Viele Naturvölker setzen den Eigenurin als Heilmittel ein. Hierzulande ist die Eigenharntherapie nur wenig verbreitet. Dabei ist der Urin weit mehr als ein Restprodukt der Körperausscheidung. Noch gibt es dazu jedoch keine wissenschaftlichen Studien.
Fabrice Müller
Urin als Heilmittel einzusetzen, scheint heute vielen Menschen als eine verrückte Idee zu erscheinen. Urin bei Hauterkrankungen einzureiben, das kann man sich vielleicht noch vorstellen. Aber den eigenen Urin zu trinken? Bei diesem Ansinnen wird man wohl bei den meisten Mitmenschen auf Unverständnis stossen. Dabei blickt die Anwendung von Urin für die sogenannte Eigenharntherapie auf eine lange Tradition zurück. In Indien beispielsweise wurde die Therapie angewandt, um den Körper von belasteten Stoffen zu befreien.
Über 5000 Jahre altes Heilmittel
Diese Tradition lebt in der indischem Medizin Ayurveda seit 5000 Jahren bis heute fort. Uralten Überlieferungen zufolge gab es Reinigungsrituale mit menschlichem Urin zudem in der chinesischen und persischen Medizin sowie bei vielen Naturvölkern wie bei den Inuits oder den Roma. Auch der griechische Arzt Hippokrates (460–375 v. Chr.) nutzte die Heilkräfte des Urins. Im 20. Jahrhundert kam die Eigenurintherapie zu neuer Bekanntheit, nachdem der Engländer John Armstrong offenbar seine als unheilbar geltende Tuberkulose im Eigenversuch mit Eigenurin kurierte. Von 1997 bis 2016 existierte mit der Deutschen Gesellschaft für Harntherapie (DGH) eine Vereinigung von Lai*innen und Therapeut*innen, die überzeugt waren von der Anwendung der Harn- oder Urintherapie. Die Vereinigung hat umfangreiche Informationen zum Thema Urinanwendungen zusammengestellt. Ausserdem konnten viele Menschen für einen anderen Umgang mit dem eigenen Urin sensibilisiert werden.
Der Bereitschaft, eine Therapie mit dem eigenen Urin durchzuführen, steht bei vielen Menschen eine grosse mentale und gefühlsmässig Hemmschwelle entgegen. «Was zu Hippokrates und Paracelsus Zeiten selbstverständlich war, wird heute unbegründet, ohne Verstand und jegliches medizinische Wissen, mit Schaudern abgelehnt», schreibt Wolfgang Podmirseg, Heilpraktiker und Fachautor in seiner Arbeit «Eigenharntherapie und psychosoziale Aspekte». Der heutige Verstand assoziiere mit den menschlichen Ausscheidungen nur negative Vorgänge wie Abfall, Ekel, abstossender Geruch, und so weiter.
Wissenschaftlich nicht nachgewiesen
In der heutigen Medizin geniesst die Therapie mit Eigenurin noch eine geringe Bedeutung, wie Urs Schäffler von der Irchelpraxis in Winterthur berichtet. Die naturheilkundlich ausgerichtete Praxis für manuell- energetische Therapie berät unter anderem Patientinnen und Patienten, die sich für eine Eigenurintherapie interessieren. «Die Wirkung von Eigenurin, vor allem bei der inneren Anwendung, ist mangels Studien wissenschaftlich nicht nachgewiesen», begründet Urs Schäffler, betont jedoch: «Ich habe viele positive Erfahrungen vor allem mit der äusseren Anwendung gemacht und kann zu hundert Prozent dazu stehen.» Der Therapeut schätzt an der Urintherapie, dass sie jederzeit verfügbar und einfach anzuwenden ist, auch unterwegs, wenn man keine Medikamente bei sich hat. «Vor allem die äussere Anwendung eignet sich bestens dafür, erste Erfahrungen mit dem Eigenurin zu sammeln.»
Was passiert bei der Urintherapie? Bei der Einnahme des Eigenurins, der unter anderem Mineralstoffe wie Kalzium, Kalium und Natrium sowie Vitamine, Aminosäuren, Hormone und Enzyme enthält, wird ein Reiz im Körper ausgelöst. Dieser wiederum soll den Körper dazu veranlassen, mit einer sogenannten Reizantwort zu reagieren. Auf diese Weise wird das Immunsystem stimuliert und bei der Bekämpfung von verschiedenen Krankheiten künftig besser unterstützt. «Mich fasziniert an der Eigenurintherapie unter anderem die grosse Palette an Einsatzmöglichkeiten», betont Urs Schäffler.
Innerliche Anwendung
Der Eigenurin kann über verschiedene Arten dem Körper zugefügt werden. Bei der innerlichen Anwendung wird der Eigenharn durch Trinken, Gurgeln, Inhalation, Einlauf sowie als Ohren- oder Nasentropfen eingenommen. Die Einnahme des Eigenurins wird als Kur über mindestens vier Wochen empfohlen. Weiter lässt sich der Eigenurin auch zur Herstellung eines homöopathischen Mittels verwenden. Er wird zu diesem Zwecke zunächst potenziert, das heisst, mit Wasser verdünnt und anschliessend verschüttelt. Dies soll gemäss dem homöopathischen Grundsatz der Substanz eine höhere Wirksamkeit verleihen. Der potenzierte Eigenurin kann oral eingenommen werden. Die innerliche Anwendung hat sich als besonders erfolgreich gegen Rheuma, Magen-Darm-Erkrankungen, Infektionskrankheiten und Atemwegbeschwerden herausgestellt.
Bei Mund-, Zahn- und Sinusitis-Problemen wird Urin zum Spülen und Gurgeln eingesetzt. Dabei saugt der Urin die Flüssigkeit aus den Geweben, mit denen er in Kontakt kommt. Mit dem eingesaugten Wasser werden auch Eiter und Schleim entfernt; die im Urin enthaltenen Enzyme und Hormone wirken entzündungshemmend auf die Schleimhaut. Weiter wird die Eigenurintherapie bei Heuschnupfen empfohlen. Regelmässige Haarpackungen sollen zudem zu einer Revitalisierung des Haarwachstums und zu einer intensiveren Haarfarbe führen.
Morgenurin am wirkungsvollsten
Bei der oralen Einnahme gilt der Morgenurin als besonders wirkungsvoll, da er mit vielen Hormonen gesättigt ist. Dafür sorgen die um diese Zeit aktiven Drüsen wie Hypothalamus oder Hypophyse. Gleichzeitig verzeichnet der Morgenurin über Spitzenwerte der Sekretion von Glykokortikoiden durch die Nebennieren und die Aktivität der Schild- und Bauchspeicheldrüse. Am Nachmittag und Abend dagegen ist der Harn mit Nährstoffen und deren Produkten gesättigt. Somit ändert sich die Zusammensetzung des Urins ständig, abhängig von den Organaktivitäten und vom Stoffwechsel. den Organaktivitäten und vom Stoffwechsel. Noch mehr Heilerfolge lassen sich gemäss dem deutschen Heilpraktiker Eberhard Waldschmidt aus Herbolzheim (D) erzielen, wenn der Urin eingekocht wird. Diese Methode wird bereits in alten indischen Schriften erwähnt. Der Urin wird in einem Topf auf kleiner Flamme auf etwa einen Viertel seiner Menge eingekocht und abgekühlt. Er entfaltet offenbar eine stark entgiftende Wirkung und wirkt antiparasitär.
Äusserliche Anwendung
Für die äusserliche Anwendung tupft man den Eigenurin unverdünnt auf die Haut – oder er kommt für Umschläge und Bäder zum Einsatz. Hier hilft der Eigenurin laut Urs Schäffler bei verschiedensten Hautkrankheiten und Gelenkbeschwerden, da ihm schmerzlindernde Eigenschaften zugeschrieben werden. Wirksam soll die Therapie zudem gegen Fusspilz, Sonnenbrand und Warzen sein, und auch allgemeiner Juckreiz und Cellulite lassen sich mit Urin anscheinend lindern. Synthetischer Harnstoff, bekannt als Urea, findet sich bereits in vielen Hautpflegeprodukten, ohne dass wohl die meisten Konsumentinnen und Konsumenten sich dessen bewusst sind. Eine positive Wirkung des harnstoffreichen Urins auf die Haut erscheint daher nicht ganz unplausibel.
Urin gegen Krebs?
Professor Dr. Uwe Hobohm von der Universität für angewandte Wissenschaften in Giessen (D) setzt sich unter anderem mit Spontanheilungen bei Krebs auseinander – zum Beispiel im Rahmen einer Urintherapie. «Es gibt einige anekdotische Berichte von Spontanheilungen bei Krebs mit Urintherapie. Von diesen und anderen Fällen bekommt man den Eindruck, dass die Urintherapie ebenfalls eine stimulierende Wirkung auf das Immunsystem hat», sagt Uwe Hobohm, räumt jedoch ein: «Wir befinden uns erst am Anfang auf dem Weg zum wissenschaftlichen Verständnis.» Von der Harnsäure im Urin nimmt man an, dass sie die Zerstörung durch die Peroxid-Radikale verhindert und deshalb den Ursprung einer Krebskrankheit hemmen kann. Wissenschaftliche Studien zur Wirksamkeit von Urin gegen Krebs gibt es allerdings noch keine.
Keimbelastung und Nebenwirkungen
Von einer Eigenurintherapie abgeraten wird Personen mit Bluthochdruck, Diabetes, Krebserkrankungen oder einer Schilddrüsenüberfunktion. Auch bei fiebrigen Erkrankungen, schweren Herz-Kreislauf-Beschwerden, Nierenschwäche, Blasenentzündungen, Harnweginfekten und Leberproblemen ist die Eigenurintherapie nicht zu empfehlen. In manchen ärmeren Regionen in Afrika wird die Urintherapie als billiges, leicht verfügbares traditionelles Heilmittel auch bei kranken Babys und Kindern angewendet. Eine Untersuchung des Urins von gesunden Kindern und Kühen in Nigeria fand darin eine erhebliche Keimbelastung. Unter anderem konnte das Forschungsteam antibiotikaresistente Keime nachweisen. Zu den möglichen Nebenwirkungen der Eigenharntherapie aufgrund mangelnder Reinheit des Urins oder gar durch Belastungen mit Bakterien und Viren zählen Durchfall, Übelkeit oder Erbrechen, Kopfschmerzen und Müdigkeit.
Zahlreiche Erfolgsmeldungen
Trotz aller Kritik: Als Erfahrungsmedizin scheint die Eigenurintherapie bei vielen Menschen ihre Wirksamkeit bewiesen zu haben. Urs Schäffler von der Irchelpraxis hat von seinen Patient*innen wie auch von externen Personen verschiedene Zuschriften und Erfahrungsberichte rund um die Eigenurintherapie erhalten, zum Beispiel von einem Mann im Alter von 47 Jahren: «Ich trinke seit ca. 15 Jahren täglich meinen Morgenurin. Ausserdem reibe ich meine Haut ein bis zweimal monatlich ein und nehme auch gerne ein Wannenbad, ohne Schampoo, aber mit Urin. Meine Haut ist sehr viel gesünder und geschmeidiger als früher. Durch das Trinken des Urins habe ich keine Grippe mehr, die ich sonst regelmässig einmal im Jahr hatte.» In einer anderen Zuschrift wird folgender Fall geschildert: «Ich hatte immer wieder Schulterschmerzen und war in verschiedenen Behandlungen. Die Kortisonspritze half. Der Arzt meinte, es sei eine Schleimbeutelentzündung. Die Schmerzen kamen aber wieder, zwar nicht mehr so stark wie früher, aber immer noch sehr behindernd. Seit diesem Sommer reibe ich die Schultern morgens mit dem Eigenurin ein. Nach ein paar Wochen gingen die Schmerzen markant zurück.» Bei einer anderen Patientin konnte eine sehr schmerzhafte Schwellung im Daumengelenk geheilt werden: «Ich machte dreimal täglich Umschläge während 20 Minuten. Die Schwellung ging sofort zurück, ebenso die Schmerzen. In wenigen Tagen konnte ich wieder arbeiten und brauchte auch keine Schmerzmittel mehr.»
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