Wundheilungsstörungen werden oft unterschätzt, sind aber eine ernsthafte Angelegenheit. Doch was steckt genau dahinter, und wie können alternative Therapieansätze wie die Madentherapie den Heilungsprozess unterstützen?
Text: Angela Bernetta, Illustration: Lena Kissoczy
Eine Wunde, die innerhalb von acht bis zwölf Wochen nicht heilt, wird als chronisch betrachtet », erklärt Slavica Markovic-Pticek, Wundexpertin an der Klinik Hirslanden. Wundheilungsstörungen treten auf, wenn der normale Ablauf der Gewebereparatur gestört ist. Dies kann verschiedene Ursachen haben, darunter Erkrankungen wie Diabetes, Durchblutungsstörungen, Immunsystemprobleme oder Infektionen (siehe Box «Ursachen einer Wundheilungsstörung»).
Wenn eine Wunde nicht wie üblich heilt, können langwierige und komplizierte Heilungsprozesse die Folge sein. «Menschen mit Wundheilungsstörungen glauben schon lange nicht mehr an den Spruch ‹Die Zeit heilt alle Wunden›», weiss Markovic-Pticek aus Erfahrung. «Viele Betroffene haben einen langen Leidensweg mit dauerhaft offenen oder wiederholt aufgehenden Wunden hinter sich. Auch wenn die moderne Wundversorgung immer weitere Fortschritte macht, muss klar gesagt werden: Nicht jede Wunde geht zu.» Deshalb ist es wichtig, Wundheilungsstörungen so gut wie möglich vorzubeugen. «Ein guter Ernährungszustand unterstützt eine funktionierende Immunabwehr sowie eine gute Beschaffenheit der Haut», ergänzt Gioia Vinci, Therapieexpertin Ernährung Intensivmedizin APD an der Klinik Hirslanden. «Bei Mangelernährung, die in der Schweiz weitaus häufiger vorkommt, als man annimmt, treten Wunden schneller auf, und die Wundheilung kann verzögert werden.»
Interdisziplinäre Arbeit
Die frühzeitige Erkennung von Wundheilungsstörungen ist entscheidend für den Heilungsprozess. Symptome wie anhaltende Rötung, Schwellung, vermehrter Schmerz oder ungewöhnlicher Ausfluss können Anzeichen dafür sein. Wundexpert*innen wie Slavica Markovic-Pticek klären in der Folge ab, welche Faktoren die Wundheilung verzögern. Während einige von ihnen den Allgemeinzustand der Betroffenen, das Alter, die Lebensumstände sowie die Ernährung berücksichtigen, beziehen sich andere direkt auf den Zustand der Wunde. Dazu gehören beispielsweise das Alter der Wunde, mögliche Fremdkörper in der Verletzung sowie Versäumnisse bei der lokalen Wundtherapie. «Deshalb ist die Wundbehandlung eine interdisziplinäre Arbeit, die nach der Ursachenklärung ein klar definiertes Ziel verfolgt», ergänzt Markovic-Pticek.
Die Wundexpert*innen passen die lokale Behandlung sowie die Auswahl der Wundauflagen oder Kompressionstherapie individuell an. Diese Massnahmen umfassen in der Regel die Wundreinigung, eine antibiotische Therapie und regelmässige Überprüfungen. «Die Wundheilung erfordert viel Flüssigkeit, Kalorien und Proteine sowie spezifische Mikronährstoffe wie Zink oder Vitamin C», ergänzt Gioia Vinci. «Der Bedarf an Flüssigkeit, Makro- und Mikronährstoffen ist bei der Wundheilung im Vergleich zu einem Menschen ohne Wunden grösser.»
Alternative Therapien
Die Madentherapie, auch bekannt als Larventherapie, hat sich als effektive Methode bei Wundheilungsstörungen erwiesen. Sie wird angewendet, wenn konventionelle Therapien nicht den gewünschten Erfolg bringen. Fliegenlarven (Lucilia sericata) werden in einem kontrollierten Umfeld gezüchtet und sterilisiert, bevor sie auf die Wunde gelegt werden. «Dort setzen die Larven Enzyme frei, die das abgestorbene Gewebe aufbauen, während sie gleichzeitig das Gesunde unberührt lassen», erklärt Slavica Markovic-Pticek. «Die Ausscheidungen der Larven wirken zudem antibakteriell. Dies fördert die Heilung und minimiert das Infektionsrisiko.» Da die Larventherapie schmerzhaft sein kann, werden Patient* innen präventiv mit Opiaten behandelt. «Die Fliegenlarven dürfen lediglich von geschulten Fachkräften aufgelegt werden», ergänzt die Wundexpertin.
Die Anfänge der Madentherapie reichen weit zurück, in eine Zeit, in der die Naturheilkunde einen zentralen Platz in der medizinischen Praxis einnahm. Schon in antiken Kulturen wie der griechischen und römischen wurden Maden als effektive Mittel zur Wundbehandlung eingesetzt. Die Beobachtung, dass Fliegenlarven totes Gewebe von lebendem trennen können, führte zu den ersten Anwendungen dieser ungewöhnlichen Methode.
Erster Weltkrieg brachte Durchbruch
Der eigentliche Durchbruch der Madentherapie ereignete sich jedoch während des Ersten Weltkrieges, als Soldaten mit infizierten Wunden in Kontakt mit Maden kamen. Überraschenderweise heilten die Wunden schneller und effektiver als bei herkömmlichen Methoden. Diese Beobachtungen legten den Grundstein für weitere wissenschaftliche Untersuchungen und die systematische Anwendung von Maden in der modernen Medizin.
Die erste Studie über die Larventherapie wurde 1931 durch den amerikanischen Militärarzt William Bear an der John-Hopkins-Universität veröffentlicht. Er konnte aufzeigen, dass das Debridement – die Entfernung von abgestorbenem Material und verschmutzem Gewebe aus einer Wunde – durch die Larven dem chirurgischen Debridement überlegen ist, weil es mikroskopisch exakter ist. Ausserdem wird selektiv der Biofilm chronischer Wunden, also schädliche Bakterien, durch die Larventherapie zerstört.
Heute, im Zeitalter der biometrischen Forschung und technologischen Fortschritte, hat die Madentherapie ihren Platz als anerkannte Form der Biosurgery gefunden. Durch gezielte Anwendung von Fliegenlarven können Fachleute Gewebe reinigen, Infektionen bekämpfen und die Heilung von chronischen Wunden unterstützen.
« Eine Wunde, die innerhalb von acht bis zwölf Wochen nicht heilt, wird als chronisch betrachtet. »
Weitere naturheilkundliche Ansätze
Neben der Madentherapie gibt es verschiedene andere naturheilkundliche Ansätze, die bei Wundheilungsstörungen helfen können. Dazu gehört die Anwendung von Honig, Aloe vera, Propolis, Ringelblume und Kamille. Diese Substanzen haben entzündungshemmende und antibakterielle Eigenschaften, die den Heilungsprozess fördern können. Eine individuelle Herangehensweise unter Einbezug von Fachärzt*innen und der Naturheilkunde ist dabei entscheidend, um die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen. «Wunden gibt es, seit die Menschheit besteht», sagt Slavica Markovic-Pticek, Wundexpertin an der Klinik Hirslanden. Die Geschichte der Wundversorgung reicht also weit zurück. «Die Naturvölker behalfen sich mit allem, was ihnen zur Verfügung stand: Wurzeln, Rinden, Gräser, Blätter, Sägemehl und sogar Erde. Vielem wurde eine Heilkraft nachgesagt.» Naturheilkundliche Ansätze bieten heute noch eine breite Palette von Möglichkeiten zur Förderung der Wundheilung. Nachstehende natürliche Heilmittel zeichnen sich durch ihre entzündungshemmenden, antimikrobiellen und regenerierenden Eigen- schaften aus:
Honig
Den alten Ägypter*innen dienten vor allem mit Honig getränkte Leinentücher als Lokaltherapeutikum zur Reinigung von infizierten Wunden. Diese Leinentücher wurden von Mumienmachern hergestellt. Auch in der heutigen Wundversorgung wird partiell noch medizinischer Honig eingesetzt. Der sterile Wundhonig wird etwa in Neuseeland aus den Blüten der Manuka gewonnen, die zur Familie der Myrtengewächse zählt. Seine antibakteriellen Eigenschaften helfen, Infektionen zu bekämpfen, und seine feuchtigkeitsspendende Wirkung fördert die Bildung von gesundem Gewebe.
Aloe vera
Die Aloe-vera-Pflanze ist für ihre vielfältigen gesundheitsfördernden Eigenschaften bekannt. Ihr Gel hat entzündungshemmende und kühlende Effekte, die bei der Linderung von Schmerzen und der Förderung der Wundheilung hilfreich sind.
Propolis
Bienen sind nicht nur Honigproduzenten, sondern stellen auch Propolis her, ein harziges Gemisch aus Bienenwachs, Pollen und verschiedenen Pflanzensubstanzen. Propolis hat antimikrobielle und entzündungshemmende Eigenschaften, die die Wundheilung fördern können.
Ringelblume
Die Ringelblume, oder Calendula, ist seit langem für ihre hautberuhigenden und entzündungshemmenden Eigenschaften bekannt. Calendula-Extrakte können die Regeneration von Hautzellen fördern und die Bildung von gesundem Gewebe unterstützen. Salben und Cremes mit Calendula sind ideal für die äusserliche Anwendung.
Kamille
Die Kamille, mit ihren beruhigenden und entzündungshemmenden Eigenschaften, ist eine weitere Naturheilpflanze, die bei Wundheilungsstörungen unterstützen kann. Kamillentee kann sowohl äusserlich als Kompresse als auch innerlich als entzündungshemmendes Getränk angewendet werden. Diese Methoden sollten mit einer Fachperson abgestimmt werden. Sie sind als Ergänzung zu konventionellen medizinischen Therapien zu betrachten.
« Die Ausscheidungen der Larven wirken antibakteriell, dies fördert die Heilung und minimiert das Infektionsrisiko. »
Ursachen einer Wundheilungsstörung
Höheres Lebensalter: Ältere Menschen erfahren generell eine schlechtere Wundheilung aufgrund einer reduzierten Hautdurchblutung und häufig einem geschwächten Immunsystem.
Schlechter Ernährungszustand: Ein Mangel an Proteinen, Kohlenhydraten, Fetten, Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen kann die Wundheilung verzögern.
Begleiterkrankungen: Diabetes, Blutarmut, arterielle Durchblutungsstörungen, Gicht, Nikotinsucht und Venenschwäche (venöse Insuffizienz) führen zu einer verminderten Blutversorgung im Wundbereich, was die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung beeinträchtigt und somit die Wundheilung.
Schwächung des Immunsystems: Krebserkrankungen und chronische Infektionserkrankungen wie Tuberkulose, AIDS oder Syphilis schwächen das Immunsystem, was sich negativ auf die Wundheilung auswirken kann.
Psychosoziale Umstände: Psychische Erkrankungen, mangelnde Kooperationsbereitschaft des Patienten/der Patientin, Demenz, Verwahrlosung oder die Angst vor Schmerzen können sich ebenfalls negativ auf die Wundheilung auswirken. Dies äussert sich sowohl in unregelmässiger Wundpflege als auch in unzureichender Wundhygiene.
Lokale Faktoren: Krankheitserreger und Wundinfektionen durch Bakterien, Viren, Parasiten und/oder Pilzen; Fremdkörper in der Wunde; grosse und gequetschte Wunden; grosse Blutergüsse (Hämatome) im Bereich der Wunde; mangelnde Ruhigstellung der Wunde.
Quelle: meine-gesundheit