Krebs – mehr als ein lokales Geschehen

Kategorie: Gesundheit


Mit komplementärmedizinischen Massnahmen können Nebenwirkungen einer Krebsbehandlung verringert werden. Allen voran die Misteltherapie, die wohl wichtigste Massnahme in der integrativen Krebsbehandlung.




Der Oktober steht im Zeichen der rosa Schleife. Sie ist das Symbol für Brustkrebs, einer Krebsart, an der in der Schweiz jährlich rund 6000 Frauen erkranken. Die Diagnose trifft die Betroffenen oft unerwartet: Eben noch waren sie kerngesund – und von einem Moment auf den anderen ist nichts mehr, wie es war. Viele Frauen verlieren durch den Diagnoseschock das Vertrauen in ihren Körper und hinterfragen sich, was sie im Leben anders oder besser hätten machen können, um den Tumor zu verhindern.


Die Frage nach dem Warum lässt sich bei Brustkrebs und auch bei den meisten anderen Krebsarten jedoch nicht beantworten. Sie folgen selten dem klassischen Ursache-Wirkungs-Prinzip. Krebs kann jede Frau und jeden Mann treffen. Jederzeit. Und es ist immer der falsche Moment.

«Alles, was das Immunsystem stärkt, hilft auch der Krebsprävention.»


Wenn der Zellmüll entartet

Alle Zellen unseres Körpers sind dem Zyklus des Entstehens, Seins und Vergehens unterworfen. Sie teilen sich, bringen Tochterzellen hervor, geben Erbinformationen weiter und sterben ab. Bei der riesigen Anzahl Zellen, die laufend entstehen und eingehen, kommt es immer wieder zu «Unfällen», bei denen sich entartete Zellen bilden. Das Immunsystem kommt normalerweise mit diesem Zellmüll gut zurecht – er wird durch die weissen Blutkörperchen aufgefressen und somit vernichtet. Ist das Immunsystem allerdings schwach, nehmen die entarteten Zellen mehr Raum ein und es entsteht ein Zellverband daraus: ein Karzinom. Die fehlerhaften Zellen lassen sich von Blutgefässen ernähren, wachsen ungehemmt, bedrängen benachbarte Organe und können ihren Ursprungsort verlassen, indem sie sich über die Blut- und Lymphbahnen im Körper ausbreiten. So können sich an anderen Orten Tochtergeschwülste bilden, sogenannte Metastasen.


Obwohl die fehlerhaften Zellen in einem bestimmten Organ zu einem Karzinom heranwachsen, ist Krebs kein ausschliesslich lokales Geschehen. Das Entstehen eines Tumors wird vielmehr durch das Zusammenspiel von vielen verschiedenen Faktoren begünstigt: Angefangen von genetischen Voraussetzungen über den Nährstoffhaushalt, den Konsum von Genussgiften wie Alkohol, Nikotin und Kaffee bis hin zu Schadstoffen aus der Umwelt, Strahlung, Viren oder auch seelischer Belastung und Stress. Aber auch wenn die genauen Ursachen bis heute meist unklar sind, kann man sagen: Alles, was das Immunsystem stärkt, hilft auch der Krebsprävention.


Weil Krebs eine so komplexe Erkrankung ist, reicht es nicht, bei einer Krebserkrankung ausschliesslich die fehlerhaften Zellen zu behandeln. Es geht vielmehr darum, einen ganzheitlichen Weg zu finden, bei dem sowohl die Zellen als auch die betroffene Person im Zentrum stehen. Gerade bei der modernen Brustkrebstherapie rücken aus diesem Grund die Schulmedizin und die moderne Naturheilkunde näher zusammen.


Die Schulmedizin richtet ihr Augenmerk auf krank-machende Vorgänge; sie kann Krebserkrankungen mittels Chemotherapie, Strahlentherapie oder Operation bekämpfen. Die Komplementärmedizin hingegen fokussiert darauf, wie Gesundheit entsteht und erhalten wird. Ihre Methoden stärken die gesunden Kräfte des Körpers und helfen so, mit der Krankheit selbst und mit Nebenwirkungen der Behandlung besser umgehen zu können. «Auf diese Weise vereint man das Beste aus beiden Welten», erklärt Dr. Teelke Beck, Gynäkologin und Senologin (Spezialistin für Brusterkrankung) in der Praxis gynosense in Uster (ZH).


«Oft verringern sich auch die Schmerzen und die Betroffenen haben mehr Energie. Zudem ist die Misteltherapie in der Lage, das Rhythmische, in dem wir leben, zu verstärken.»


Die Mistel in der Krebstherapie

Der wichtigste Bestandteil der komplementärmedizinischen Krebsbehandlung ist die Misteltherapie. Kombiniert man diese mit den schulmedizinischen Interventionen, kann sie die Nebenwirkungen der entsprechenden Therapien abschwächen und so die Lebensqualität der Betroffenen verbessern. Teelke Beck beobachtet an ihren Patientinnen, dass sie weniger an Müdigkeit, Schlafstörungen, Übelkeit oder Appetitmangel leiden. «Oft verringern sich auch die Schmerzen und die Betroffenen haben mehr Energie. Zudem ist die Misteltherapie in der Lage, das Rhythmische, in dem wir leben, zu verstärken», erklärt Beck und betont: «Rhythmen wie Tag und Nacht, Entspannung und Anspannung, Hunger und Sättigung sowie zyklische Wiederholungen sind äusserst wichtig für eine stabile Gesundheit.»


Das Wissen über die heilsame Wirkung der Mistel (Viscum album) stammt aus der anthroposophischen Medizin. Wegweisend bei der Begründung der Misteltherapie war die Frauenärztin Ita Wegman (1876 - 1943). Sie gründete nicht nur eine anthroposophische Privatklinik in Arlesheim, aus der die heutige Klinik Arlesheim hervorging, sondern entwickelte Jahre zuvor auch das erste Mistelpräparat: In ihrer Praxis in Zürich behandelte sie bereits 1917 Krebspatientinnen mit Mistelinjektionen. Mit Erfolg: 1935 gründete Wegman gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen in Arlesheim (BL) den Verein für Krebsforschung, dessen Aufgabe noch heute die kontinuierliche Weiterentwicklung der Integrativen Krebsbehandlung und speziell der Misteltherapie ist.


Mistelextrakte können das Immunsystem anregen, Tumorzellen schädigen und die Erbsubstanz schützen. Die häufig zu beobachtende stimmungsaufhellende und schmerzreduzierende Wirkung von Mistelextrakten wird auf eine vermehrte Ausschüttung von körpereigenen, morphiumähnlichen Substanzen zurückgeführt. Mistelextrakte enthalten rund 600 Eiweissstoffe, insbesondere Mistellektine und Viscotoxine, die das Absterben der Krebszellen fördern und die Aktivität der körpereigenen Immunabwehr anregen.


Im Sommer hat die Mistelpflanze einen hohen Viscotoxingehalt, im Winter hingegen ist der Gehalt an Mistellektinen besonders hoch. Deshalb wird die Mistelpflanze zweimal im Jahr, im Juni und im Dezember, von Hand geerntet, verlesen und mittels einer Fermentation zu Pflanzensäften verarbeitet. Durch die Vermischung der Sommer- und Wintersäfte mit einer speziellen Maschine entsteht ein Arzneimittel, das drei wichtige Schwerpunkte in der integrativen Krebstherapie angeht:


1. Dank einer erhöhten Aktivität kann die körpereigene Abwehr die Tumorzellen besser als solche erkennen, sodass diese nicht so leicht Metastasen bilden.


2. Operation, Bestrahlung und/oder Chemotherapie schwächen das Immunsystem erheblich. Wird es mithilfe einer Misteltherapie gestärkt, kann es sich gegen andere Krankheiten, wie z. B. Infektionen, besser wehren und die Patientin kommt schneller wieder auf die Beine.


3. Ein intaktes Immunsystem hilft in der Nachsorgephase, Rückfällen vorzubeugen. Deshalb sollte die Misteltherapie auch nach der eigentlichen Krebstherapie fortgesetzt werden.





«Es hilft, das Spritzen zu ritualisieren»


Viele Brustkrebspatientinnen möchten ihre onkologische Behandlung komplementärmedizinisch unterstützen. Einer der Grundpfeiler ist die Misteltherapie. Die Spezialistin für Brusterkrankungen, Dr. med. Teelke Beck, erklärt, wie Mistelextrakte die Nebenwirkungen von schulmedizinischen Krebstherapien lindern und die Lebensqualität erhöhen können.




Frau Beck, wie gut ist die Mistel erforscht?

Es gibt viele klinische Studien, die belegen, dass die Mistel das Wohlbefinden von Krebspatientinnen positiv beeinflusst, ohne dabei eine schulmedizinische Therapie zu beeinträchtigen. Mistelextrakte wirken als Vielstoffgemische und bekäm-pfen bösartige Zellen, unterstützen das Abwehrsystem und setzen Endorphine frei, die zur Stimmungsaufhellung beitragen.


Wie wird eine Misteltherapie durchgeführt?

Idealerweise wird mit einer Misteltherapie so früh wie möglich begonnen. Zu Beginn wähle ich unter den verschiedenen Mistelpräparaten jenes aus, das mir für den individuellen Fall passend scheint. Die Patientinnen spritzen sich die Mistelextrakte zwei- bis dreimal pro Woche selbst unter die Haut. Eine Wirkung tritt erst nach einigen Wochen ein. Ich empfehle grundsätzlich eine Therapiedauer von wenigstens zwei Jahren ohne Pausen, optimalerweise länger. Die Kosten für eine Therapie mit Mistelpräparaten, die in der Schweiz als Arzneimittel zugelassen sind, werden von der obligatorischen Grundversicherung übernommen.


Können Sie eine besondere Erfahrung mit der Misteltherapie aus Ihrem Wirken schildern?

Kürzlich an einem Vortrag über die Misteltherapie meldete sich eine Frau und sagte, man solle sich nicht abschrecken lassen, nur weil manche das Gefühl haben, sie könnten nicht lernen, sich die Injektionen selbst zu geben; das könne jede lernen. Daraufhin steht eine andere Zuhörerin auf und ruft: «Kann ich bestätigen, hätte ich auch nicht gedacht!» Das hat mich sehr gefreut. Sobald Patientinnen merken, dass ihnen die Misteltherapie guttut, ist das Sich-selber-Spritzen keine Hürde mehr. Es hat sich bewährt, die Prozedur zu ritualisieren: Ich halte die Frauen an, nach dem Spritzen 10 bis 15 Minuten liegenzubleiben und diese Zeit zu nutzen, um runterzufahren. Denn viele Patientinnen sind im Alltagsleben so angespannt, dass sie kaum mehr Zeit für sich selbst finden.

Dr. med. Teelke Beck ist spezialisiert auf die Diagnostik und Therapie von Brusterkrankungen und -chirurgie, sowie auf die Beratung und Durchführung komplementärer Therapien. Sie hat eine Praxis im Gesundheitszentrum gynosense in Uster (ZH).



Nährstoffreiche Pflanzenkost als Basis

In der integrativen Krebstherapie spielt auch die Ernährung eine wichtige Rolle. Dorin Ritzmann, Fachärztin Gynäkologie und Phytotherapeutin mit eigener Praxis in Dietikon (ZH), erforscht seit gut 13 Jahren die Wirkung von sekundären Pflanzenstoffen, sogenannten Polyphenolen, auf den Körper. Natürliche Polyphenole kommen in Pflanzen als bioaktive Substanzen vor und dienen ihnen als Farb-, Geschmack- oder Gerbstoffe. Oft schützen Polyphenole die Pflanze vor Frassschäden und dienen ihr als Sonnenschutz und bei Verletzungen. Diese besonderen Substanzen wirken auch auf den menschlichen Körper stark gesundheitsfördernd, antioxidativ und auch krebsvorbeugend.


Da in industriell verarbeiteten Lebensmitteln kaum noch Polyphenole vorkommen, steigt das Risiko für Krebs- und Stoffwechselerkrankungen sowie Entzündungen. Aus diesem Grund empfiehlt Ritzmann ihren Patientinnen eine abwechslungsreiche Ernährung mit viel frischem Gemüse und das tägliche Trinken von Grünsaft aus frischen Salat- und Gemüseblättern, Früchten oder Beeren, Kräutern und Wildkräutern. Im Winter darf es auch Blattknospe sein. Wurzelgemüse, Gemüsefrüchte (z.B. Gurken, Tomaten, Zucchini, Peperoni), Zusätze, Dörrfrüchte und gekochtes Gemüse gehören nicht in diesen Saft. Zwei Stunden vor und nach dem Trinken von Grünsaft, sollten keine Milch-eiweisse gegessen werden, da diese die Aufnahme von Polyphenolen vermindern können. Von ihren mehr als 5000 Patientinnen seien sehr wenige an Krebs erkrankt.


Gute Erfahrung mit Grünsäften macht Doris Ritzmann auch in der integrativen Krebstherapie. Sie stellt ihren Patientinnen jeweils ein Rezept für Grünsaft aus, wenn sie wegen einer Krebserkrankung behandelt werden. «Man kann den Körper während einer Krebstherapie optimal unterstützen, wenn man ihm in dieser Zeit ein Maximum an polyphenolreicher Frischkost zuführt», erklärt die Gynäkologin und Phytotherapeutin. «Ich empfehle den Betroffenen, dass sie jeweils 48 Stunden vor und 24 Stunden nach der Chemotherapie ausschliesslich Grünsaft und Wasser zu sich nehmen – etwa einen halben Liter über den Tag verteilt.» Die Nebenwirkungen der Chemotherapie liessen sich auf diese Weise erheblich reduzieren; dies habe Andreas Michalsen, Professor für Klinische Naturheilkunde der Charité Berlin und Chefarzt der Abteilung Innere Medizin und Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus Berlin, in Studien nachweisen können.


Phytotherapie – die Kraft der Heilpflanzen

Neben der Mistel gibt es zahlreiche weitere Heilpflanzen, die bei einer Krebstherapie wertvolle Hilfe leisten können. Allen voran die Schafgarbe (Achillea millefolium). «Schafgarbentropfen verschreibe ich ab Beginn der Chemotherapie», erklärt Dorin Ritzmann. «Schon mit einmal täglich zehn Tropfen Schafgarben-Urtinktur lässt sich die Knochenmarkserholung beschleunigen.» Sie beobachte, dass sich die Frauen rascher erholen und sich die Chance erhöht, dass die Therapie wie geplant durchgeführt werden kann.


Für die onkologische Nachbehandlung und die Reduktion von Nebenwirkungen einer Therapie arbeitet Ritzmann mit einer Reihe von bewährten Heilpflanzen:


– Mundspülung mit Odermennig (Agrimonia eupatoria), z.B. ein starker Tee oder die Urtinktur mit Wasser verdünnt. Auch die Spülung mit Eberraute (Artemisia abrotanum), als Tee, vermindert offene Schleimhautbereiche im Mund.


– Bei Durchfall während einer Chemotherapie Helfen ein bis zwei Teelöffel Johannisbrotmehl (Ceratonia siliqua) in warmem Wasser gelöst – schluckweise trinken. Dies ist ein Schleimhautpfleger, der gleichzeitig eine sehr gute Wirkung auf das Mikrobiom von Magen und Darm hat.


– Gegen Übelkeit helfen Ingwertabletten, wie man sie in Drogerien und Apotheken erhält, zum Beispiel Zintona.


– Für die Hautpflege nach einer Strahlentherapie hat sich eine Emulsion aus Wildem Yams, Weissdorn und Rotklee bewährt.

Laut Studien wenden bis zu 80 Prozent der Brustkrebspatientinnen irgendeine Art der Komplementärmedizin an. Dabei ist eine offene Kommunikation wichtig: Alle ergänzenden Massnahmen sollten mit den behandelnden medizinischen Fachpersonen abgesprochen werden.

Neben der Misteltherapie und der Ernährung gehören auch Bewegung und Entspannung zum Grundpaket der integrativen Medizin. «Entspannung ist enorm wichtig, weil dadurch der Parasympathikus aktiviert wird. Dieser ist als Teil des vegetativen Nervensystems für die Regeneration zuständig», erklärt Senologin Teelke Beck. «Entspannung kommt in unserem Leben definitiv zu kurz. Wir müssen neben dem Schlaf auch tagsüber Pausen einlegen und herunterfahren». Möglich ist dies mit ergänzenden Therapien wie Yoga, Achtsamkeit, Atemübungen oder Spaziergänge in der Natur. Denn dort sind wir, genau wie die Mistel, verbunden mit dem Kosmos und allen Elementen.


« Entspannung ist enorm wichtig, weil dadurch der Parasympathikus aktiviert wird. Dieser ist als Teil des vegetativen Nervensystems für die Regeneration zuständig.»

Buchtipps





Andreas Michalsen: «Mit Ernährung heilen. Besser essen – einfach fasten – länger leben», Insel 2019, ca. Fr. 39.–









Anna Cavelius, Daniela Paepke: «Beschwerdefrei durch die Krebstherapie. Nebenwirkungen mit naturheilkundlichen Therapien wirkungsvoll lindern», Gräfe und Unzer 2018, ca. Fr. 24.–

Zurück zum Blog