Sanfte Medizin für vierbeinige Lieblinge

Was dem Menschen hilft, wirkt auch beim Tier. Tierheilpraktikerinnen und -praktiker setzen die Komplementärmedizin bei Gross- und Kleintieren ein. Der Beruf ist jedoch noch nicht in allen Kantonen etabliert.

Fabrice Müller

Poco wartet bereits. Mit ihrer roten Decke ist die Quarter-Stute nicht zu übersehen. Aufmerksam spitzt sie die Ohren und schaut rüber zum Parkplatz, wo der Besuch gerade aus dem Auto steigt. Man kennt sich. Der Gast begleitet Poco schon seit vier Jahren. Und er kennt ihre Geschichte. Sie kam in Kenntucky (USA) zur Welt und hatte dort wohl einen schlechten Start in ihr noch junges Leben – mit hohem Leistungsdruck und vermutlich wenig tierfreundlicher Haltung. Vierjährig kam sie nach Deutschland. Von da an stand sie jahrelang als Sport- und Zuchtpferd im Einsatz. Heute kann das 28-jährige Pferd seinen Ruhestand geniessen. Wären da nicht gewisse Verspannungen, Verkrampfungen und gar Lähmungserscheinungen am Muskelapparat zwischen Schultern und Hüfte. Dies führt zudem zu Schmerzen, Arthrose und oftmals auch zu einem unsicheren Gangbild. Deshalb arbeitet der Gast, Beat Hug, heute im Rahmen einer manuellen Therapie am Bewegungsapparat von Poco. Beat Hug ist Tierheilpraktiker aus Häggenschwil und Vorstandsmitglied des Berufsverbandes der Tierheilpraktikerinnen und -praktiker Schweiz (BTS).

Vertrauen aufbauen

Geduldig lässt sich das Tier behandeln. Hug arbeitet sich von Muskel zu Muskel vor. Mit gezielten Druckimpulsen testet er die Reaktionen des Pferdes. Dieses reagiert prompt. Manchmal mit einem Zucken am Muskel, mit Gegenbewegungen, mit gerunzelten Nüstern, nach hinten gestellten Ohren – oder, indem es den Kopf nach hinten in Richtung des Therapeuten dreht. Muskel für Muskel wird gelockert. Poco quittiert dies mit einer entspannteren Haltung und oft mit Schlecken. Hug geniesst das Vertrauen des Tieres. Er kommt ihm sehr nahe. Manchmal trennen nur wenige Zentimeter das Gesicht des Tierheilpraktikers von jenem des Pferdes.

Immer wieder spricht er bei der Behandlung mit dem Pferd, sagt, was es tun soll, zum Beispiel atmen, das Bein locker lassen, oder Gegendruck geben. Poco befolgt die Anweisungen. Dies sei allerdings nicht bei allen Pferden so, gibt Hug zu bedenken. «Manchmal braucht es viel mehr Zeit, um das Vertrauen aufzubauen und mit dem Pferd zu arbeiten.» Nathalie Mittner, die Halterin von Poco, arbeitet bewusst mit dem Tierheilpraktiker, nachdem der Tierarzt dem Tier nur bedingt helfen konnte. Der Erfolg der Behandlung gibt ihr Recht: Nach 50 Minuten ist das Gangbild von Poco wesentlich entspannter und sicherer. Auch die Körpersprache und die Mimik des Pferdes sprechen eine deutliche Sprache. Nun kann es die rüstige Seniorin kaum erwarten, auf die grosszügige Weide zu gehen und sich dort auszutoben.

Das Tier als Ganzes betrachten

Für Beat Hug wartet heute bereits ein nächster Fall. Eine verzweifelte Hundehalterin, deren Hund nach der Kastration grosse Probleme mit der Verdauung hat. Die Behandlung mit Antibiotika hat offenbar zu keiner Verbesserung geführt. «Oft kommen die Leute zu mir, wenn die Schulmedizin dem Tier nicht helfen konnte und sie nicht mehr weiterwissen. Ich bin dann sozusagen ihre letzte Hoffnung», erzählt Beat Hug. Dann spricht der Tierheilpraktiker über den Mechanismus von Bakterien im Darm und ärgert sich darüber, wenn man den Tieren seiner Meinung nach manchmal allzu leichtsinnig Antibiotika verschreibt. Die Aufgaben von Bakterien im Darm seien derart vielfältig und immer noch zu wenig klar, dass man sie nicht einfach bekämpfen bzw. unterdrücken dürfe. Beat Hug versucht stets, das Tier als Gesamtes in seine Arbeit miteinzubeziehen, inklusive seiner Vorgeschichte und Wesensart. «Dadurch erhalte ich einen breiteren Blickwinkel», begründet Beat Hug und schildert den Fall eines Hundes, der unter einer akuten Hautentzündung leidet. Von der Hundehalterin erfährt der Therapeut, dass das Tier vor einem halben Jahr starke Verdauungsstörungen hatte. «Der Hautausschlag ist nur der Ausdruck, ein sogenannter Hot Spot für ein inneres Problem. Anstatt die Haut mit Cortison zu behandeln, gehe ich dem Verdauungsproblem auf die Spur, untersuche den Kot, sein Volumen und das Futter.»

Schul- und Komplementärmedizin

Wenn es dem Tier nicht gut geht, leidet auch die Halterin oder der Halter mit. «Ich sehe mich deshalb als Vermittler zwischen den beiden», sagt Beat Hug. Die Tierhalter* innen seien bei gewissen Symptomen ihrer Tiere verunsichert und haben Mühe, diese zu deuten. Immer wieder müsse er seine Arbeit gegenüber seinen Kund*innen auch erklären und begründen. Dies setzt ein fundiertes schulmedizinisches und komplementärmedizinisches Wissen voraus. In seiner Ausbildung zum Tierheilpraktiker belegte Beat Hug rund tausend Lektionen in Schulmedizin. Hinzu kommen 1500 Stunden Fachausbildung rund um Manuelle Therapie, Spagyrik und Homöopathie. «Der grosse Unterschied zwischen dem Tierheilpraktiker und dem Schulmediziner liegt zum einen in der Fallaufnahme und Beurteilung, und zum anderen in der Wahl der Behandlung, wo wir auf komplementärmedizinische Methoden setzen», erläutert Beat Hug. All dies brauche jedoch Zeit. Maximal fünf Behandlungen führt der Therapeut pro Tag durch. Die manuelle Therapie dauert je nach Fall bis zu eineinhalb Stunden. Hinzu kommen die Nachbearbeitung und beispielsweise das Erstellen von Fütterungsempfehlungen. Kommt Beat Hug in einem Fall nicht weiter, tauscht er sich mit Fachkolleginnen und -kollegen aus.

Vier Fachbereiche

Die Methodenvielfalt in der natürlichen Tierheilkunde ist breit. Wer sich zur Tierheilpraktikerin oder zum Tierheilpraktiker ausbilden lässt, kann sich auf TierhomöopathieTraditionelle Europäische Naturheilkunde (TEN), Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) und Manuelle Therapien spezialisieren (siehe auch Info-Box). Ob Akupunktur, Spagyrik oder Globuli – was beim Menschen wirkt, hilft auch dem Tier. Sogar noch mehr, ist Beat Hug überzeugt, denn: «Beim Tier ist der Verstand nicht als Störfaktor im Spiel. Und die Tierhalter*innen sind von der Therapie überzeugt und machen motiviert mit.» Neben unterstützenden Massnahmen bei Tieren mit Krankheiten und Verhaltensauffälligkeiten beraten Tierheilpraktikerinnen und -praktiker ebenso bei Zuchtfragen, Fütterungs-, Haltungs- und Erziehungsproblemen sowie beim Kauf eines Tieres.

Nicht in allen Kantonen erlaubt

Die Nachfrage von Seiten der Tierhalterinnen und -halter nach einer ganzheitlichen Behandlung ihrer Lieblinge sei gross. Allerdings ist der Tierheilpraktiker* innen-Beruf nicht in allen Kantonen erlaubt. «Wir arbeiten in gewissen Kantonen in einem Graubereich. Und dies obwohl wir in der Ausbildung unter anderem von Kantonstierärzt*innen geschult werden», gibt Beat Hug zu bedenken.

Die Nachfrage nach Ausbildungen, die beispielsweise bei der Paramed in Baar oder für Tierhomöopathinnen und -homöopathen an der SHI in Zug durchgeführt werden, ist laut Beat Hug gross. Gegen 20 Studierende absolvieren pro Jahr die berufsbegleitenden Ausbildungen, die rund vier Jahre mit bis zu 2100 Unterrichtsstunden dauern. Der Weg von der Studentin bis zur erfolgreichen Tierheilpraktikerin sei allerdings lang, räumt Beat Hug ein. Es brauche viel Durchhaltewillen und auch ein wirtschaftliches Denken, um eine eigene Praxis aufzubauen. Beat Hug ist seit 2004 im Bereich der Tiergesundheit unterwegs. Neben veterinär- und schulmedizinischen Grundlagen absolvierte er verschiedene Fachausbildungen und Praktika.

Ehemals Bäcker und Betriebsökonom Seit dem Beginn seiner Arbeit hat Beat Hug über 1350 Kund*innen und über 11 215 Behandlungen ausgeführt. «Dank meines Betriebsökonomiestudium bin ich auch wirtschaftlich gefestigt», betont der Tierheilpraktiker, der ursprünglich Bäcker/Konditor lernte und nach der Meisterprüfung seine eigene Bäckerei führte. Wegen einer Mehlallergie sah er sich allerdings gezwungen, sich beruflich neu zu orientieren. «Ich hatte schon immer einen guten Draht zu Tieren. Die Ausbildung zum Tierheilpraktiker war für mich somit eine Herzensangelegenheit.» In seiner Praxis arbeitet Beat Hug mit Hunden sowie mit Grosstieren wie Pferden, Kühen, Rindern und manchmal sogar Dromedars.

Mehr Infos: www.beat-hug.ch

 

Berufsbildung und Ausbildung

Um das Berufsbild besser in der Schweiz zu etablieren, wurde 1998 der Berufsverband BTS ins Leben gerufen. Als Partner des Homöopathie Verbandes Schweiz (HVS) engagiert sich der BTS für die Stärkung der Alternativ- und Komplementärmedizin. «Wir fördern die integrative Medizin und die Zusammenarbeit mit Tierärzt*innen und anderen Fachpersonen im Bereich der Tiergesundheit», ergänzt Beat Hug vom Verbandsvorstand. Und schliesslich strebt der Verband eine einheitliche Bewilligungspraxis zur selbstständigen Ausübung der Tätigkeit als Tierheilpraktiker*in bzw. Tierhomöopath*in an.

Vier Fachbereiche

In der Ausbildung können sich die Studierenden in den vier Fachbereichen Tierhomöopathie, Traditionelle Europäische Naturheilkunde (TEN), Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) und Manuelle Therapien spezialisieren.

Veterinärmedizin, Verhaltensbiologie und Praktikum In allen vier Fachrichtungen werden mindestens 500 Stunden Veterinärmedizin, 200 Stunden Haltung/Verhaltensbiologie sowie hundert Stunden Praktikum vorgeschrieben.

www.tierheilpraktikerverband.ch

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