«Jede sechste Person leidet unter chronischen Schmerzen»

Niemand hat gerne Schmerzen. Martina Pracht war eine, die stark unter Schmerzen litt. Heute ist sie Expertin für ganzheitliche Gesundheit im Allgemeinen und Schmerztherapie im Besonderen. Im Interview berichtet sie über ihre spannende Lebensgeschichte und wie sie von der Schmerzpatientin zur Schmerztherapeutin wurde.

Interview: Samuel Krähenbühl



«natürlich»: Schmerzen können zwar ein wichtiges Signal über das Befinden unseres Körpers sein. Gerne haben wir sie aber nicht. Vor allem dann nicht, wenn sie chronisch werden. Sie sind Schmerzspezialistin. Wie viele Menschen in der Schweiz haben chronische Schmerzen?

Martina Pracht: Aus meiner Sicht, viel zu viele! Gemäss Universitätsspital Zürich leidet jede sechste Person in der Schweiz unter chronischen Schmerzen (1,5 Mio. Menschen). 39 Prozent der Betroffenen haben ununterbrochen Dauerschmerzen, 35 Prozent leiden täglich und 26 Prozent mehrmals wöchentlich. Tendenz steigend.


Sie selbst sind über Ihre eigene Schmerzgeschichte und deren Heilung zur Schmerztherapie gekommen. Als junge Pferdefachwirtin und Jockey sind Sie wohl oft vom Pferde gefallen … Haben Sie dort Ihre ersten Schmerzerfahrungen gemacht?

Mit 17 Jahren erlitt ich durch meinen schlimmsten Sturz im Training auf einem jungen Rennpferd fast eine Querschnittslähmung. Diagnose: Stauchung des Rückenmarks ab dem dritten Halswirbel. Ich konnte nur meinen Kopf bewegen, erst viele Tage später meinen Körper. Glücklicherweise konnte ich mir da schon selbst gut körperlich aber vor allem mental weiterhelfen. Ich sitze seit meinem fünften Lebensjahr auf Pferden. Stürze gehörten zur Tagesordnung. Das Herunterfallen lag aber eher daran, dass ich mich zu Ponys und Pferden hingezogen fühlte, die sonst keiner reiten, geschweige denn sich um sie kümmern mochte. Ich erkannte früh, dass das Fehlverhalten von Menschen die Ursache war und meine Aufgabe darin bestand, das Ungleichgewicht wieder ins Lot zu bringen, was mir auch immer gelungen ist. Meine Vorliebe für «ungehorsame» Pferde blieb. Ich ritt überwiegend Rennpferde, die kein Jockey mehr reiten wollte. Das war auf der einen Seite meine Chance, auf der anderen musste ich viel Zeit investieren, um zunächst das Vertrauen der Pferde wiederzugewinnen. Diese intensive Arbeit hatte unweigerlich auch zu Stürzen geführt, was zu durchschnittlich neun bis zwölf Krankenhausaufenthalten im Jahr führte.

 


Sie hatten auch einen schweren Autounfall. Was geschah und welche Schäden und vor allem Schmerzen hat er hinterlassen?

Der Unfall geschah als Beifahrerin eines Arbeitskollegen im Alter von 25 Jahren in einer Kurve auf der Autobahn. Er fuhr zu schnell in eine Kurve und verlor die Kontrolle über das Auto. Das Auto überschlug sich mehrfach durch die Leitplanke hindurch und 150 Meter den Abhang hinunter durch einen Wald mit jungen Bäumen. «Glück muss man haben», sagte die Polizei. Wäre es ein üblicher Wald gewesen, hätten wir den Unfall nicht überstanden. Wie durch ein Wunder haben wir beide mit überwiegend äusseren Blessuren, heftigsten Stauchungen und ein paar Brüchen überlebt. Monatelang sollten meine nächtlichen Panikattacken mit wahnsinnigen Schmerzen in den Halswirbeln und Brustwirbeln andauern. Renommierte Kliniken in Frankfurt am Main und Wiesbaden und unzählige Behandlungen konnten keine Linderung verschaffen. Meine Schmerzen waren unerträglich. Quasi als «letzter Versuch» machte das Sekretariat meines Chefs einen Termin für mich aus: «Geh da mal hin», hiess es «… und wundere dich nicht.» Dort angekommen sah ich unterschiedlichste Nadeln, Glocken und Kräuter … herzlich willkommen in der Welt der Traditionellen Chinesischen Medizin TCM. Genau drei Behandlungen zuzüglich meiner Eigeninitiative im Anschluss waren nötig und ich war schmerzfrei!

        
Das Auto, in dem Martina Pracht den Unfall überlebte, war schrottreif.


Wie haben Sie zunächst Ihre medizinische Behandlung und namentlich auch die Behandlung Ihrer Schmerzen erlebt?

Extrem unterschiedlich. Leider eher seltener einfühlsam. Standard war leider eher eine Massen- oder Schlachtvieh-Abfertigung. Nicht selten habe ich mich gegen enormen Widerstand selbst aus den Krankenhäusern entlassen. Ich erinnere mich noch genau an meinen Sturz an einem Sonntag vor dem Pferderennen in Gelsenkirchen. Zur Belustigung der Zuschauenden wurde am Eingang der Galopprennbahn ein Heissluftballon gefüllt. Alle Pferde drehten völlig durch. Ich kam beim Sturz unters Pferd. Trotz Schutzweste erlitt ich vier Rippenbrüche und einen partiellen Kollaps der Lunge. Der Notarztwagen vor Ort konnte mich nicht wegfahren, da immer ein Wagen bei der Veranstaltung bleiben musste. Erst 45 Minuten später erfolgte die Abfahrt ins Krankenhaus. Beim Ausziehen zum Röntgen haben sie mir anscheinend eine Rippe völlig durchgebrochen. Weitere Fehler wurden bei der Infusion gemacht. Da sagte ich mir: «Nix wie raus aus dem Schlachthof!»


Nach einer längeren Leidensperiode haben Sie Ihre Schmerzen und auch Ihre übrigen gesundheitlichen Beschwerden überwunden. Was hat dazu geführt?

Durch die vielen Unfälle und Erfahrungen im Krankenhaus lernte ich schnell Selbstverantwortung. Mit Selbstverantwortung meine ich vor allem, Diagnosen und auch Therapien zu hinterfragen. Ein Beispiel ist meine Diagnose für Gebärmutterhalskrebs, die ich mit 20 Jahren bekam. Ich bin danach zu drei Fachärzten gefahren. Alle drei wollten sofort operieren und gleich alles herausnehmen. Der vierte sagte dann, nehmen sie mal zwei Monate Folsäure, reduzieren Sie unbedingt Ihren beruflichen Stress und dann schauen wir erneut. Bei der Nachuntersuchung konnte keine Zellveränderung mehr festgestellt werden. Keine Operation war nötig und ich durfte meinen Sohn neun Jahre später zur Welt bringen. Die tatsächliche Ursache der Schmerzen und Zusammenhänge mit mentalen Aspekten wurden schlichtweg ignoriert. Einzelne betroffene Körperteile wurde angeschaut wie in einer Autowerkstatt und mit Standardverfahren letztlich experimentiert.


Seit rund 30 Jahren bieten Sie ganzheitliche Behandlungen gegen chronische Schmerzen an. Wie sind Sie von der Schmerzpatientin zur Schmerztherapeutin geworden und welche Methoden wenden Sie an?

Nach meiner Rennreiterlaufbahn habe ich mich durch einige Umwege in den Vorstand börsennotierter Unternehmen gearbeitet. Viele Kolleg*innen und Geschäftspartner*innen litten unter akuten und chronischen Beschwerden aller Art. Jeder Mensch hat seine eigene Konstitution und somit auch Schwachpunkte im Körper. Der wirtschaftliche Druck der leistungsorientierten Gesellschaft, Angst vor Existenzverlust, Stress in der Familie oder die Wohnsituation treibt viele in chronische Schmerzzustände. Da traditionell meist an der Oberfläche behandelt wird, bleiben die Behandlungen oftmals erfolglos. Ich lernte in der Zeit erneut zu verstehen, dass es niemals nur die eine Methode gibt, und bildete mich speziell im Bereich «Schmerzreduktion» immer weiter. Sehr erfolgreich wende ich im Mental-Bereich CQM (Chinesische Quantum Methode) und auf körperlicher Ebene die Methoden und Übungen nach Liebscher und Bracht an, da diese in jedem Alter und bei jedem Schmerz oder einer Unbeweglichkeit anwendbar sind. Zu den speziellen Engpassdehnungen gehört unbedingt die Faszienrollmassage.


Was sind die häufigsten Schmerzursachen der Menschen, die zu Ihnen kommen?

Abgesehen von akuten Fällen durch Unfälle sind die häufigsten Schmerzursachen in den Lebensumständen zu finden. Angefangen bei der Ernährung, zu wenig und falsche Bewegung und zu wenig Schlaf, zu wenig Ich-Zeit. Darüber hinaus zu viel Stress im Beruf, in der Partnerschaft, innerhalb der Familie bis hin zu fehlender Zeit für die Pflege vom eigenen sozialen Umfeld. Nicht selten ist ein kompletter Tapetenwechsel nötig. Die meisten Menschen kennen die Ursache intuitiv. Sie haben aber grosse Ängste in die Veränderung zu gehen. Sei es im Job oder in der Partnerschaft. In seinem tiefen Inneren weiss der Mensch um diese Abwärtsspirale, findet aber nicht die Kraft und den Mut aus dem Hamsterrad. Zweifel kommen hinzu und dann werden die Schmerzen noch unerträglicher.


Was sind die häufigsten Fehler, welche Patientinnen und Patienten bei Schmerzen machen?

Beim verständlichen Wunsch, den Schmerz schnellstmöglich loszuwerden, wird rasch das komplette Register gezogen. Von Spritzen über Tabletten wird alles versucht, um den Schmerz am besten sofort zu eliminieren. Diese Versuche sind nachvollziehbar, da spreche ich auch aus eigener Erfahrung. Ist der Schmerz dann wie auch immer betäubt, wird im Alltag einfach so weitergemacht wie zuvor. Meist dauert es nicht lange bis sich der Schmerz erneut und massiver meldet. Ein Teufelskreis. Dabei ist der Schmerz ein Informant mit der deutlichen Meldung, genauer auf sich zu schauen.


Wie erstellen Sie eine Diagnose und wie gehen Sie eine Therapie an?

Jeder Mensch darf und sollte ganz genau angeschaut werden - und zwar aus einer 360-Grad-Perspektive. Erst wenn wir wirklich verstehen, woher die Ursachen kommen, können wir nachhaltig und mit passenden Methoden den Menschen auf seinem individuellen Weg in die Schmerzfreiheit unterstützen. Wichtig zu erkennen ist auch hier wieder, jeder Mensch hat seinen Weg selbst in der Hand. Stichwort: Eigenverantwortung. Deshalb ist mein erster Ansatz die Anamnese bis in die kleinste Kapillare. Danach wird auf der mentalen Ebene sowie auf der körperlichen Ebene die optimale Methode ausgewählt. Besonders erfolgreich, bezogen auf die körperliche Ebene, bin ich als «Liebscher und Bracht»-Therapeutin.

 



Martina Pracht

Martina Pracht ist Expertin für ganzheitliche Gesundheit (Personal Body & Mind Trainer), «Liebscher & Bracht»-Therapeutin und Beckenboden-Trainerin. Sie arbeitet im DACH-Raum. Dabei nutzt sie einen neuen Ansatz Schmerzen zu begegnen z. B. durch die evidenzbasierte oszillographische Messung (Deutsche Ingenieurskunst trifft Traditionelle Chinesische Medizin). 30 Jahre Selbstständigkeit u. a. in den ersten Jahren als Vorstandsmitglied börsennotierter Unternehmen und im Interimsmanagement folgten ihrer Ausbildung zur Pferdewirtin Schwerpunkt Rennreiten «Kraft aus der Mitte und Beweglichkeit bis ins hohe Alter» ist seitdem ihr Motto.

Zurück zum Blog