Neige dein Ohr an mein Herz – Vom Rhythmus des Lebens
Unsere Rhythmen unterliegen einem zyklischen biologischen Regelwerk,
das etwa 24 Stunden dauert und viele Körperfunktionen steuert. Diese werden als zirkadiane Rhythmen bezeichnet und sind nicht nur bei uns Menschen, sondern auch in der Natur weit verbreitet.
Heide-Dore Bertschi-Stahl, Akademie QuintaMed
Der gerade entbundenen Mutter legt die Hebamme nach altem Wissen das Neugeborene auf die linke Brustseite. Bei einer natürlichen und komplikationslosen Geburt darf die Nabelschnur auspulsieren, bis sich die Plazenta von selbst aus der einstigen Fruchthöhle löst. Säuglinge und Kleinkinder schmiegen sich zum Trost an die Brust, um sich durch den Rhythmus des Mutterherzens zu beruhigen. Der stete, sich anpassende Rhythmus bringt uns ins Leben und ins lebendige Sein. Die zirkadianen Rhythmen sind ein evolutionäres Phänomen. Es ermöglicht den lebenden Organismen ihre biologischen Funktionen mit den täglichen Veränderungen der Umwelt zu synchronisieren. Dieses Zusammenspiel von innerer Uhr und z. B. natürlichen Lichtzyklen ist entscheidend für das Überleben sowie die Anpassungsfähigkeit der Lebewesen auf der Erde, im Wasser und in der Luft. Gleichzeitig kann eine Störung der zirkadianen Rhythmen durch künstliches Licht, Schichtarbeit oder Reisen über Zeitzonen hinweg zu Gesundheitsproblemen führen, da die Anpassungsfähigkeit beeinträchtigt wird.
Die innere Uhr
Fast alle Lebewesen, wie wir Menschen, Pflanzen bis hin zu Tieren und Mikroorganismen, haben eine innere Uhr, die ihre biologischen Prozesse nicht nur an den Tag-Nacht-Zyklus anpassen, sondern an alle Einflüsse sowohl von aussen (Klima) und innen (Nahrung). Durch unseren gewählten Lebensstil können die Rhythmen in ein ziemliches Durcheinander geraten.
Das Herz-Kreislauf-System: Die zirkadianen Rhythmen beeinflussen den Blutdruck und die Herzfrequenz. In den frühen Morgenstunden, wenn der Körper auf das Aufwachen vorbereitet wird, steigt der Blutdruck an, um die Durchblutung und Sauerstoffversorgung zu erhöhen. Tagsüber bleibt der Blutdruck normalerweise auf einem erhöhten Niveau, um den Anforderungen der Aktivitäten gerecht zu werden. Am späten Abend sinken Blutdruck und Herzfrequenz wieder ab, um den Körper auf den Ruhezustand vorzubereiten.
Der Magen-Darm-Trakt: Die Verdauung folgt ebenfalls einem zirkadianen Rhythmus. Die Aktivität des Magen-Darm-Trakts nimmt in der Regel während des Tages zu, wenn Nahrung aufgenommen wird. Dies wird unterstützt durch die Produktion von Magensäure und die Ausschüttung von Verdauungsenzymen. In den Nachtstunden, wenn die Nahrungszufuhr reduziert sein sollte, verlangsamt sich die Verdauungstätigkeit, um den Körper bis zum Morgen im Ruhezustand zu halten.
Die Leber: Die Leber spielt eine wichtige Rolle im Stoffwechsel und in der Entgiftung des Körpers. Die zirkadianen Rhythmen beeinflussen die Aktivität von Enzymen in der Leber, die den Abbau von Stoffwechselprodukten und Toxinen regulieren. Dies hat sowohl Auswirkungen auf den Energiestoffwechsel wie auch auf die Verarbeitung von Medikamenten.
Die Nieren: Unsere Nieren sind für die Filterung des Blutes und die Regulierung des Wasserhaushalts und den Blutdruck verantwortlich. Auch ihre Aktivität unterliegt den zirkadianen Rhythmen. In der Nacht reduziert sich normalerweise die Urinproduktion, um die Wasserrückresorption zu erhöhen und den Körper auf die Tiefschlafphase vorzubereiten.
Die Lungen und der Atem: Die Lungentätigkeit und Atemfrequenz variieren ebenfalls im Tagesverlauf aufgrund der zirkadianen Rhythmen. In den frühen Morgenstunden sollte die Atemfrequenz in der Regel etwas höher sein, um uns mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen.
Das Immunsystem: Die Aktivität des Immunsystems zeigt auch zirkadiane Schwankungen. Bestimmte Immunfaktoren, wie zum Beispiel die Produktion von Entzündungsmediatoren, können sich während des Tages ändern. Eine gestörte innere Uhr kann zu einer beeinträchtigten Immunreaktion führen und das Risiko für Infektionen und Entzündungen erhöhen.
Auch Pflanzen haben zirkadiane Rhythmen
Unsere Pflanzenwelt zeigt es uns vor: Pflanzen haben ebenfalls zirkadiane Rhythmen, die ihre Entwicklung, Wachstum und Fortpflanzung beeinflussen. Die innere Uhr der Pflanzen steuert das Gedeihen des Keimlings, das Wachstum, die Öffnung und Schliessung der Blüten und die Photosyntheseaktivität im Laufe des Jahresrhythmus und des Tages. Dies ermöglicht den Pflanzen, das Sonnenlicht effizient zu nutzen und sich an veränderte Umweltbedingungen anzupassen.