Die Mistel bewusst erleben

Eine Misteltherapie wird bei Krebserkrankungen oft begleitend für mehr Lebensqualität eingesetzt. Betroffene erleben dies sehr individuell auf vielen verschiedenen Ebenen der persönlichen Wahrnehmung.

Julia Baumann

Wann haben Sie das letzte Mal so richtig auf Ihren Körper gehört? In sich reingespürt, die eigenen Empfindungen wahrgenommen? Viel zu selten nehmen wir uns die Zeit dazu. Erst, wenn etwas nicht mehr funktioniert, verändert sich der Fokus und uns wird bewusst, was unser Körper täglich leistet.

Die Ärztin Annika Mascher wollte dies genauer wissen: Sie untersuchte zusammen mit weiteren Forschenden, wie eine Misteltherapie qualitativ von Krebspatient:innen wahrgenommen werden kann. Es gibt bereits zahlreiche Studien darüber, wie die Misteltherapie als zusätzliche, komplementäre Massnahme die Lebensqualität verbessern kann. Dabei liegt der Fokus auf wissenschaftlich analysierbaren, quantitativen Parametern, wie z. B. Schmerz, Appetitlosigkeit oder Fatigue (Erschöpfung). Wie vielschichtig Betroffene eine Misteltherapie erfahren und wie sich dies auf sie selbst und ihren Umgang mit der Krankheit auswirkt, ist aber sehr subjektiv, und wird in klinischen Studien kaum berücksichtigt. Diese Lücke wollte Mascher schliessen und befragte 20 Krebspatient: innen in jeweils zwei Gesprächen über ihr persönliches Erleben der Therapie sowie ihren Bezug zur Mistel als Pflanze.

Dass diese Wahrnehmungen sehr individuell sind, zeigte sich auf vielen verschiedenen Ebenen des Erlebens (Abb. 1). Zudem erschienen in der befragten Gruppe der Charakter oder Lebensschwerpunkt der jeweiligen Person die Therapie-Wahrnehmung massgeblich mitzubestimmen. So fühlten beispielsweise diejenigen mit einer aufmerksameren Körperwahrnehmung vermehrt Aspekte der Wärme und Vitalität, während spirituell offene Menschen auch tiefere spirituelle Erlebnisse mit der Mistelanwendung verbanden.

Zentrale Erkenntnisse aus verschiedenen Wahrnehmungs-Ebenen waren z. B.:

  • Wärme-Ebene: Besonders interessant zeigte sich die Wärme als multidimensionales Phänomen, z. B. als Vermittlerin der eigenen Präsenz im Körper, als Gefühl von «Zirkulation» oder «Strömen», als endlich wieder warmhaben und als erhöhte Körpertemperatur.
  • Vitalitäts-Ebene: Patient:innen spürten durch die Misteltherapie mehr Energie, um den Alltag zu meistern, oder eine gestärkte Widerstandsfähigkeit gegen Erkältungen.
  • Gefühls-Ebene: Beschrieben wurden z. B. eine erlebte Stimmungsaufhellung, emotionale Entspannung oder auch ein Gefühl der Sicherheit, durch die Misteltherapie unterstützt zu sein und einen Boden unter den Füssen zu haben. Dies führte zu mehr Selbstsicherheit und Kontakt zu sich selbst.
  • Bewusstseins-Ebene: Ein erhöhtes Eigenbewusstsein und eine verstärkte Selbstwahrnehmung/Präsenz wurden mehrfach genannt. Aus der Selbsterkenntnis und Selbstannahme folgte mehr Aufmerksamkeit für die eigenen Bedürfnisse.

Der benutzte qualitative Forschungsansatz ermöglicht somit einen Anfang, um verschiedene Ebenen menschlicher Erfahrungen tiefer zu erkunden. Zudem zeigt sich, dass bereits das Stellen der Fragen selbst eine therapeutische Wirkung haben kann. Es regt Betroffene an, sich vertieft mit sich und der Situation auseinanderzusetzen. Die vielfältigen und tiefergehenden Erfahrungen werfen die Frage auf, inwiefern eine (geführte) Selbstbeobachtung während einer medizinischen Behandlung Heilungsprozesse unterstützen kann – ein vielversprechender Ansatz für weiterführende Forschungen.

Für Annika Mascher und ihre Patientengruppe ergab sich nach dem gemeinsamen Projekt sogleich eine neue Möglichkeit, ihre positiven Erfahrungen zu vertiefen. Dabei werden die Natur und speziell die Mistel im Sinne von therapeutischen Landschaften eingesetzt. Dadurch sollen die innere Wahrnehmung und Achtsamkeit weiter gefördert, innere Prozesse angeregt sowie Personen in einem stärkeren Dialog mit sich selbst und der Umwelt unterstützt werden. Die Frage, was eine tiefere Beziehung zum eigenen Arzneimittel bewirken kann, bleibt spannend und wird Mascher und weitere Forschende sicher auch in Zukunft beschäftigen. Immer mit dem Ziel, Menschen in möglichst vielen Dimensionen auf ihrem Weg zu unterstützen.

Quelle: Mascher A et al. The Introspective Patient Experience of Mistletoe Therapy in Cancer: A Qualitative Study. Integrative Cancer Therapies. 2023; 22. doi:10.1177/15347354231198474

Die Mistel in der ganzheitlichen Krebstherapie

Misteln leben auf Bäumen oder Sträuchern. Von diesen lassen sie sich mit Wasser und Nährstoffen versorgen und werden dadurch in ihrer Entwicklung und ihren Inhaltsstoffen geprägt. Seit über 100 Jahren werden Mistelpräparate in der ganzheitlichen Krebsbehandlung zusätzlich zur Verbesserung der Lebensqualität eingesetzt. Ihre Wirkung wurde bereits in über 150 klinischen Studien untersucht, was sie zu einer der am besten untersuchten Heilpflanzen macht.

Mehr Informationen rund um die Misteltherapie erhalten Betroffene bei entsprechenden Arztpraxen, integrativen Therapiezentren (ZIO) sowie Universitätsspitälern oder auf Internetseiten wie www.misteltherapie.ch.

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