Hanf – eine Heilpflanze zwischen Ritual und Ekstase

Über Hanf als Heilpflanze wird viel geschrieben. Dass Cannabis aber auch ein ebenso wirksames Mittel ist, um vertiefte spirituelle Erkenntnisse zu erleben und darüber hinaus ein starkes Aphrodisiakum ist, wird dabei gerne unterschlagen. Das hat viel mit kirchlichen Machtansprüchen und Moralvorstellungen zu tun. Das ist schade, denn genau diese wunderbaren Kräfte haben Menschen schon immer genutzt.

Markus Kellenberger

Sobald nicht mehr nur von Hanf, sondern von einem seiner vielen Namen wie Marihuana, Shit, Weed, Hasch, Gras, Pot, Piece oder Gras die Rede ist, dann denken viele an bekiffte Jugendliche, an klebrige, stark duftende Blüten, an berauschte Abende oder an politische Debatten über die Legalisierung. Bei all dem geht vergessen, dass unsere Urgrossväter noch eine völlig andere Hanfkultur kannten. Bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts lagen in vielen Bauernstuben völlig unbeschwert die Knasterpfeifen herum. Abends wurde darin neben Tabak auch Hanf geraucht. Das Rauchen der «Sonntagspfeife», wie sie Jeremias Gotthelf in einigen seiner Geschichten nannte, diente nach der Arbeit der Belohnung, aber nicht, um die Sinne zu benebeln, sondern um Körper und Geist zu entspannen und die Gedanken in friedliche Bahnen zu lenken.

Hanf war nicht nur eine der wichtigsten Nutzpflanzen, aus der neben Heil- und Nahrungsmittel auch Fasern für die Kleiderherstellung gewonnen wurden, sondern er war immer auch ein willkommenes Entspannungsmittel und ein Liebeszauber. Über tausende von Jahren hinweg gehörte Hanf zum Alltag der Menschen, wie der Ethnobotaniker Christian Rätsch mit seinen Recherchen nachwies. Der ihm bis heute anhaftende schlechte Ruf wurde erst vor rund hundert Jahren in den USA mit einem radikalen Hanfverbot begründet. Einerseits schaltete damit die neu entstandene Nylonindustrie ihren grössten Konkurrenten aus, andererseits zielte das Verbot aus rassistischen Gründen auf die afroamerikanische Bevölkerung, die Hanf als Genussmittel ebenso gerne nutzte wie die Schweizer Bauern. Hanfgenuss mache faul und aufmüpfig, hiess es, führe zu sexueller Enthemmung, sei ein Mörderkraut und das Einstiegstor in härtere Drogen. Gerade letztes Vorurteil hält sich bis heute hartnäckig, auch wenn das Bundesamt für Gesundheit (BAG) dies offiziell längst widerlegt hat.

Das Hanfverbot der USA schwappte innert Kürze über die ganze westliche Welt, und so ging nicht nur ein Stück uralte Volkskultur verloren – sondern es wurde auch eine Pflanze kriminalisiert, die über Jahrtausende hinweg in spirituellen und sinnlichen Kontexten immer weit mehr war als nur eine «Droge».

Das Tor zum Göttlichen

Seit Urzeiten sucht der Mensch den Kontakt zu Geistern, höheren Mächten und zum Heiligen, und fast überall auf der Welt spielen dabei Pflanzen mit psychoaktiver Wirkung eine wichtige Rolle. Cannabis, also Hanf, gehört zu diesen in Fachkreisen entheogene Substanzen genannten Pflanzen, die dank ihrer Wirkung bei spirituellen Ritualen das Göttliche im Inneren erfahrbar machen können.

In Indien beispielsweise, das vom Hanfverbot verschont blieb, wird Hanf seit jeher verehrt und gilt in den hinduistischen Veden als eine der fünf heiligen Pflanzen, die als «Quelle der Freude» auch von Ängsten befreit. Zum Holi-Fest, das jeweils im Frühling gefeiert wird, trinken Gläubige bis heute ein Getränk namens Bhang, das aus Milch und Hanfblättern zubereitet wird. Mit diesem Getränk ehren sie Shiva, den Gott der Transformation, und versuchen mit Hilfe der psychoaktiven Wirkung des Hanfs bewusst, einen Zustand zu erlangen, der jenseits der alltäglichen Wahrnehmung liegt.

In Tibet wird Hanf von Mönchen genutzt, um bei der Meditation länger in stiller Versenkung verweilen zu können. Und auch im frühen Judentum wurde Hanf als Bestandteil in heiligen Ölen- und Räucherwerken verwendet, wie Carl Ruck, Professor für klassische Mythologie an der Universität Boston, im Rahmen seiner Forschungen feststellte: «Es besteht kaum ein Zweifel, dass Cannabis im Judaismus eine Rolle gespielt hat», schreibt er in seinen Arbeiten.

Neue spirituelle Erfahrungen 

Warum also ist gerade die Kirche im Westen Cannabis gegenüber so skeptisch? Ein Teil der Antwort liegt in der Geschichte des Christentums selbst. Schon früh entwickelte sich hier eine Kultur der Lustfeindlichkeit, und Rausch, Ekstase und körperliche Lust galten als potenziell gefährlich für das Seelenheil. Der Ethnologe Wolf-Dieter Storl sagt es so: «Die Kirche hatte immer Angst vor allem, was den Menschen unabhängig von der kirchlichen Autorität zum Göttlichen führen könnte.» Pflanzen wie Hanf bedrohten also nicht nur die Moral – sondern vor allem die Macht. Das führte über Jahrhunderte hinweg zu einer Stigmatisierung pflanzlicher Rauschmittel – eine Haltung, die sich bis in unsere Zeit fortsetzt. Heute suchen aber immer mehr Menschen nach neuen Formen von Spiritualität, auch ausserhalb der Kirchen, und so erlebt Cannabis in diesem Zusammenhang eine stille Renaissance. Studien der John Hopkins Universität in Baltimore, USA zeigen, dass Cannabis in moderaten Mengen mystische Erfahrungen verstärken kann. Das bedeutet aber nicht, dass Hanf automatisch «erleuchtet», aber er kann, bewusst und massvoll genutzt, zu neuen spirituellen Erfahrungen führen. Wichtig dabei ist, wie Christian Rätsch in seinen Büchern betont, «die Absicht, mit der man einer Pflanze und deren Geist begegnet». Ohne Ritual, ohne innere Haltung, meint er, bleibe es beim Rausch. «Mit Struktur und Respekt kann Cannabis aber eine Brücke sein zur Erfahrung des Heiligen.»

Die Lust an der Lust

Ein anderer Grund, weshalb Hanf vielen Religionshütern suspekt ist, ist seine Wirkung auf die Libido. Hanf ist nachweislich ein hochwirksames Aphrodisiakum. Anders als Alkohol, der oft enthemmt, aber zugleich abstumpft, kann Hanf die körperliche und seelische Wahrnehmung verfeinern. Unter seinem Einfluss werden Berührungen intensiver, Geräusche und Gerüche sinnlicher empfunden und der eigene Körper empfänglicher. Eine vor drei Jahren im Journal of Cannabis Research veröffentlichte Studie zeigt: Mehr als zwei Drittel der Befragten, die vor einer sexuellen Begegnung Cannabis zu sich nahmen, berichten darin von erhöhter Lust, intensiveren Orgasmen und gesteigerter Nähe zum Partner. Besonders Frauen gaben an, dass Cannabis sie «mehr in den Körper» gebracht habe, weg von Leistungsdruck und Kopfkino und hin zu mehr Präsenz.

Eine Studie der Stanford University School of Medicine in Kalifornien kam zu ähnlichen Ergebnissen. Moderate Mengen Cannabis verbessern Erregung, Orgasmusfähigkeit und sexuelle Zufriedenheit. Und auch die Universität Zürich stellte bei einer Untersuchung zum Thema Paarsexualität fest, dass Substanzen, die Angst und innere Spannungen reduzieren, Frauen und Männern helfen können, leichter in ihre Lust zu finden. Das Fazit dieser Untersuchung: Cannabis kann hier, ähnlich wie Entspannungsübungen und naturheilkundliche Präparate, eine sanfte Unterstützung sein. Damit Hanf diese Wirkung heilsam entfalten kann, braucht es Klarheit zwischen den Partnern. Beide müssen der Verwendung zustimmen, und sich bewusst sein, dass dazu wenige Tropfen oder Züge von einem Joint genügen. Denn in hohen Dosen, warnen die Fachleute, schlage der Effekt ins Gegenteil um. Richtig und massvoll angewendet kann Cannabis aber zu einem Lustverstärker werden, der Körper und Seele verbindet – nicht als Ersatz, sondern als Verstärker für wohltuende und erfüllte Nähe.

Die Poesie des Lebens

Am Ende dieses Artikels steht eine häufig gestellte Frage: Braucht es überhaupt Substanzen wie Hanf, um spirituelle und sexuelle Erlebnisse zu haben, geht es nicht auch ohne? Die Antwort ist einfach: Nein, es braucht keine Substanzen, das alles geht auch ohne, jeder Mensch kann das selbst entscheiden. Wer aber Hanf bewusst und nicht einzig für ein Rauscherlebnis nutzt, kann ihn als Pflanzenfreund entdecken, der ihn dabei unterstützt, den Blick auf sich und die Welt weicher zu machen, das Herz zu öffnen und seinen Körper feiner zu spüren. In Ritualen kann er zudem helfen, Bewusstseinsschwellen zu überschreiten, falsche Scham loszulassen und im Alltag innezuhalten – so wie das früher die Bauern mit ihrer Sonntagspfeife taten.

Selbstverständlich sind auch die Risiken des Hanfgebrauchs real und dürfen nicht ignoriert werden. Wie schon Paracelsus sagte: «Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift. Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.» Wie jede Droge kann auch Cannabis missbraucht werden. Ebenso wahr ist aber auch, dass diese Pflanze richtig angewendet eine grosse Kraft hat, uns daran zu erinnern, dass das Leben mehr ist, als nur zu funktionieren und «seine Pflicht» zu erfüllen. Bewusst eingesetzt und genossen wie ein gutes Glas Wein, kann sie ein Tor zur Poesie des Lebens sein.

CBD versus THC – wo liegt der Unterschied?

In der Hanfpflanze finden sich viele Wirkstoffe, die wichtigsten zwei sind das Cannabidiol (CBD) und das Tetrahydrocannabinol (THC). Es gibt Hanfpflanzen mit einem hohen CBD- und solche mit einem hohen THC-Anteil. Beide Stoffe haben unterschiedliche Wirkungen.

CBD ist ein nicht-psychoaktives Cannabinoid. Es wirkt nachweislich entspannend, entzündungshemmend, schmerzlindernd und angstlösend. Heilkundliche Produkte und auch Nahrungsmittel aus Hanf, die ausschliesslich CBD enthalten, sind deshalb nicht nur in der Schweiz, sondern auch in vielen anderen Ländern mittlerweile erlaubt.

THC ist das psychoaktive Cannabinoid. Es wirkt in kleinen Dosen bewusstseinserweiternd, indem es die Sinneswahrnehmung verändert, und in hohen Dosen stark berauschend. In der Medizin kann es zur Schmerzlinderung, zur Appetitanregung und zur Reduktion von Übelkeit angewendet werden. Aufgrund seiner psychoaktiven Wirkung ist Hanf mit einem hohen THC-Anteil in vielen Ländern verboten oder unter strengen Auflagen nur für den medizinischen Gebrauch erlaubt.

Buchtipps

Michael Carus, Franjo Grotenhermen: «101 Gründe, Cannabis zu lieben – Wirkung, Kultur und Geschichte von Cannabis», Nachtschattenverlag, 2025

Markus Berger: «Hanf – Cannabis als Heilmittel, Nutzpflanze, Genusskraut», AT Verlag, 2020

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