«Ich war gleichzeitig hyperaktiv und übermüdet»

David Stettler hat eine bewegte Krankheitsgeschichte hinter sich. Alles begann mit einem kreisrunden Haarausfall im Jahr 2010. Später erkrankte seine Schilddrüse. Und schliesslich seine Nebennierenrinde. Trotzdem geht es ihm heute wieder gut.

Interview: Samuel Krähenbühl


«natürlich»: Sie haben eine jahrelange Krankheitsgeschichte mit Ihren Drüsen. Wie geht es Ihnen heute?

David Stettler: Mir geht es gut. Ich bin vital, arbeite in einem 80-Prozent-Pensum bei der Post und bewirtschafte zusätzlich mit meiner Frau einen Landwirtschaftsbetrieb mit 11 Hektaren. Aber es stimmt: Ich hatte schwierige Zeiten.


Wie hat Ihre Krankheitsgeschichte angefangen?

Alles begann im Jahr 2010 noch relativ harmlos mit kreisrundem Haarausfall. Ich verlor büschelweise Haare, hatte neben kahlen Stellen aber auch noch solche, wo die Haare weiterwuchsen. Ich habe mich bald einmal entschieden, die Haare auf dem Kopf zu rasieren. Der Haarausfall passierte an meinem ganzen Körper. Mittlerweile habe ich wieder etwas Haare bekommen, etwa an den Beinen. Trotzdem wurde abgeklärt, ob ich allenfalls Krebs haben könnte. Das bestätigte sich aber nicht.


Es begann mit Haarausfall. Wie ging es weiter weiter?

Im Jahr 2017 hatte ich einen unerklärlichen, grösseren Gewichtsverlust. Es stellte sich heraus, dass die Schilddrüse eine Überfunktion hatte. Bei einer Überfunktion kommt es zu einer Gewichtsabnahme. Zudem erlebte ich eine Vitalität, welche fast ungesund war. Ich war wie geladen. Schlafen konnte ich auch nicht mehr gut. Manchmal war ich gleichzeitig völlig hyperaktiv und dann wieder übermüdet. Das führte zu körperlichen Abstürzen. Man muss allerdings betonten, dass die Auswirkungen einer Schilddrüsenüberfunktion nicht bei allen Menschen gleich sind.


Sie gingen zum Hausarzt. Was fand der heraus?

Eigentlich fand der Hausarzt die Laborbefunde nicht alarmierend. Gewisse Werte waren zwar nicht optimal, aber eben auch nicht problematisch. Wie bereits erwähnt arbeite ich als Logistiker – früher sagte man Briefträger – bei der Post. Auf meinem Zustelldienst wohnte ein pensionierter Professor, welcher spezialisiert war auf Drüsen. Ich habe ihm dann mein Blutbild gebracht. Er sagte auf einen Schlag, dass ich Hashimoto hätte. Er dürfe mir offiziell aber keine Diagnose geben. Ich solle zu einem Endokrinologen gehen. Ich hatte also die Diagnose, bevor ich sie offiziell hatte.


Der Endokrinologe bestätigte also die Diagnose Hashimoto-Syndrom?

Ja. Er bestätigte das. Hashimoto beginnt mit einer Schilddrüsenüberfunktion. Es ist mit einem Strohfeuer zu vergleichen. Die Schilddrüse «verbrennt» quasi zu schnell.


Und was unternahmen Sie dann?

Ich war ständig unter Kontrolle, aber zunächst hatte ich noch wenig Beschwerden. Dann fingen die Beschwerden wieder an. Im Herbst 2018 begann meine neue Krankheit. Ich bekam eine Autoimmunerkrankung, das sogenannte Addison-Syndrom. Das Addison-Syndrom geht von einer Unterfunktion der Nebennierenrinde aus. Innerhalb eines halben Jahres ging meine Nebennierenrinde kaputt. Wenn diese nicht mehr produziert, wird alles verlangsamt.


Wie wirkte sich das Addison-Syndrom aus?

Im Herbst 2018 begannen die Symptome. Im Winter 2018–2019 hatte ich sehr gelitten. Das erste Symptom waren Zahnschmerzen. Ich konnte keine Äpfel mehr essen. Mein Zahnarzt konnte nicht nachvollziehen, dass ich Schmerzen in den Zähnen hatte. Dann wurde ich müde. Und auch mein Darm veränderte sich. Ich war oft verstopft. Auch Muskelkrämpfe kamen dazu. Und die Haut veränderte sich. Ich wurde goldbraun. Doch meine damalige Hausärztin stellte noch zwei Wochen vor meiner Spitaleinlieferung nichts Besonderes fest. Dabei musste ich jeden Morgen erbrechen. Immerhin konnte ich dann wieder essen am Mittag. In den Tagen vor meiner Spitaleinlieferung schaffte ich es kaum mehr die Treppe hoch. Schliesslich merkte ich, dass ich nicht mehr konnte und liess mich ins Spital einliefern. Das war dann definitiv die Addison-Krise.


Und wie lange ging es, bis die Diagnose gestellt wurde?

Zunächst waren die Ärzte etwas ratlos. Doch trotzdem haben die Notärzte das intuitiv Richtige im richtigen Moment gemacht. Dies, obschon meine Diagnose in dem Moment noch nicht klar war. Das Eingreifen war ganz einfach: Ich erhielt Cortison direkt ins Blut. Erst nach dieser richtigen und erfolgreichen Notfallbehandlung erhielt ich dann die richtige Diagnose. Bereits nach fünf Tagen konnte ich wieder nach Hause. Dann war ich wieder unausgeglichen. Es brauchte aber noch manche Abklärung und diverse Arztbesuche, bis ich wieder richtig eingestellt war.


Von dann an ging es also wieder aufwärts?

Ja. Wobei der Anfang nicht einfach war. Denn das Cortison wirkt ziemlich direkt. Bei einer Magendarmgrippe muss ich sofort in den Notfall, um Cortison intravenös verabreichen zulassen. Ansonsten nehme ich täglich Cortison-Tabletten. Zwar ist es nicht immer einfach, die genau richtige Dosierung zu treffen. Aber insgesamt geht es mir sehr gut.


Was ist das Spezielle am Addison-Syndrom?

Ich muss betonen. Schilddrüsenerkrankungen wie das Hashimoto-Syndrom sind relativ häufig. Erkrankungen der Nebennierenrinde wie das Addison-Syndrom sind selten. Darum war auch die Diagnose schwierig. Es wurde hinsichtlich der Schilddrüse keine Medizinierung getätigt, sondern das sogenannte «Watch and Wait»-Prinzip angewandt. Erfreulicherweise arbeitet die Schilddrüse jetzt wieder auf einem Stand, der gut ist. Es hat sich also gelohnt, zu warten. Auf der anderen Seite ist nicht geklärt, ob das Addison-Syndrom eine Folge des Hashimoto-Syndroms war oder ob es eine andere Ursache gab.


Gibt es trotzdem noch Beschwerden?

Die Dosierung des Medikamentes ist sehr schwierig. Emotionale oder körperliche Anstrengungen oder auch Abendsitzungen erfordern beispielsweise eine höhere Dosierung. Sonst bin ich auf einmal am Abend K.O. Denn bei körperlicher Belastung darf ich ja nicht in ein zu grosses Defizit an Cortison fallen. Deshalb muss ich mein Leben relativ ausgeglichen gestalten. Ansonsten habe ich keine grossen Einschränkungen. Ich bin sehr dankbar, dass es mir wieder so gut geht. Denn die Situation war lebensbedrohlich. Dass die Ärzte insbesondere bei meinem Addison-Notfall richtig reagiert haben, obschon sie die Diagnose nicht wussten, erachte ich als göttliche Fügung. Auch psychisch geht es mir gut, was auch nicht selbstverständlich ist.

 

David Stettler ist 57-jährig, verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter. Er wohnt in Heimenschwand BE und führt dort zusammen mit seiner Familie im Nebenerwerb einen Landwirtschaftsbetrieb. Zudem arbeitet er mit einem 80-Prozent-Pensum im Zustelldienst der Post.

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