Lästige Kristalle im System

Steine bereiten Freude. Siedeln sich kristallisierte Ablagerungen in der Niere oder Blase an, ist der Spass vorbei. Menschen, die zu Harnsteinen neigen, sollten auf die Ernährung achten, wenig Koffein oder Alkohol trinken und die richtigen Pflanzen einsetzen.

Erna Jonsdottir, Illustration: Sonja Berger

Denise legt sich mit einem Buch ins Bett, als sie plötzlich krampfartige Schmerzen verspürt. Wellenartig ziehen diese über ihren rechten Unterleib bis hin zu den Genitalien. Nach einer schlaflosen Nacht sucht sie ihre Frauenärztin auf. Die gynäkologische Untersuchung zeigt nichts Auffälliges. «Nierensteine können solche Schmerzen verursachen», sagt die Ärztin während sie mit dem Ultraschall die rechte Niere kontrolliert. «Schauen Sie, Sie sind steinreich – auf beiden Seiten», stellt sie fest und zeigt mit dem Finger auf die weissen Punkte im Bild, die teils kleiner sind als der Kopf einer Stecknadel. «Sie hatten eine leichte Nierenkolik.»

Der Wohlstand brachte Schmerzen

Nierensteinleiden, medizinisch Urolithiasis, sind seit der Wohlstandszeit nach dem 2. Weltkrieg (1939–1945) zur Volkskrankheit geworden: Zehn Prozent der Schweizer Bevölkerung ist mindestens einmal im Leben davon betroffen. Dabei trifft es Männer häufiger als Frauen und selbst Kinder können an den Ablagerungen erkranken.

Die genauen Mechanismen, die zur deren Entstehung führen, sind nicht vollständig geklärt. Die Kristallisationstheorie besagt, dass sich bei zu hoher Konzentration bestimmter Harninhaltsstoffe kleine Kristalle bilden, die sich in der Folge vergrössern. In zirka fünf bis zehn Prozent aller Fälle liegt eine genetische Verlangung vor. Doch auch diverse Risikofaktoren wie Alkohol oder eine eiweissreiche Ernährung sorgen für Nierensteinleiden.

Übeltäter Kalzium und Oxalat

In der Regel bleiben Harnsteine unbemerkt, weil sie gelöst mit dem Urin ausgeschieden werden. Lagern sich gewisse Substanzen in den ableitenden Harnwegen ab, bilden sich Kristalle. Diese setzten sich häufig aus Kalzium und Oxalat zusammen. Doch auch Harnsäure, Phosphat oder Zystin können die Bildung von Harnsteinen begünstigen; Kalziumoxalatsteine zählen zu den häufigsten, gefolgt von Harnsäuresteinen. Je nach dem, wo die Harnsteine liegen, spricht man von Nierensteinen, Harnleitersteinen oder Blasensteinen.

Der schmerzhafte Weg der Harnsteine

Blockiert ein Nierenstein den Harnleiter, wird der Druck in der Niere erhöht. Die Folge ist eine Kolik, die durch starke, krampfartige und wiederkehrende Schmerzen geprägt ist. Meist beginnt die Kolik im Bereich der betroffenen Niere und strahlt in Richtung Leistengegend bis zu den Genitalien. Häufig ist sie von Übelkeit und Erbrechen, von Blut im Urin und einem Drang zur Bewegung begleitet.

Wandert ein Stein durch den Harnleiter in Richtung Blase – in der Schweiz sind jährlich bis zu 40 000 Personen von schmerzhaften Nierensteinabgängen betroffen –, bewegt sich der schmerzende Punkt langsam nach unten in den hinteren Bauchraum und schliesslich schräg in Richtung Körpermitte. Ist der Stein in der Blase angekommen, können die Schmerzen plötzlich enden. Gelangt der Übeltäter in die Harnröhre, treten sie in der Mitte des Beckens wieder auf. Bis der Stein in der WC-Schüssel landet, wandert der akute Schmerz die Harnröhre entlang. Blasensteine können auch direkt in der Blase gebildet werden. Sie entstehen, wenn sich die Blase nicht vollständig entleeren lässt und Restharn in der Blase verbleibt.

Harnsteine ausschwemmen

Eine Urolithiasis lässt sich in der Regel gut behandeln – bestimmte Nierensteine können mit Medikamenten aufgelöst werden, selten müssen sie zertrümmert oder chirurgisch entfernt werden.

Wichtig: Die Therapie und Vorbeugung hängt von der Zusammensetzung der Harnsteine ab. Für die Analyse im Labor sollten Betroffene deshalb beim Wasserlassen auf Harnsteine achten und diese mit einem Sieb oder einem Filter auffangen. Kleine Steinchen können mit genügend Trinkmengen dünner Tees ausgeschwemmt werden. Für eine Durchspülungstherapie besonders bewährt haben sich unter anderem Goldrute, Brennnessel, Birke, Schachtelhalm und Löwenzahn. In der Apotheke erhältlich sind auch Mischungen, die sogenannten Nieren- und Blasentees.

Die Goldrute zur Prophylaxe

Die pflanzlichen Aquaretika können auch als Steinprophylaxe eingesetzt werden. Die Goldrute beispielsweise enthält ätherisches Öl, Saponine und Flavonoide. Aufgrund ihrer diuretischen, antibakteriellen sowie spasmolytischen Wirkung werden Teezubereitungen oder Extrakte bei entzündlichen Harnwegsinfekten sowie zur Vorbeugung von Harnsteinen eingesetzt. Ein leicht entwässerndes Kraut ist die Brennnessel. Weil wässerige Zubereitungen alkalisch reagieren, wird die Harnsäureausscheidung erhöht und die Wahrscheinlichkeit einer Steinbildung verringert. Eine ähnliche Wirkung haben das Schachtelhalmkraut und der Spargelwurzelstock.

Vorsicht: Eine Durchspülungstherapie mit Aquaretika ist bei Ödemen infolge eingeschränkter Herz- oder Nierentätigkeit nicht angebracht.

Die Ernährung im Visier

Wichtige Aspekte der Steinprophylaxe sind die Ernährung, der «Lifestyle» und eine genügende Flüssigkeitszufuhr: Kalziumoxalatsteinen liegt ein zu geringes Harnvolumen gepaart mit einer hohen Konzentration von Kalzium und Oxalsäure in den Nieren und Harnwegen vor. Diese Faktoren können durch eine eiweissarme Kost und mit dem Verzicht auf stark oxalhaltiges Gemüse und Früchte (Bohnen, Rhabarber, Nüsse, Süsskartoffeln) beeinflusst werden.

Damit die Urinmenge hoch genug ist, sollten täglich zwischen 2,5 bis 3 Liter Flüssigkeit in Form von Wasser und verdünnten Zitrussäften getrunken werden. Citrate behindern die Kristallbildung im Urin.

Finger weg von Koffein und Alkohol

Viel Koffein verstärkt die Ausscheidung von Kalzium in den Urin. Damit wächst das Risiko, dass sich Nierensteine bilden. In Kombination mit einem starken Alkoholgenuss – er stört den Mineralhaushalt des Körpers – wird deren Bildung zusätzlich gefördert. Kommt eine eiweiss- und salzreiche Ernährung hinzu, ist die Misere perfekt. Auch wer zu Harnsäuresteinen neigt, sollte auf eine eiweissarme Kost mit wenig Kochsalz setzen und möglichst wenig Alkohol und Kaffee trinken. Auf diese Laster verzichtet Denise seit ihrer Diagnose. Denn wie es sich herausstellte, war sie übersäuert und litt in der Folge an Harnsäuresteinen. Auf Rat ihrer Ärztin ernährt sie sich heute basisch, verzichtet auf die erwähnten Genussmittel und trinkt jeden Tag Wasser mit einem halben Teelöffel Natron. «Damit sparen Sie sich teure Basenpulver und kleine Nierensteinchen lösen sich auf», so die Ärztin.

 

Nierensteine: Ursachen und Risikofaktoren

Harnsteine sind kristallisierte Ablagerungen in den Harnwegen oder im Nierenbecken. Je nach Lokalisation spricht man von Nierensteinen, Harnleitersteinen oder Blasensteinen.

In der Urologie wird unterschieden zwischen vier verschiedenen Arten von Nierensteinen:

  • Kalziumoxalatsteine (80–85 %)
  • Harnsäuresteine (5–10 %)
  • Infektsteine (5–10 %)
  • Cystinsteine (1 %)

Neben der genetischen Veranlagung gibt es zahlreiche Risikofaktoren, die zu einer Erhöhung der Salz- und Mineralienkonzentration im Urin führen:

Eine geringe Trinkmenge

Diese senkt den Wasseranteil im Urin. Im Gegenzug steigt im Harn die Konzentration von Substanzen wie Kalzium. Sie kristallisieren und werden zu Nierensteinen.

Eiweissreiche Ernährung

Eiweissreiche Lebensmittel wie Fleisch und Fisch enthalten eine hohe Konzentration von Purinen und begünstigen die Entstehung von Nierensteinen. Der Grund: Eine proteinreiche Ernährung verursacht eine hohe Säurelast im Körper. Diese wird in unseren Knochen ausbalanciert und später über die Niere in den Urin ausgeschieden. Der dadurch stark übersäuerte Urin beschleunigt die Entstehung von Harnsäure-haltigen Nierensteinen.

Oxalate

Lebensmittel mit einem hohen Anteil an Oxalat wie Schokolade, Mangold, Nüsse, Rhabarber, Randen oder Spinat fördern die Entstehung von Kalziumoxalatsteinen. Ebenso einen Einfluss auf eine gesteigerte Oxalat-Produktion in der Leber haben Kaffee, Süssgetränke oder Gelatine-basierte Bonbons.

Zu viel Salz

Eine hohe Salzaufnahme sorgt für ein überschüssiges Ausscheiden von Kalzium in den Urin. Durch die hohe Kalzium-Konzentration kommt es zur Entstehung von Kalziumoxoalatsteinen und Kalziumphosphatsteinen.

Krankheiten

Menschen mit Diabetes haben ein erhöhtes Nierensteinrisiko (Urin zu sauer). Verschiedene Stoffwechselstörungen wie eine Überfunktion der Nebenschilddrüsen, eine Störungen des Harnsäurestoffwechsels (Hyperurikämie und Gicht) oder Infektionen der Harnwege können die Entstehung von Nierensteinen ebenso begünstigen.

 

Der fürchterliche Steinschneider

Menschen sind seit Jahrtausenden von Nierensteinleiden betroffen – genauso alt sind die Bemühungen, Betroffene von den Schmerzen und dem Stein zu befreien. Vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert war es der Steinschneider, auch Lithotomus, der auf die Entfernung von Blasen- oder Harnröhrensteinen spezialisiert war und diese operativ mittels Steinschnitt ( Lithotomie) anging.

Es gab mehrere aufwändige Verfahren, die sehr schmerzvoll waren. Bei Erwachsenen etwa führte er seine Werkzeuge über einen Schnitt in die Harnröhre unterhalb der Prostata in die Blase ein, um den Stein zu greifen und durch den Blasenhals herauszuziehen. Diese Operation barg Gefahren: Nicht selten schnitten Steinschneider mit schlechten Anatomie-Kenntnissen den Schliessmuskel durch, was zur dauerhaften Inkontinenz führte. Auch kam es wegen der fehlenden Hygiene nach den Eingriffen häufig zu Entzündungen mit tödlichen Folgen.

 

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