Eine Bedienungsanleitung für unser Schicksal
Knochen, Muskeln, Fett, Organe – die einzelnen Bausteine unseres Körpers. Geht man tiefer, kommen die separaten Zellen. Allem zugrunde liegt unsere DNA, unsere Gene, die unser Leben bestimmen. Oder nicht? Epigenetikerin Manuela Mani erklärt, wie wir die Geschicke unseres Lebens selbst in die Hand nehmen können.
Rebekka Affolter

Gesund, gesünder, am gesündesten – je besser unsere Medizin wird, desto älter werden die Menschen. Wer ein Problem hat, braucht nur in die nächste Sprechstunde zu gehen, klassische Behandlungsmethoden bekämpfen fast jedes Wehwehchen, beinahe jedes noch so starke Symptom. Medizinerin Manuela Mani hingegen geht in ihrer Thuner Praxis unser Wohlbefinden anders an – mithilfe der Epigenetik. Für sie beginnt Gesundheit viel früher – direkt an den Wurzeln, bei unserer DNA, den Erbinformationen, die all unsere Merkmale bestimmen.
Die Theorie
Epigenetik – ein Begriff, der der Schreiberin dieses Artikels zum ersten Mal bei der Recherche für diesen Artikel über den Weg lief. Genetik klar. Epigenetik? Manuela Mani erklärt: «Das ist die Wissenschaft, die belegt, dass wir unseren Genen nicht hilflos ausgeliefert sind.» Wir können unsere DNA zwar nicht bestimmen – aber wir können bestimmte Gene an- und abschalten, so Mani. Über Umweltfaktoren und unseren Lebensstil. Schlaf, Ernährung – insbesondere Mikronährstoffe – Bewegung, die Beziehung zu uns selbst und den Menschen um uns herum – so nehmen wir direkten Einfluss auf unseren Bauplan.
Grosse Teile der Epigenetik beruhen auf der 5000 Jahre alten Heilkunst des Ayurveda. Manuela Mani wuchs mit den Lehren aus Indien auf – und studierte sogar zwei Jahre dort. Zudem absolvierte sie ein Epigenetik-Basis-Studium in Deutschland bei HealVersity. «In der Schweiz befindet sich die Epigenetik noch in den Kinderschuhen», erklärt sie. Inzwischen gebe es einen Verein, eine Ausbildung jedoch noch nicht. Auch den Uni-Abschluss wird sie an einer Schule im Ausland absolvieren – in Luxemburg.

Die Praxis
Einfluss auf die Gene nehmen – wie sieht das konkret aus? Betritt man das Sprechzimmer von Manuela Mani, fühlt man sich definitiv nicht wie bei einem Arztbesuch, nur die in weiss gekleidete Medizinerin deutet darauf hin. «Ich trage diese Kleider bewusst – zum einen für mich, um mich von meinem privaten Ich abzugrenzen, zum anderen für meine Patient*innen, um die nötige professionelle Nähe und Distanz zu schaffen.» Der Raum ist persönlich eingerichtet: Zwei gemütliche Sessel in dunkelrot und blau und sogar ein Bett laden zum Verweilen ein: «Ich führe hier Meditationen durch – daher der Platz zum Liegen.»
Wissenschaft trifft auf Persönlichkeit
Zurück zu den Sprechstunden: Der erste Schritt ist ein kostenloses, 15-minütiges Telefongespräch. Hier klärt Mani ab, was im jeweiligen Fall sinnvoll ist. Danach geht es an die Beratung. «Am liebsten beginne ich jeweils mit einem DNA-Test und einer ausführlichen Anamnese», erklärt die Medizinerin. Die Ethik spielt dabei für sie eine grosse Rolle: «Ich teste nur, was meine Patient*innen auch aktiv beeinflussen können.» Wie hoch beispielsweise das Risiko ihrer Kundschaft für bestimmte Krankheiten wie Krebs ist, schaut sie nicht an. Auch das Budget wird im Vorhinein angesprochen. «Wer nach einem DNA-Test etwas verändern will, sollte im Voraus grundsätzlich mit 50 Franken pro Monat für allfällige Supplementierung rechnen. Zudem empfehle ich mindestens fünf Coaching-Sessions, damit wir gemeinsam das Resultat sowie die ersten Veränderungen nach der Implementierung anschauen können.»
Der DNA-Test – von dem es verschiedene Varianten gibt, je nachdem welche Gene und Aspekte genauer unter die Lupe sollen – liefert ihren Patient*innen sozusagen eine Gebrauchsanweisung für ihren Körper. «Oft wird generalisiert – an apple a day keeps the doctor away. Für manche sind es aber zwei Äpfel, für andere nur ein halber, für wieder andere fünf.» Natürlich dreht sich die Epigenetik nicht um Äpfel, sondern um Mikronährstoffe und Ergänzungsmittel.
Konkret heisst das: «Kommt jemand mit chronischer Erschöpfung zu mir – eine der häufigsten Beschwerden – mache ich einen Test, um zu schauen, wo die Gene Unterstützung nötig haben.» Danach kann man oftmals dem einfachen Prinzip folgen: Weglassen, was es nicht braucht oder dem Körper sogar schadet, und ergänzen, was fehlt. Was nicht gleich Supplementieren heisst: «Oft hilft bereits eine schrittweise Anpassung der Ernährung. » Auch die Erholung und Aktivitäten zu regulieren sowie die Verbindung zu sich und den Menschen um sich herum anzuschauen, wirkt Wunder. «Bei Frauen drehen sich Probleme oft um die Beziehung zu sich selbst», erklärt Mani.
Spezialgebiet Frau
Apropos Frauen: Die 58-Jährige hat sich besonders auf das weibliche Geschlecht spezialisiert. Zum einen, weil sie selbst Vertreterin dessen ist. Zum anderen, weil dieser Bereich auch in der Schweizer Medizin oft übersehen wird – und insbesondere Frauen unter generalisierten Behandlungen leiden. Das bekannteste Beispiel sei der Herzinfarkt. Dieser kann sich bei weiblichen Betroffenen untypisch äussern und wird daher oft spät – oder zu spät – erkannt. «Die Gendermedizin, die Auswirkungen von Krankheiten auf verschiedene Geschlechter untersucht, kommt erst langsam in der Schweiz auf.» Und hat einen entsprechend weiten Weg zu gehen.
Ein Weg, den Mani mit ihrer Praxis ebnen will. «Aktuell mache ich eine Weiterbildung, um Frauen mit einem unerfüllten Kinderwunsch zu beraten.» Generell erhoffe sie sich, dass zukünftige Mütter bereits vor der Schwangerschaft zu ihr kommen. «Es gibt einen spezifischen DNATest, der personifiziert aussagt, was Mutter und Kind während der Schwangerschaft brauchen.» Auch für bevorstehenden Wechseljahre empfiehlt sie einen Besuch in ihrer Praxis.
Nicht krank ist nicht gleich gesund
Denn: Man muss nicht mit zahlreichen Symptomen kämpfen oder einen Kinderwunsch hegen, um der Medizinerin einen Besuch abzustatten. «Gesundheit ist mehr als nur das Fehlen von Krankheiten. Gesundheit ist vollständiges körperliches, seelisches, soziales und mentales Wohlbefinden.» Deshalb: Je früher die Menschen zu ihr kommen, desto besser. Auf die Schulmedizin ganz verzichten würde sie aber nicht. «Für mich sind klassische Behandlungen für den Notfall da.» Regelmässige Sprechstunden hingegen seien nicht die Idee: «Gesundheit kann man nicht mit einem wöchentlichen Arztbesuch kaufen. Man muss selbst die Verantwortung dafür übernehmen.»
Und genau darum geht es Mani: Den Menschen ihre Eigenverantwortung zurückzugeben und ihre Selbstheilungskräfte zu aktivieren. «Unsere Körper können oft mehr, als wir ihnen zutrauen», ist sie überzeugt. Wie man auf eine Krankheit reagiert, beeinflusse oft den Krankheitsverlauf. «Diagnosen können Angst machen – deshalb es ist wichtig zu lernen, wie man mit dieser Angst umgeht.»
Gesundheit lernen – so früh wie möglich
Für sie ist es daher unerlässlich, bereits im jungen Alter zu lernen, wie wir gesund bleiben. Als Abschlussarbeit bei ihrer Ausbildung zur Krankenschwester entwickelte sie ein Konzept für den Gesundheits-Unterricht in den Schulen – der bis heute nicht eingeführt wurde. «Mein Ziel ist es immer noch, diesen Traum in irgendeiner Art und Weise umzusetzen.»
Aktuell ist sie auf bestem Weg dazu: Nach dem Uni-Abschluss will sie den Menschen die Epigenetik im grossen Stil nahebringen. Referate, Workshops, Kurse – ein breites Angebot ist geplant. Auch in Schulen. Ihre Überzeugung: «Wenn Kinder Gesundheit lernen, dann werden die Erwachsenen weniger krank.»

Ein kurzer Lebenslauf
Der Weg in die Heilkunde zeichnete sich bereits in Manuela Manis Kindheit ab. Schon damals war ihr Motto: «Ich will den Menschen helfen.» Dieser Grundsatz führte 1990 zu einem Abschluss als Krankenschwester. Danach folgte ein vielfältiger Weg. «Es ist im Grunde einfacher, aufzuzählen, was ich nicht gemacht habe», schmunzelt sie. Von verschiedenen Leitungspositionen im Gesundheitswesen zu acht Jahren in der Pharmaindustrie über den Aufbau des Medizinischen Zentrums Thun am Bahnhof bis hin zur eigenen Praxis – die Medizin-Expertin hat vieles gesehen.
Beruflich wie privat. «2019 machte ich eine besonders herausfordernde Zeit durch», erzählt sie. Nach der Kündigung wegen Wertekollisionen beim Medizinischen Zentrum Thun am Bahnhof und der unerwarteten Scheidung von ihrem Ehemann erhielt sie eine schwere Diagnose – mit der sie inzwischen sehr gut lebt. Zuvor aber kam eine zweijährige Odyssee durch die Schweizer Medizin. «Ich will diese Erfahrung anderen Frauen ersparen – dieser Wunsch bewegte mich zur Selbstständigkeit.»
