Vom Trauma in die Befreiung

Ein Trauma ist eine seelische Verletzung, die sich im Nervensystem verankert. Doch wie kommt es genau dazu? Und wie werden wir aus dem Trauma befreit? Die Traumatherapeutin gibt Antworten.

Susanne Scherzinger-Hochuli

«Ein Trauma ist im Nervensystem gebunden. Es ist somit eine biologisch unvollständige Antwort des Körpers auf eine als lebensbedrohlich erfahrene Situation. Das Nervensystem hat dadurch seine volle Flexibilität verloren. Wir müssen ihm deshalb helfen, wieder zu seiner ganzen Spannbreite und Kraft zurückzufinden.» So definiert Dr. Peter A. Levine, einer der bedeutendsten Traumaexperten unserer Zeit, die Entstehung und auch den Weg aus dem Trauma.

Wenn Gefahr droht, reagiert unser Nervensystem mit einem Schub von Energie. Unser Instinkt ist es gewohnt, mit Kampf oder Flucht zu reagieren. Ganz können wir dieses Verhalten in der Tierwelt beobachten. Auf Angriff erfolgt Kampf, ist die Möglichkeit des Kampfes aussichtslos erfolgt die Flucht, wird auch die Flucht aussichtslos, bleibt die Chance zu überleben noch in der momentanen sogenannten Todesstarre, ähnlich der Ohnmacht. Wenn die Gefahr gebannt ist, beruhigt sich das Nervensystem und gibt die mobilisierte Energie wieder frei.

Zu viel, zu schnell, zu heftig

Ein traumatisches Ereignis verhindert in unserem Organismus den normalen Zyklus von Aktivierung – Verteidigung – Flucht – Beruhigung. Im Moment des Geschehens, werden wir überwältigt durch ein Zu-viel, Zu-schnell, Zu-heftig. Auch wenn der Körper viel Energie mobilisiert hat, er kann diese weder verwerten noch entladen. Als Folge davon können Gefühle von Hilflosigkeit, Erstarrung und Abspaltung zurückbleiben, welche die Lebensenergie und die Lebensfreude wesentlich beeinträchtigen oder sogar blockieren. Körperliche und psychische Blockaden geben sich dabei die Hand und zeigen sich dadurch, dass man nicht mehr in die Gänge kommt oder in der Angst gefangen ist. Auch der Verlust von alltäglicher Flexibilität und Mutlosigkeit zeigen sich meist in einem übermässigen Kontrollverhalten und haben ihre Wurzeln in traumatischen Ereignissen. Auch wenn der Ursprung des Traumas nicht bekannt ist; der Körper erinnert sich so oder so daran, weil sich das Trauma im Körper manifestiert hat und die Lebensenergie dadurch nicht mehr frei fliessen kann.

Doch es gibt auch einen Weg aus dem Trauma. Hier noch einmal ein Zitat von Traumaexperte Dr. Peter A. Levine: «Ein Trauma ist heilbar, wenn wir dem Körper dafür die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, denn die Folgen eines Traumas liegen nicht im Ereignis, sondern in den daraus resultierenden Auswirkungen auf das Nervensystem.»

Ein Trauma schreit immer nach Befreiung

Nach über 5000 Jahren Patriarchat (gem. Wikipedia: Väterherrschaft, Vaterrecht herrschte seit 3100 v. Chr) sind wir nun wieder im Matriarchat angekommen. Das bedeutet auch; was früher ein Tabuthema war, darf und soll heute ausgesprochen werden. Ohne das männliche Prinzip zu schwächen oder zu verurteilen, gilt es jetzt, das weibliche Prinzip zu stärken und alle damit verbundenen Themen ans Licht zu bringen.

Seit Jahren begleite ich Frauen und Männer, welche Übergriffe und Missbrauch erlebt haben, aus ihren traumatischen Erinnerungen und Blockaden heraus. Trauma ist ein Thema, welches viel grossflächiger zu finden ist, als die sogenannten «dramatischen» Übergriffe und Missbräuche, welche publik gemacht werden und über welche gesprochen wird.

Übergriffe und Missbräuche haben einen neuen Horizont bekommen, und der muss sichtbar werden. Was noch zu Beginn meiner Tätigkeit vor über 20 Jahren ein von Scham belegtes Tabuthema war, wird heute offen angesprochen. Dafür bin ich sehr dankbar, denn es bringt diesen Menschen, die den Mut haben, darüber zu sprechen, eine komplett neue Lebensqualität sowie einen neuen Bezug zu sich selbst und zu ihrem Körper. Der Wunsch nach aktiver Gestaltung des eigenen Lebens bekommt Energie. Die Schöpferkraft kommt in Bewegung und dadurch wird das Drehbuch des Lebens neu geschrieben.

Dennoch gibt es immer noch sehr viele Menschen, die von Scham und Schuld geprägt sind und bis anhin nicht den Mut hatten, sich ihren Verletzungen und ihrem Schmerz zuzuwenden. All jenen möchte ich Mut machen, sich ihren Verletzungen zu stellen. Auch wenn wir vielleicht gar nicht (mehr) wissen, wann was passiert ist. Dass etwas passiert ist, zeigen der Körper, das Nervensystem, das allgemeine Wohlbefinden, die allgegenwärtige Trauer, die mangelnde Lebensfreude, die Ohnmacht, die Unsicherheit, die Ängste und vieles mehr. – All diese Gefühle sind nicht normal!

Nur weil wir uns an diese lebensblockierenden Hindernisse gewöhnt haben, bedeutet das nicht, dass sie okay sind und, dass wir sie ein Leben lang aushalten müssen. Die Wahrheit ist, dass uns das Trauma von einem von Freude und Energie erfüllten Leben trennt. Es ist ein Grundrecht unserer Existenz, dass wir alle frei sein dürfen von psychischen und physischen Verletzungen und Traumas aus der Vergangenheit. Dabei erlaube ich mir die Bemerkung, dass die Vergangenheit frühere Inkarnationen miteinschliesst, welche in ihren Auswirkungen auf ein sich manifestiertes Trauma, genauso massgebend sind, wie das Erlebte in dieser Inkarnation. Wenn belastende Erfahrungen der Vergangenheit präsent sind, was traumatische Ereignisse unweigerlich sind, dann nehmen diese sehr viel Raum ein. Sie bekommen, bewusst oder unbewusst, unsere volle Aufmerksamkeit und beherrschen unser Leben. Sie sind fast ununterbrochen auf irgendeine Art und Weise in unserem Kopf, in unseren Gedanken und in unserem gesamten System. Ihre Allgegenwärtigkeit ist so kraftvoll, dass wir uns sogar mit ihnen identifizieren. Wir machen sie völlig ungewollt zu unserer Wahrheit. Dadurch geben wir der Vergangenheit den Status der Gegenwart, was uns klar verdeutlicht, dass wir in diesem Moment sowohl körperlich wie auch psychisch stehen bleiben und uns dadurch in jeder Hinsicht selbst blockieren.

Das Ziel ist, die ganzheitliche Flexibilität und Lebenskraft zurückzuholen.

Wenn wir uns und unserem Körper jedoch helfen, zurück in die ursprüngliche Flexibilität und Kraft zu finden, dann kommt auch die Lebenskraft wieder in ihren Fluss. Man könnte sagen, die Vergangenheit verliert dann ihre Existenz. Ab diesem Moment werden wir von ihr nicht mehr beherrscht und beeinflusst. Wir finden zurück zu unserem wahren Leben und zurück zu unserer wahren Existenz und zur freien Ergründung von «Wer bin ich?». Nur so finden wir zurück in unsere körperliche und seelische Balance, was uns ein Leben in der Präsenz des Hier und Jetzt erst möglich macht – frei von Vergangenheit und Zukunft.

Wie löst sich ein Trauma, beziehungsweise ein blockiertes Nervensystem?

Es gibt im Leben eines jeden Menschen eine Zeit vor dem Trauma. Eine Zeit der Unbeschwertheit und Gelassenheit. Ein Körperempfinden vor dem alles verändernden und blockierenden traumatischen Ereignis. Auch wenn sich unser Verstand vielleicht nicht mehr an diesen Zustand erinnert, Körper, Geist und Seele erinnern sich daran und begleiten das Nervensystem zurück in seine Flexibilität.

Der Weg aus dem Trauma heraus, ist die Reise zur Neuorientierung.

Wenn ich meine Klient*innen aus ihrem Trauma heraus begleiten darf, dann bezieht sich das Gespräch erst in zweiter Linie auf das traumatische Ereignis an sich. In erster Linie konzentrieren wir uns gemeinsam auf dessen Auswirkungen auf das Nervensystem. Da das Nervensystem des Menschen von Natur aus das Bedürfnis hat, in seiner Funktion von Flexibilität und Kraft zu sein, unterstützt mich dabei die mir vertraute und erlernte Methode Somatic Experiencing® von Dr. Peter A. Levin, dieses Ziel zu erreichen.

Behutsam richte ich die Aufmerksamkeit auf das Körperempfinden der betroffenen Person, durch das sich ein traumatisch geprägtes Nervensystem zum Ausdruck bringt. Schrittweise findet so die Entladung der blockierten Energie ihren Weg und gleichzeitig wird die durch das Trauma verloren gegangene Orientierung wieder aufgebaut. Es entsteht eine neue Ausrichtung, die das gesamte System wieder in Balance und Harmonie bringt.

Wie finde ich heraus ob ich ein Trauma habe?

Beim Ursprung eines Traumas kennt der Körper keine Wertung über dessen Dramatik. Darum unterscheiden wir auch nicht zwischen kleinen und grossen Traumas. Für den betroffenen Menschen ist sein Trauma immer ein zentrales Thema. Dieses beeinträchtigt ihn in seiner Lebensfreude, in seiner Lebensenergie und in seiner Schöpferkraft. Das sind wesentliche Anzeichen dafür, dass sich ein Trauma etabliert hat.

Weitere Merkmale, dass sich ein Trauma etabliert hat sind: 

  • Belastende Gefühle wie Angst oder Panik, Aggression, Schuldgefühl, Trauer, Lust- und Sinnlosigkeit sowie Hilflosigkeit.
  • Starke Anspannungsgefühle, welche sich durch Herzrasen, Schwitzen, Schmerzen, Magen-Darm- Beschwerden, Schlafstörungen und Albträume zeigen können.
  • Immer wiederkehrende Ereignisse, Erlebnisse und Situationen, die dem Trauma ähneln oder gleich sind.

Kann es sein, dass ich unter einem Trauma leide ohne es zu wissen?

Es kann sein, dass sich ein traumatisches Ereignis dann abgespielt hat, als sowohl der Körper wie auch die Seele (noch) nicht in der Lage waren, dieses zu verarbeiten. Oft tritt dann eine sogenannte dissoziative Amnesie, eine Gedächtnisstörung, ein. Diese wird durch den Stress innerhalb der Traumasituation ausgelöst und führt zur Unfähigkeit, sich an Informationen erinnern zu können. Diese Gedächtnislücken können wenige Minuten bis Jahrzehnte dauern.

 

Susanne Scherzinger-Hochuli ist Lebensberaterin und -begleiterin, diplomierte Traumatherapeutin SE und Autorin. Seit 2002 arbeitet sie als Spezialistin für Systemische Familien- und Organisationsthemen mit eigener Praxis in Aarau und bildet in der Anwendung des «Familienstellens» aus. Ihre Ausrichtung und ihre Medialität gehört der ganzheitlichen Spiritualität, den geistigen Gesetzen des Universums sowie dem Urwissen Advaitas. Als Expertin in diesen Fachgebieten unterrichtet sie als Soul-Coach. Der Weg zu einem Kontakt und weitere Informationen führt über die Homepage www.susanne-scherzinger.ch

Zurück zum Blog