosen gereinigten Insektengifts. Das Immunsystem soll sich so schrittweise an das Gift gewöhnen. Dieses Impfverfahren ist allerdings nicht billig und aufwändig – Allergiker*innen müssen regelmässig zur Behandlung.
«Bei einer Insektengiftallergie hilft ursächlich nur diese allergenspezifische Immuntherapie», antwortet Roxane Guillod auf die Frage nach Behandlungsalternativen. Und ergänzt: «Allergiker*innen sollten daher immer ein Notfallset bei sich tragen.»
Interview mit Sara Micaletto
Sara Micaletto arbeitet als Oberärztin an der Klinik für Dermatologie des Universitätsspitals Zürich. Sie erklärt, wieso Menschen so stark auf Insektengifte reagieren, und wieso eine Allergie verschwinden kann.
«natürlich»: Sara Micaletto, wieso reagieren Menschen so stark auf Insektengifte?
Sara Micaletto: Einige Menschen entwickeln allergische Antikörper gegen Bestandteile von Insektengiften. Wenn sie gestochen werden, antwortet das Immunsystem mit einer allergischen Reaktion, die verschiedene Symptome haben kann.
Lässt sich eine Insektengiftallergie vorweg erkennen und somit vermeiden?
Eine allergische Reaktion auf Insektengift vorgängig zu diagnostizieren, ist schwierig. Vieler Menschen Blut ist auf Insektengift sensibilisiert, was aber nicht zwangsläufig zu einer allergischen Reaktion führen muss. Eine allergologische Diagnostik macht nach einer ersten, starken Reaktion auf einen Insektenstich Sinn. Häufig können dann weitere schwere Reaktionen vermieden werden. Insektengiftallergiker*innen werden meist mit einer Hyposensibilisierung therapiert.
Was beinhaltet diese Behandlung?
Eine Hyposensibilisierung gegen Insektengift ist eine Spritzentherapie, die den Körper schrittweise an das Insektengift gewöhnt. Die Patient*innen verbringen zu Beginn der Therapie einen ganzen Tag in der Allergiestation. Sie erhalten über den Tag verteilt 6 Injektionen des Insektengifts in unterschiedlichen Konzentrationen in den Oberarm gespritzt.
Im Wochenrhythmus folgen drei weitere, ambulante Behandlungen. Werden diese gut vertragen, kann man die Therapie bei dem*r Hausärzt*in fortsetzen. Den Patient*innen wird in der Folge alle vier Wochen und im weiteren Verlauf alle fünf bis sechs Wochen eine Spritze über insgesamt fünf Jahre verabreicht.
Wie erfolgreich ist diese Behandlung?
Eine Hyposensibilisierung gegen Bienen- und Wespengift ist in der Mehrzahl der Fälle sehr erfolgreich. Sie schützt die Patient*innen in 95 bis 98 % der Fälle vor einer erneuten, schweren allergischen Reaktion.
Welches sind empfehlenswerte Behandlungsalternativen?
Eine ursächliche Behandlungsalternative zur Desensibilisierung gibt es nicht. Man kann die Patient*innen mit einem Notfallset ausrüsten (siehe Artikel). Die darin enthaltenen Medikamente können bei einer allergischen Reaktion verabreicht werden. Sie dienen der Symptombehandlung und sind keine ursächliche Therapie gegen die Allergie.
Kann eine Insektengiftallergie vollständig verschwinden?
Eine Insektengiftallergie kann nach einer Therapie durch Desensibilisierung und nach mehreren Jahren ohne Insektenstich tatsächlich verschwinden. Häufig lässt sich die Sensibilisierung auf Insektengift im Blut zwar immer noch nachweisen, aber eine allergische Reaktion bei erneuten Stichen bleibt bei den Patient*innen aus.
Schutz vor Insektenstichen
Der beste Weg einer Allergie vorzubeugen ist, sich nicht stechen zu lassen. Nachstehende Verhaltensregeln helfen, sich vor Insektenstichen zu schützen.
- Eine Wespe kommt selten allein. Die Nähe von Wespennestern – am Boden, in morschen Ästen und hohlen Baumstämmen, in Rollladenkästen oder im Estrich – meiden.
- Wespen und Hummeln nisten am Boden, Bienen lieben Klee, darum Naturwiesen und Waldränder nicht barfuss betreten.
- Keine hastigen Bewegungen in der Nähe von stechenden Insekten, sie können darin eine Gefahr sehen. Sich langsam entfernen.
- Keine Essensreste offen liegen lassen, Kindern nach dem Essen den Mund abwaschen.
- Bier und Süssgetränke locken Wespen an, nie direkt ab Flaschen oder Dosen trinken.
- Keine stark parfümierten Haarsprays, Shampoos und Sonnencremen verwenden, die Düfte ziehen Wespen an.
- Schweiss zieht stechende Insekten an: Vorsicht bei Sport und Arbeiten im Freien.
- Wespen nicht anpusten. Das Kohlendioxid in der Atemluft macht sie aggressiv.
- Motorradfahren nur mit geschlossenem Helm und Handschuhen, Mund schliessen beim Velofahren.
- Bei Wespennestern in unmittelbarer Nähe des Wohn- oder Arbeitsortes: Mitteilung an die Polizei oder Feuerwehr.
- Keine weite, flatternde Kleidung tragen. Bei Gartenarbeiten sind langärmelige Hemden, lange Hosen und Handschuhe empfehlenswert.
- Um Orte mit Bienenhäusern einen Bogen machen.
… wenn man trotzdem gestochen wird
- Beim Bienenstich den Stachel in der Haut vorsichtig mit den Fingernägeln oder einer Pinzette herausziehen. Darauf achten, dass die dranhängende Giftdrüse nicht zerquetscht wird, damit nicht noch mehr Gift in die Blutbahn gelangt.
- Rasche Kühlung verlangsamt die Aufnahme des Insektengifts im Körper.
- Bei Schwindel, Übelkeit, Schwitzen, Schwarzwerden vor den Augen oder anderen, heftigen Beschwerden sofort den*die Notärzt*in verständigen.