Die Therme der Moderne

Das warme Wasser schmiegt sich um aufgeregte Gemüter, die Stimmen der anderen Menschen verblassen im Hintergrund. Während Thermalbäder heute der Entspannung dienen, waren sie in der römischen Antike viel mehr als das. Von der luxuriösen Badekultur der antiken Römer hin zur Wasserscheu im Mittelalter – eine kurze Geschichte der Körperpflege.

Rebekka Affolter

Im einen Bereich lässt der dichte Dampf die eigene Hand vor Augen verschwinden, in einem zweiten entspannen sich die Menschen bei einer Öl-Massage, im dritten unterhält sich eine Gruppe angeregt, während das Wasser verspannte Muskeln löst. Welche Bilder wecken diese Zeilen? Eine Therme der Gegenwart oder ein Bad aus längst vergangenen Zeiten?

Gross unterscheiden tun sich unsere heutigen Bäder von denen der Römer*innen nämlich nicht – mal abgesehen von den Whirlpools. Ansonsten waren die Badeanlagen vor 2000 Jahren sehr ähnlich aufgebaut.


Erfinderische Römer
*innen

Die Römer*innen haben das Baden zwar nicht erfunden – auch in Ägypten und Griechenland pflegten die Menschen ihre Körper in Badestätten – aber sie haben es sicherlich perfektioniert und zu einer Hochkultur entwickelt. Immerhin waren sie praktisch prädestiniert dafür – aus verschiedenen Gründen. «Dank der Erfindung der Aquädukte gab es im Römischen Reich überall fliessendes Wasser – egal, ob sich ein Gewässer in der Nähe befand oder nicht», erklärt Debora Schmid, Stellvertretende Leiterin von Augusta Raurica. Jede Therme konnte mit frischem und sauberem Wasser versorgt werden.

«Die Römer*innen perfektionierten das Baden und machten es zur Hochkultur.»


Von Aquädukten haben die meisten wohl schon was gehört, aber wir haben den Römer*innen noch eine weitere grosse Erfindung zu verdanken: die Bodenheizung. Der nächste Grund, weshalb die Bäder ein essenzieller Teil der römischen Kultur waren. Mit ihr konnten sie jedes Becken nach Belieben heizen – von lauwarm bis heiss. «Die Badenden wechselten jeweils zwischen den verschiedenen Temperaturen – ein richtiger Wohlfühlablauf», erklärt Schmid.


Pro Tag ein Bad

Die Badestätten waren für die Römer*innen von immenser Bedeutung. «Jeden Tag nach Feierabend suchten sie die Thermen auf», sagt Schmid. Wer es sich nicht leisten konnte – was nur selten der Fall war, öffentliche Bäder waren meist sehr günstig oder teilweise sogar gratis – putzte sich nach der Arbeit die Arme und Beine mit einem nassen Lappen.


Wer schön sein will, muss leiden

Doch nicht nur die grundsätzliche Körperpflege war damals hoch angesehen: Die Römer*innen kämpften auch mit den ersten Schönheitsidealen. Die Rasur ist ebenfalls keine Erfindung der Moderne, bereits in der Antike nahmen sich die Menschen Zeit dafür – und zwar Männer wie Frauen. «Beide Geschlechter rasierten sich Achsel- und Beinhaare», sagt Schmid. Entweder wurden sie mit einer Pinzette ausgezupft oder mit einer Paste ausgerupft. «Oft ein eher schmerzhafter Vorgang» – was man (schon damals) nicht alles für die Schönheit macht.

Die römischen Schönheitsideale hörten mit dem Rasieren aber noch lange nicht auf. Bereits ohne soziale Medien konnten damals schon zahlreiche Trends in den Bereichen Mode und Schönheit beobachtet werden. «Anhand der aus dieser Zeit erhaltenen Statuen oder Münzen können wir sehen, welche Frisuren oder Kleider ‹in› waren», erklärt Schmid. Wer denkt, dass wir erst seit kurzem Haare färben, liegt falsch: Bereits unsere Vorfahr*innen waren unzufrieden mit ihren Mähnen. «Die meisten Römer*innen waren dunkelhaarig – mithilfe von Goldstaub gaben sie ihren Haaren einen blonden Touch.»


Zwar keine Body Lotion, dafür …

Neben dem Haarfärbemittel benutzten sie weitere Pflegeprodukte: Seifen und Öle waren schon damals weitgehend in Gebrauch. «Letztere waren besonders für die Massagen wichtig», sagt Schmid. Die Pflegemittel brachten die Menschen meistens von zuhause mit – «wie wir heute mit unseren Kosmetikprodukten hatten sie schon früher bestimmte Vorlieben.» Die Menschen von früher unterscheiden sich eben doch nicht so von den Menschen von heute.


Die Therme als Freizeitgestaltung

Was sich jedoch änderte, ist der Umfang der Bäder. Sie waren nicht nur ein Ort der Sauberkeit, sondern auch sozialer Treffpunkt, medizinisches Center, Fitnessstudio und Taverne. «Da sich die meisten kein eigenes Bad leisten konnten, musste sowieso jeder nach der Arbeit im Bad vorbei – warum nicht gleich alles Nötige dorthin verlegen?», erklärt Schmid.

Während die Thermen anno dazumal in ihrem Grundriss den heutigen sehr ähnelten, sieht das beim Fitnesscenter anders aus. «Die Bäder verfügten meist über einen Innenhof, in dem die Menschen Sport trieben», sagt Schmid. Diskuswerfen, Gewichte heben und Gymnastik waren sehr beliebt. Wie Ballspiele – wobei nicht etwa Fussball gespielt wurde, sondern ein Spiel, das Völkerball oder Rugby gleicht.

Die Treffen in den römischen Badeanstalten dienten nicht nur dem Vergnügen: Auch zahlreiche Geschäfte wurden hier abgeschlossen. Wenn man amerikanischen Filmen Glauben schenken will, passiert das allerdings auch heute immer wieder – keine grosse Veränderung.


Rebellische Römer*innen

Was wiederum ein weiterer Gegensatz zu heute ist: Gebadet wurde in den Thermen immer nackt. Entsprechend waren Männer und Frauen getrennt – entweder durch verschiedene Bereiche oder einem Zeitplan. Ein Tag für die Männer, einer für die Frauen. «So die Regeln – es gibt aber literarische Belege, die erzählen, dass die nicht immer eingehalten wurden», erzählt Schmid mit einem Augenzwinkern.


Die Römer*innen in uns

Wie bereits erwähnt ist die römische Therme bis heute sehr beliebt. Geblieben ist meist nur die Verpflegung, die verschiedenen Becken und Dampfbäder. Ebenfalls besucht man heute keine Therme, um sauber zu sein. Immerhin den sozialen Aspekt haben wir von unseren Ahn*innen übernommen. Wer die heutigen Bäder mit denen von damals vergleichen will, findet auch in der Schweiz ein paar Überbleibsel. Augusta Raurica ist in der Schweiz die grösste Ruine, zudem finden sich in Avenches oder der Engehalbinsel in Bern Überreste der alten Bäder.


Die restliche Geschichte im Kurzlauf

Die Thermen sind seit den Zeiten der Römer*innen nicht durchgehend beliebt. Mit dem Ende des römischen Reiches ging das Wissen um die Bäder verloren – und im Mittelalter entstand eine regelrechte Wasserscheu. Was zu dieser Zeit nicht unbegründet war: Wasser wurde damals oft als Brutstätte für Krankheiten wie Syphilis oder die Pest angesehen – was es teilweise war. Stark verschmutztes Wasser ist für die Gesundheit eher schädlich. Auch das Christentum hatte seine Hand in der sinkenden Körperhygiene. Die Kirche legte mehr Bedeutung auf die inneren Werte – Hochmut eine der sieben Todsünden – eine gute Körperpflege war damals beinahe verpönt. Der Mensch sollte so bleiben, wie von Gott geschaffen. Nach dem Mittelalter zog sich der Trend der eher unzureichenden Hygiene weiter: Im Barock und Rokoko zogen die Menschen Puder, Schminke und Parfüm dem Bad vor. Bei Männern wie Frauen. Alle Gesichter wurden mit einem weissen Pulver bedeckt, die Haare unter Perücken versteckt. Da die Gesichtsschminke oft Gift enthielt, bildeten sich mit der Zeit schwere Hautunreinheiten.


Wieder bergauf

Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewann die Pflege des Körpers wieder an Bedeutung. Langsam setzte sich die Erkenntnis durch, dass eine gute Hygiene Krankheiten vorbeugen kann. Mit der höheren Bedeutung der Körperpflege kam die Geburt des industriellen Kosmetikmarkts. Heute kaum wegzudenken: Gegen Ende des Jahrhunderts kam das erste Deo auf den Markt.

Die höhere Bedeutung der Körperpflege zog sich ins 20. Jahrhundert – und führte zu einem regelrechten Boom der Hygiene. Nicht nur Sauberkeitsprodukte für den Körper, sondern für die ganze Umgebung – Kleider, Wohnung, Lebensmittel – fanden grossen Anklang. Das Bedürfnis nach «blitzblank» machte sich auch im Fernsehen bemerkbar: Die erste deutsche TV-Werbung – ausgestrahlt am 3. November 1956 – drehte sich um Seife. Genauer gesagt um ein Waschmittel für Kleider.


Zurück in die Gegenwart

In der heutigen Ära kommt der Hygiene noch immer sehr viel Bedeutung zu. Nicht zuletzt wegen der Corona-Pandemie. Zu dieser Zeit hiess es: Händewaschen, Händewaschen, Händewaschen. Während die Hygieneregeln inzwischen deutlich nachliessen, sind Mahnungen – wie übriggebliebene Anweisungen zur richtigen Reinigung in öffentlichen Toiletten – noch überall zu finden. Seifen, Shampoos, Duschgel, Conditioner, Body Lotion, Gesichts- und Handcreme, Lippenpomade, Lippenstift, Haaröl, Lockengel, Gesichtsmaske, Nagellack, Eyeliner, Rouge – heutzutage sind die Möglichkeiten, sich um seinen Körper zu kümmern, endlos. Wer sich mit der Auswahl überfordert fühlt, sollte sich vielleicht einfach mal in einer Therme der Moderne entspannen – wie die guten alten Römer*innen.

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