Spiegel der Seele unter der Lupe

Die Augen gehören zu unseren wichtigsten Sinnesorganen. Doch hinter ihnen steckt mehr, als man denkt. Sie stehen in Verbindung mit dem ganzen Körper. Deshalb wird die Iris in der Naturheilkunde für Diagnosen eingesetzt.

Fabrice Müller

 

«Ich schau dir in die Augen, Kleines!» Wer kennt ihn nicht, diesen wohl berühmtesten Trinkspruch aus der Filmwelt, als Humphrey Bogart als «Casablanca Rick» mit Ilsa, gespielt von Ingrid Bergmann, anstiess und diesen in die Filmgeschichte eingegangen Spruch vor sich hin schnurrte. Nicht nur im Film gilt: Der Blick in die Augen eines anderen Menschen bedeutet, ihm auf der seelisch-geistigen Ebene näher zu kommen. «Augen sind nicht nur aufnehmende Organe, sie geben auch Informationen über einen Menschen ab und zeigen seine Wesensmerkmale. So ist jedes Auge einzigartig und kommt kein zweites Mal auf der Welt vor», erklärt Friedemann Garvelmann, Heilpraktiker und Fachbuchautor aus Lauchringen (D) und tätig in der Aus- und Weiterbildung für Naturheilkunde sowie Augendiagnostik im gesamten deutschsprachigen Raum. Derzeit unterrichtet er angehende Naturheilpraktikerinnen und -praktiker an der Akademie QuintaMed in Hettlingen ZH.

Die Ausstrahlung der Augen lässt sich nicht bewusst über die Muskeln oder das Gehirn steuern. Das glückliche Strahlen etwa, oder ein Ausdruck von Trauer, sie entstehen in der Tiefe der Seele und werden in den Augen sicht- bzw. spürbar. Bei der Informationsübertragung über die Augen sei weniger der Verstand als vielmehr die Gefühlswelt und Intuition im Spiel, sagt der Heilpraktiker. Die Augen seien aber auch ein Spiegelbild der Lebensprinzipien eines Menschen. «Lebenssituationen, Krankheiten aber auch die Ernährungsgewohnheiten können den Ausdruck der Augen verändern. In diesem Sinne durchläuft das Auge mit den Jahren einen gewissen Reifeprozess, im positiven wie auch im negativen Sinne», sagt Friedemann Garvelmann.

Verbindung zwischen Augen und Körper

Die Augen sind die einzige Stelle am menschlichen Körper, wo das Bindegewebe direkt sichtbar ist. Sie gehören zu den kleinsten Organen, sind zugleich jedoch zwei der wichtigsten. Das Hauptorgan, mit dem die Augen interagieren, ist das Gehirn. Daneben jedoch stehen sie in Verbindung mit einer Vielzahl von Körpersystemen. Zum Beispiel mit der Zirbeldrüse: Sie reguliert zum einen den Schlaf-Wach-Rhythmus und die Gedankenstrukturen, zum anderen steht sie auch in Verbindung mit den Augen sowie dem sogenannten dritten Auge bzw. dem sechsten Chakra, das für die Intuition und innere Wahrnehmung zuständig ist. Die Augen sind ferner mit dem Gefässsystem verbunden, da sie mit Blut und Nährstoffen versorgt werden müssen, um zu funktionieren.

Gemäss der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) spiegeln die Augen den Zustand der Leber wider. Die Augen werden von dem beeinflusst, was die Leber belastet, besagt die TCM-Literatur. Weiter wirken sich Verletzungen oder Verschiebungen des zweiten Halswirbels, Axis genannt, auf die Sehfähigkeit aus. Die Muskelpartien von Augen, Schultern und Nacken stehen in engem Zusammenhang. Ist eine dieser Muskelgruppen verspannt, werden früher oder später auch die anderen beeinträchtigt. Es bestehen beispielsweise auch Verbindungen zwischen den Augen und den Zähnen: Die Nummern 13 und 23 der oberen Zähne beeinflussen den hinteren Teil der Augen, die unteren Zähne Nummer 33 und 43 stehen in Verbindung mit dem vorderen Teil der Augen.

Landkarte mit Organzonen

Dieses Wechselspiel zwischen Augen, Körper, Geist und Seele kommt vor allem in der Iris zum Ausdruck. Die sogenannte Augen- oder Irisdiagnose arbeitet insbesondere mit der Regenbogenhaut des Menschen, indem sie – ähnlich wie über die Zunge oder die Reflexzonen an Ohren, Füssen und Händen – versucht, dem körperlichen und seelischen Zustand eines Menschen auf die Spur zu kommen.

Als Grundlage der Irisdiagnostik dient die Vorstellung, dass sich in der Regenbogenhaut des Auges die Funktions- und Leistungsfähigkeit aller Organe des Körpers widerspiegeln, aufgeteilt nach einem bestimmten Schema. Die Strukturen der Iris ähneln also einer Landkarte, die verschiedene Organzonen abbildet. Die Organe der rechten Körperseite sind im rechten Auge und die linksseitigen Organe haben ihre Entsprechung im linken Auge. Während sich innere Organe wie Magen oder Darm in der Topografie der Iris eher in der Nähe der Pupille finden, sind peripher gelegene Organe wie beispielsweise die Haut, die Stirn oder die Stirnhöhlen am Rand der Iris angeordnet. Sogenannte Iriszirkel unterteilen die Iris in 60 Abschnitte, die bestimmten Organen oder auch psychischen Aspekten zugeordnet sind.

Hinter die Kulissen blicken

«Es ist nicht das Ziel der Irisdiagnose», betont Friedemann Garvelmann, «eine aktuelle Krankheit im Auge zu sehen.» Hierfür gebe es andere, geeignetere Methoden. Doch: «Die Analyse der Iris lässt uns hinter dieKulissen blicken und zeigt, auf welcher Basis eine Krankheit beim jeweiligen Menschen entsteht.» Garvelmann spricht dabei von der Konstitution eines Menschen, die sich über die Irisdiagnose erkennen lasse. Diese präge die Art und Weise und die Intensität wie eine Person auf krankmachende Reize reagiert. «Mit Hilfe der Irisdiagnose sehe ich den ganzen Menschen. Das ist für die Naturheilkunde besonders wertvoll, weil sie selbst lokale Beschwerden wie zum Beispiel Schulterschmerzen stets als Ergebnis einer Störung im Gesamtorganismus sieht, der nach individuellen Mustern arbeitet. So zeige die Irisdiagnose die Wurzeln und systemischen Zusammenhänge einer Krankheit auf.

Blau und Braun

Welche Merkmale und Eigenheiten auf der Regenbogenhaut Iris spielen in der Irisdiagnose eine Rolle? Wie Garvelmann erklärt, wird in der Irisdiagnose auf Formund Farbveränderungen auf der Regenbogenhaut, in der Pupille, im Augenweiss und auch den Lidern geachtet. Zuerst zu den Farben: «Wir unterscheiden bei den Augenfarben zwischen zwei Grundfarben», erklärt er und nennt zum einen die für Mitteleuropa typischen blauen und die in südlicheren Gefilden häufig anzutreffenden braunen Augen. «Bei den Blauäugigen herrscht in der Regel eine hohe Dominanz des Lymphsystems vor, während bei den braunäugigen Menschen das Blutsystem sehr ausgeprägt ist.» Und die grünen Augen? «Die gibt es im Grunde genommen nicht, weil sie ursprünglich blau, jedoch mit vielen braunen Pigmente versehen sind. Das erzeugt in der Farbmischung den Eindruck der grünen Iris», begründet der Heilpraktiker. Mit zunehmendem Alter eines Menschen werden die braunen Pigmente häufig dichter und auffälliger. Interpretiert werden die Gegebenheiten einer Iris mit Hilfe eines Mikroskops. Darin erkennt man nicht nur die Grundfarbe der Iris, sondern auch die verschiedenen anderen Farbpigmente und weitere Besonderheiten der Strukturen.

Grüne Augen sind ursprünglich blau, jedoch mit vielen braunen Pigmenten versehen. Das erzeugt in der Farbmischung den Eindruck der grünen Iris.

Bei den Blauäugigen herrscht in der Regel eine hohe Dominanz des Lymphsystems vor …

… während bei den braunäugigen Menschen das Blutsystem sehr ausgeprägt ist.

Verfärbungen und Strukturen

Braune Farbpigmente innerhalb der Iris beispielsweise sind laut Friedemann Garvelmann ein Hinweis darauf, dass das Leber-Galle-System Defizite bei der Ausscheidung bestimmter aggressiver, 'hitziger' Endprodukte des Stoffwechsels aufweist. Leuchtend weisse Stellen weisen auf eine Übersäuerung der Körpergewebe hin, was wiederum Gicht und Gelenkschmerzen hervorbringen kann. Helle Bereiche und Fasern in der Iris zeigen übersteigerte Aktivität der betroffenen Organe, was sich zum Beispiel als akute Entzündungen, Muskelverkrampfungen, gereizte Nerven oder in einer überproduktiven Schilddrüse manifestiert. Bereiche, die dunkler sind als das umliegende Irisgewebe, weisen auf eine Unterfunktion bzw. eingeschränkte Organtätigkeit hin. Das kann etwa bedeuten, dass die Effizienz des Abwehrsystems vermindert ist, was zu chronischen Krankheitsverläufen führt, oder dass das betroffene Organ die im Interesse des Gesamtorganismus notwendige Leistung nicht erbringen kann. Tauchen im Irisgewebe oval- oder wabenförmige Strukturen auf, sei dies ein Zeichen für Organschwäche. Auch mögliche Tendenzen hin zu Krebserkrankungen liessen sich durch die Irisdiagnose erkennen – nicht aber eine Krebserkrankung selbst.

In der Schulmedizin umstritten

Während die Irisdiagnose in der Traditionellen Europäischen Naturheilkunde (TEN) eine wichtige Rolle im Diagnoseprozess einnimmt, stösst sie in der Schulmedizin auf Ablehnung. So wird der Lehre der Irisdiagnose zum Beispiel vorgeworfen, dass die Einteilung der Iris in Segmente willkürlich gewählt sei und sich widerspreche. Bei kontrollierten Testdiagnosen scheitere die Irisdiagnostik zudem regelmässig. Dem entgegnet Friedemann Garvelmann: «Die Schul- und Naturheilmedizin arbeiten mit verschiedenen Denkmodellen, was sich auch in der diagnostischen Fragestellung widerspiegelt. So geht es in der Irisdiagnose gar nicht darum, eine aktuelle Krankheit zu erkennen und zu benennen, sondern sie hat das Ziel, die konstitutionellen Hintergründe zu erkennen, auf deren Basis vor allem die chronischen Krankheiten entstehen. «Die Irisdiagnose ist somit ein wichtiger Mosaikstein zur Erkennung der individuellen krankheitsprägenden Mechanismen im Gesamtorganismus. So hilft sie der Therapeutin bzw. dem Therapeuten, ein Therapiekonzept zu entwickeln, das nicht nur die aktuellen Beschwerden lindert, sondern auch die ursächliche konstitutionelle Langzeitsituation so stabilisiert, dass die körpereigenen Selbstheilungsmechanismen die Krankheit heilen können.

www.humores.org

www.quintamed.ch

 

Altes Wissen

Die Kunst der Augendiagnose wurde bereits im alten Ägypten angewandt. Durch den Fund früher Steinplatten in Asien gibt es Hinweise darauf, dass die Menschen dort ebenfalls die Irisdiagnose nutzten. Sie beschäftigten sich dabei vor allem mit farblichen Veränderungen im Auge. Philippus Meyens teilte 1670 in Dresden die Iris in verschiedene Bereiche ein, die er jeweils bestimmten Körperregionen zuordnete. Seine Erkenntnisse schrieb er in der «Physiognomia Medica» nieder und begründete dadurch die Grundlagen für die heutige Irisdiagnose.

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