Ich atme meine Gedanken weg

Craniosacral Therapie für zu Hause. Im Buch «Craniosacral Selbstbehandlung – Entspannung und Gesundheit durch sanfte Berührung» werden zahlreiche Übungen vermittelt, die die Selbstheilung anregen und das autonome Nervensystem harmonisieren sollen. Ich wage den Selbstversuch.

Alina Dubach

Zwei Kleinigkeiten, die mir positiv aufgefallen sind. Da wäre die Widmung: Ich lese sehr gerne die persönlichen Zeilen, die oft wie versteckte Botschaften an Freunde und Familien klingen. «Dieses Buch ist dem Leben, der Liebe und dem Lachen gewidmet», schreibt der Autor, Daniel Agustoni – und lädt zu einem ersten Prioritäten-Check ein. Das zweite, was mich auf einer sehr persönlichen Ebene freut: Für die bessere Lesbarkeit wurde die weibliche Form gewählt. Alle männlichen, binären und nicht-binären Personen seien eingeschlossen – danke Daniel für diesen kleinen Schritt, der doch einiges in Bewegung bringt.

Los geht’s

In (metaphorische) Bewegung bringt mich auch dieses Buch. Nachdem ich meinen Selbstversuch eine ganze Weile vor mich hergeschoben habe, gebe ich mir einen Ruck. Daniel Agustoni nimmt sich ausführlich Zeit, das Thema einzuleiten. Er klärt über ungesunden Stress, den Vagusnerv und natürliche Entspannung auf. Später im Buch sind alle Übungen, die sich auf den Entspannungsnerv auswirken mit einem «V» gekennzeichnet. Äusserst praktisch, da mich der Vagus schon länger interessiert, ich mich aber nicht vertieft damit beschäftigen konnte. Ein, zwei der «V»-Übungen landen somit oben auf der Liste.

Ausführlich beschreibt Agustoni die Selbstbehandlung: Wann und wie sie sich eignet, wie die innere Einstellung mitwirkt, Praxistipps und Zeitfaktor inklusive. In drei Übungsteilen werden Lockerungsübungen und Selbstmassagen, Wahrnehmungs- und Spürübungen und die Harmonisierung des Craniosacral-Systems beschrieben.

Im ersten Moment ist mir der Text etwas zu dicht. Überrumpelt suche ich nach einer «V»-Übung mit weniger Text, einem schnellen Erfolgserlebnis. Widerspricht das nicht der eingangs gewünschten «vertrauensvollen, positiven Erwartung» und dem «Überprüfe deinen Fokus und übernimm bewusst die Navigation»? Okidoki, bewusst navigiere ich zur Seite 61. Hier wartet die «4-6-8 Atmung», die stehend, liegend oder sitzend ausgeführt werden kann. Zwei bis zehn Minuten sind empfohlen, länger geht immer.

Einfach atmen

Die Übung ist denkbar einfach: vier Sekunden einatmen, sechs Sekunden Atem halten, acht Sekunden ausatmen. Den Rhythmus aufrecht halten. Zum Schluss nachspüren. Ich lege mich auf den Teppich im Wohnzimmer. Einatmen, eins, zwei, drei, vier. Halten, eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs – das Bedürfnis auszuatmen ist gross. Aaaausatmen, eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht – pfüüü so viel habe ich dann doch nicht eingeatmet. Also alles etwas ruhiger, sanfter und gleichmässiger versuchen. Während ich zu Beginn krampfhaft die Sekunden zähle, merke ich schnell, dass das Gedankenkarussell fröhlich seine Runden zu drehen beginnt. Die Entspannung bleibt derweil auf höflichem Abstand. Ich habe extra keine Uhr in Sichtweite – irgendwann gewöhnt sich mein Körper (oder mein ruheloser Geist?) an die neue Atemtechnik. Das Zählen verliert das Krampfige und wird ruhiger.

Nach einer Weile stelle ich die Spezialatmung ein und setze mich auf. Ich habe nicht auf die Uhr geschaut, als ich angefangen habe, keine Ahnung, wie lange das war. Zwischen fünf und zehn Minuten? Es ist egal. Ich fühle mich gut. Ein bisschen wacher, nicht gerade tiefenentspannt, aber zufrieden.

Entspannung im Kreuzbein

Ich blättere weiter von «V»-Übung zu «V»-Übung und bleibe bei «Kreuzbein entspannen» hängen. Die Basisübung ist zwar nicht mit einem «V» gekennzeichnet, die optionale Ausführung dafür schon. Weil ich sowieso immer ein bisschen verklemmt bin im Rücken, beschliesse ich, meinem Kreuzbein mal wieder (oder zum ersten Mal?) etwas Aufmerksamkeit zu schenken. Wieder hinlegen. Die Anleitung ist ausführlich. Kurz gesagt sind es kleine Bewegungen, die – nehme ich zumindest an – so ziemlich alle Menschen, unabhängig ihres Alters oder ihrer Fitness ausführen können.

Nach dem ich etwa eine Viertelstunde der Anleitung gefolgt bin, kommt der letzte Schritt: «Wie nimmst du die örtliche Entspannung im Becken- und Lendenbereich wahr?» Mein erster Gedanke: «Gut». Dann «angenehm». Wie bei der Atemübung stelle ich mir die positive Auswirkung vor, wenn ich das öfters mache. Vor allem ist es die Zeit, die ich in mich selbst investiere, mit mir selbst verbringe, die ich schätze. Ich bin für 20 Minuten oder eine halbe Stunde völlig aus meinem Alltag «abgetaucht» und habe an nichts gedacht ausser mich selbst.

Ein Fazit

Das Buch von Daniel Agustoni «Craniosacral Selbstbehandlung» bietet den grossen Vorteil, dass man sich die Anleitungen nicht auf YouTube sucht, wo schnell eine Stunde nur fürs Finden des perfekten Videos draufgeht. Alles liegt kompakt und gut beschrieben mit Bildern zur Hand. Für die ausführlichen Erklärungen des Craniosacral-Systems empfehle ich eine ruhige halbe Stunde, damit man die Zusammenhänge auch wirklich versteht. Wie bei allen guten Vorsätzen: Das Buch ist vor allem hilfreich, wenn man es liest und anwendet. Ich selbst werde zumindest versuchen, meine beiden Übungen in mein tägliches Leben zu integrieren. Die «Integration in den Alltag» thematisiert Agustoni auf Seite 28.

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