Die kraftvolle Knospenheilkunde
Die Gemmotherapie nutzt Knospen sowie Triebspitzen von Bäumen und Sträuchern als kraftvolle Heilmittel. Über Jahrhunderte hinweg genutzt und reich an verschiedenen Inhaltsstoffen, werden sie in Eigenregie oder nach Empfehlung der Naturheilpraktiker*in angewendet. Mit etwas Geschick lassen sich die Gemmopräparate sogar selbst herstellen.
Yvonne Rossel

Die Gemmotherapie beruht auf der Idee, dass aus Knospen sowie aus Triebspitzen stärkende und heilende Arzneien gewonnen werden können. Bereits im Mittelalter wurden die Menschen auf die Wirkung dieser Heilkraft aufmerksam, doch fehlten ihnen die Möglichkeiten, die Auszüge zu konservieren. Berühmt war eine Pappelknospensalbe, die bereits in der Antike gegen Hautschrunden und Hämorrhoiden eingesetzt wurde. Auch Hildegard von Bingen (1098 – 1179) schrieb detaillierte Informationen zu verschiedenen Knospen auf. Als Begründer der eigentlichen Gemmotherapie gilt Dr. Pol Henry (1918 – 1988). Seine Untersuchungen zeigten, dass sich aus einem ausgewogenen Gemisch aus Glycerin, Wasser und Alkohol mehr Inhaltsstoffe herauslösen lassen als bei einem rein alkoholischen Auszug, wie es bei Tinkturen üblich ist. Durch dieses Verfahren wird das sogenannte Gemmomazerat gewonnen, dessen Mischung stabil bleibt und mindestens zwei Jahre haltbar ist. Zudem werden die verschiedenen Inhaltsstoffe wie Aminosäuren, Pflanzenhormone, Flavonoide und Vitamin C schonend haltbar gemacht.
Kraftvolle Wirkung
Knospen setzen sich aus vielen teilungsaktiven Zellen zusammen, die eine geballte Energie aufweisen. Stellen Sie sich einen Pflanzenteil vor, der sogar Asphalt aufbrechen kann. Dies passiert mithilfe der Kraft der Knospe. Gemmo bedeutet nebst Knospe auch Juwel, also etwas «Zusammengeballtes». Die Knospe hat das gesamte zukünftige Pflanzenorgan in sich verdichtet. Dies bietet die perfekte Ausgangslage für ein potentes Heilmittel. In der Knospe sind sämtliche Informationen enthalten, die eine Pflanze benötigt, um zu wachsen und sich zu entwickeln. Die Wirkung der Gemmomazerate beruht auf der Stimulation der Immunabwehr und der Ausleitung von Schadstoffen und Harmonisierung von gestörten Funktionen. Die Gemmotherapie spricht die Regulation von Organsystemen wie beispielsweise der Ausscheidungsorgane oder Hormonsysteme an. Nach der Erfahrung von Dr. Pol Henry wirken Gemmopräparate stimulierend auf verschiedene Bluteiweisse (Globuline). Er entdeckte, dass manche Bäume und Sträucher, die in Biotopen zusammen vorkommen, ähnliche Wirkungen auf die Globuline haben. So helfen in feuchten Lebensräumen wachsende Pflanzen wie die Erle, die Hainbuche oder die Schwarze Johannisbeere bei akuten Erkrankungen, während Pflanzen, die an ausgesprochen trockenen Standorten leben, bei chronischen Erkrankungen hilfreich sein können. Das sind zum Beispiel der Wacholder, die Edelkastanie, die Weinrebe, der Olivenbaum oder die Bergkiefer. Bei Erschöpfung und Müdigkeit tun die Preiselbeere und das Heidekraut ihre Dienste.
So dosieren Sie Gemmopräparate richtig
Die Knospenextrakte sprayt man sich direkt in den Mund. Dabei muss ein Abstand von zehn Minuten zu jeglichen Mahlzeiten und Getränken eingehalten werden. Somit ist die Feinverteilung auf der Mundschleimhaut sichergestellt und das Naturheilmittel wird gut aufgenommen. Dank des Glycerins schmecken die Sprays leicht süsslich. Deshalb ist die Gemmotherapie bei Kindern beliebt. Sie reagieren besonders gut auf die Verabreichung von Gemmopräparaten. Womöglich ist ihr junger Körper besonders reaktiv und lässt sich sehr gut durch diese Therapie beeinflussen.
Gemmopräparate sind auch für Schwangere einsetzbar. Der Alkoholgehalt in drei Sprühstössen ist vernachlässigbar. Es gibt nur wenige Gemmopräparate, die kontraindiziert sind: Rosmarin, Wacholder, Weidenrinde, Stechpalme und Immergrün. Bei akuten Beschwerden soll das Präparat mehrmals täglich bis halbstündlich angewendet werden. Bei chronischen Beschwerden wird es morgens und abends über längere Zeit angewendet. Die Dosierung ist je nach Alter 1–3 Sprühstösse pro Anwendung.
Breites Einsatzgebiet der Gemmo-Therapie
Gemmo-therapeutisch ist gegen jede Krankheit ein Baum oder Strauch gewachsen! Im Handel existieren rund 50 verschiedene Gemmopräparate. Sie werden bei allen möglichen Indikationen eingesetzt. Einige bekannte Präparate sind:
Brombeerstrauch (Rubus fruticosus):
Lungen- und Knochenmittel
Wirkt anregend auf die Knochenbildung und regenerierend auf das Lungengewebe
Unterstützend bei Osteoporose, Arthrose, Lungenkrankheiten, als Post-Covid-Mittel
Feigenbaum (Ficus carica):
Mittel gegen psychische Leiden
Wirkt angstlösend, antidepressiv, beruhigend, krampflösend
Unterstützend bei Unruhe, Angst, Depression, Schlafstörungen, Stress, Erschöpfung, Prüfungsangst, Magenbrennen (auch in der Schwangerschaft), Bettnässen, Traumata jeder Art
Feldulme (Ulmus minor): Hautmittel
Wirkt antientzündlich bei Hautproblemen, juckreizlindernd
Unterstützend bei trockenen und chronischen Ekzemen, Hautausschlag, Akne, Psoriasis (Schuppenflechte), Fieberblasen, Gürtelrose, zur Wundheilung nach Verbrennungen, Windeldermatitis (äusserlich verdünnt mit Wasser)
Hagebutte (Rosa canina):
Mittel für die oberen Atemwege
Wirkt antiviral, immunstärkend, antiallergisch
Unterstützend bei Entzündungen im Rachen, Erkältung, Fieber, trockenem Schnupfen, Infektanfälligkeit, Ohrenschmerzen, Stirnkopfschmerzen, Migräne, Wachstumsschmerzen, Aphthen
Hängebirke (Betula pendula):
Typisches Kindermittel
Wirkt entwicklungsfördernd, antientzündlich, entspannend, regenerierend
Unterstützend bei Schulkopfschmerzen, Wachstumsschmerzen, Konzentrationsschwäche, ADHS, Rheumabeschwerden
Haselstrauch (Corylus avellana):
Entzündungshemmendes Mittel
Wirkt tonisierend, entzündungshemmend und fiebersenkend
Unterstützend bei chronischen Lungenerkrankungen, chronischen Halsschmerzen, chronischen Kopfschmerzen, Gefässerkrankungen (zu hohe Cholesterinwerte)
Himbeerstrauch (Rubus idaeus): Frauenmittel
Wirkt entspannend und krampflösend, schmerzstillend, regulierend auf das weibliche Hormonsystem
Unterstützend bei Menstruationsbeschwerden, PMS, Krämpfen und Entzündungen im Gebärmutterbereich, Wechseljahrbeschwerden
Lindeblüte (Tilia tomentosa): Schlafmittel
Wirkt beruhigend, angstlösend, nervenstärkend und krampflösend
Unterstützend bei Ein- und Durchschlafstörungen, Prüfungsangst, Depression, Stress, Koliken, verkrampfter Muskulatur, bei Kindern gegen Konzentrationsschwäche, ADHS und Unruhe
Schwarze Johannisbeere (Ribes nigrum): Generalist bei Allergien und Infekten
Wirkt antiallergisch, entzündungshemmend, abwehrstärkend, schmerzlindernd, aufbauend
Unterstützend bei akuten Entzündungen, Heuschnupfen, Allergie, akutem Schnupfen, schleimigem Husten, Akne, Ekzemen, Herpes, Aphthen, Nesselfieber, Gastritis, Reizdarm, Migräne, akuter Blasenentzündung, Mundsoor
Olivenbaum (Olea europaea): Gefässmittel
Wirkt verbessernd auf die arterielle Durchblutung, blutdruckregulierend, cholesterinsenkend
Unterstützend bei Arterienverkalkung, Bluthochdruck und zu hohem Cholesterin
Rosmarin (Rosmarinus officinalis): Lebermittel
Wirkt leberschützend, leberentgiftend, gallenfluss- anregend, gewichtsregulierend, cholesterinsenkend
Unterstützend bei akuten Infekten, Leber-Galle- Störungen, Darmkoliken, Magenbrennen, Ekzemen, Nesselfieber, Antriebslosigkeit
Die Knospe des Brombeerstrauchs gilt als Lungen- und Knochenmittel.
Rezept zur Herstellung eines Gemmopräparates
Gemmopräparate sind in Drogerien und Apotheken erhältlich oder lassen sich selbst herstellen. Es gilt, den idealen Zeitpunkt im Frühling abzuwarten. Die Haselknospe gehört zu den ersten, die sich zeigen und kann bereits im Januar erntereif sein. Die Knospen sollten kurz vor dem Aufspringen, aber noch geschlossen sein. Zudem ist es wichtig, einen möglichst natürlichen Standort auszuwählen. Meiden Sie befahrene Strassen und frequentierte Hundespa- zierorte. Beim Sammeln knipst man mit den Fingern die ganze Knospe ab. Wichtig ist, immer mindestens ein Drittel der Knospen stehen zu lassen. Die Pflanze soll überleben. Sammeln Sie für den Eigengebrauch rund ein Gramm. Sie werden sehen, dass dies bereits viele Knospen verlangt. Die Knospen am besten zu Hause mit einem Messer mit Keramikklinge klein schneiden.
- 1 g Knospen, geschnitten
- 10 g Glycerin 85 %
- 7,3 g Trinkfeinsprit 96 %
- 2,7 g destilliertes Wasser
Alles zusammen in einem verschlossenen, braunen Tropfglas für drei Wochen ruhen lassen. Einmal täglich leicht bewegen. Nach drei Wochen durch eine Gaze abfiltern. Nun ist ein Gemmokonzentrat entstanden. Dies verdünnt man nochmals 1:10, also auf ein sogenanntes D1:
- 20 ml Gemmokonzentrat
- 90 ml Glycerin 85 %
- 66 ml Trinkfeinsprit 96 %
- 24 ml destilliertes Wasser
Es hat sich gezeigt, dass die Verdünnung genau so gut wirkt wie das Konzentrat. Aus diesem Grund sind auch im Fachhandel die Gemmopräparate auf D1 verdünnt.
