Die heilende Kraft der Tiere

Sie unterstützen körperbehinderte und psychisch kranke Menschen oder von Demenz Betroffene: Tiere werden immer öfter zu Lebenshelfern oder gar zu Lebensbegleitern. Diese Einsätze sind sehr wertvoll, wenn man die Grenzen respektiert.

Angela Bernetta

Ob Hunde, Katzen, Kaninchen, Pferde, Lamas oder Hühner – Fachleute nutzen immer öfter die «heilende Kraft» der Tiere für die Therapie, das Coaching, die pädagogische Arbeit oder für soziale Aktivitäten mit Kindern, Jugendlichen, Alten, Kranken und behinderten Menschen. Die Tiergestützten Interventionen sind zum einen deshalb gefragt, weil Tiere feine Antennen für die Stimmungen und das Verhalten der Menschen haben und unmittelbar darauf reagieren. Zum anderen merken die Betroffenen, dass sie sich dem Tier offen zuwenden und/oder anvertrauen können. Nicht wenige sind im Mensch-Tier-Austausch achtsamer und hingebungsvoller und erleben eine neue Nähe. Dies wohl auch deshalb, weil Tiere dem Menschen eine bedingungslose Akzeptanz und Zuneigung entgegenbringen können, die das Selbstwertgefühl stärken, Stress mindern, die Empathie und positive Gedanken fördern.

Tierische Helfer

«Ein Tier kann schon durch seine blosse Anwesenheit körperliche und seelische Erkrankungen positiv beeinflussen», sagt Anneli Muser Leyvraz, Verhaltenstierärztin und Präsidentin der Schweizerischen Tierärztlichen Vereinigung für Verhaltensmedizin STVV. «Eine Studie belegt, dass ein in einem Altersheim aufgestelltes Aquarium, das den Bewohnerinnen und Bewohnern das Beobachten von Fischen ermöglichte, zu einer statistisch relevanten Senkung der Ängstlichkeit beitrug.» Auch wirkt sich das Schnurren von Katzen positiv auf die Knochenheilung nach Frakturen aus, und ihre Anwesenheit senkt nachweislich den Blutdruck. «Die Arbeit mit Eseln, Alpakas, Pferden und Lamas wiederum verbessert nicht nur das psychische Befinden der Patientinnen und Patienten, sondern fördert die Koordination des Bewegungsapparates und die körperliche Fitness», ergänzt sie. «Und Vögel wie Seidenhühner scheinen sich positiv auf die Sozialkompetenz, Selbständigkeit und Motorik auszuwirken.»

Kein Allheilmittel

«Wir arbeiten meist mit Säugetieren», sagt Ulrike Forth von der Gesellschaft für Tiergestützte Therapie und Aktivitäten. «Oft ist es für die Therapiearbeit hilfreich, wenn eine den Patient*innen bekannte Tierart zum Einsatz kommt, die nach Möglichkeit positiv konnotiert ist.» Der Zugang zum Begleittier werde so für die Betroffenen leichter. Während der Therapie beziehen die Therapeut* innen die unterschiedlichen Fähigkeiten des Tieres mit ein, um den individuellen Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten zu entsprechen. «Gute Erfolge erzielen tiergestützte Interventionen etwa bei Traumata, Angst- und Zwangsstörungen, Autismus oder emotionalen Störungen aber auch bei Lernstörungen, Konzentrationsschwächen, Aufmerksamkeitsdefiziten, Motivationseinbussen sowie Bindungs- und Trennungsängsten», fasst Anneli Muser Leyvraz die Bandbreite zusammen. Gleichwohl dürfe die Therapiearbeit mit Begleittieren nicht als Allheilmittel verstanden werden. Ulrike Forth ergänzt: «Eine Wunderheilung kann kein Tier vollbringen.» Vielmehr unterstütze und ergänze der Einsatz der Begleittiere andere Therapieformen.

Tierwohl muss beachtet werden

Und das Wohl des Tieres sollte bei jeder Behandlung im Auge behalten werden, ja massgebend sein. «Alle Begleittiere unterliegen dem Tierschutzgesetz, das nicht nur ihren körperlichen Bedürfnissen Rechnung trägt, sondern diese auch vor geistiger Überforderung schützt», führt Muser Leyvraz aus.

Ein viel diskutiertes Beispiel für die Schutzlosigkeit von Begleittieren ist die Therapie mit Wildtieren, etwa mit Delfinen. Im Zuge einer Delfin-Therapie, die etwa in den USA praktiziert wird, versucht man die spastischen Gliedmassen der Patientinnen und Patienten zu lockern, Autistinnen und Autisten Worte oder Reaktionen zu entlocken oder die Aufmerksamkeit von Hirngeschädigten zu fokussieren. Während der Erfolg für sich spricht, bemängeln Kritikerinnen und Kritiker, dass die sensiblen Meeressäuger nicht gefangen gehalten werden dürfen. «Wildtiere sollte man nicht in ihrem Lebensraum stören», sagt Ulrike Forth. «Und sogenannte Delfin-Therapien mit gefangenen Meeressäugern sind aus tierethischer Sicht abzulehnen.» Auch Muser Leyvraz verweist auf die Wichtigkeit einer artgerechten Tierhaltung und die Möglichkeit auf andere Begleittiere auszuweichen, die bereits länger mit Menschen zusammenarbeiten und den gleichen Therapiezweck erfüllen.

Fundierte Ausbildung für Mensch und Tier

Um eine angemessene und erfolgsversprechende Zusammenarbeit zwischen dem Begleittier, dem*r Patient*in und dem Therapiepersonal zu gewährleisten, braucht es solide Sachkenntnisse, Berufserfahrung und eine gute Ausbildung. Sind die nicht gegeben, leidet das Tier und/oder der Mensch. Damit die Qualitätsund Ausbildungsstandards gewährt bleiben, gibt es für Berufsleute, die in der Regel eine pädagogische, therapeutische und/oder soziale Grundausbildung absolviert haben, mit dem Weiterbildungsstudiengang «Certificate of Advanced Studies (CAS) in Tiergestützter Therapie» an der Universität in Basel und/oder dem «CAS Tiergestützte Interventionen» an der Hochschule für Gesundheit in Freiburg zwei gute, international anerkannte Weiterbildungsstudiengänge.

Ulrike Forth ergänzt: «Die Absolventinnen und Absolventen lernen viel über die Beziehung zwischen Mensch und Tier und über die unterschiedlichen therapeutischen, pädagogischen, sozialen und Coaching- Einsatzmöglichkeiten.» Auch die Begleittiere werden sorgfältig ausgewählt.

«Da nicht alle Tiere für diese verantwortungsvollen Aufgaben eingesetzt werden können, überprüfen Fachleute im Rahmen eines festgelegten Selektionsverfahrens die individuelle Eignung», erklärt Muser Leyvraz den Ablauf. «Alle diese Tiere müssen körperlich und geistig in guter Verfassung sein. Dazu kommt eine spezielle Ausbildung, durch die das Tier lernt, mit den Patientinnen und Patienten und der jeweiligen Situation umzugehen.» Um das Niveau zu halten, werden die Begleittiere regelmässig getestet und gegebenenfalls zeitweise oder ganz aus dem Programm genommen.

 

«Hunde haben den richtigen Riecher»

Schweizweit fallen jährlich etwa 25 Menschen einer Lawine zum Opfer. Gut ausgebildete Lawinenhunde sind regelmässig im Einsatz, um Verschüttete rechtzeitig zu finden. Marcel Meier von der Alpinen Rettung in Einsiedeln über die vierbeinigen Retter im Schnee.

Interview: Angela Bernetta

«natürlich»: Rettungshunde kommen bei schweren Erdbeben wie in der Türkei und in Syrien oder bei Lawinen zum Einsatz. Warum ist der Hund da der ideale Helfer?

Marcel Meier: Hunde haben einen ausgeprägten Geruchssinn. Deshalb sind sie für diese Arbeit die idealen Helfer. Sie spüren Menschen in bis zu 500 Metern Entfernung auf, Verschüttete wittern sie noch bis zu einer Tiefe von fünf Metern. Und je länger die Schnauze des Vierbeiners ist, desto besser erschnüffelt er Verletzte unter einer Schneedecke oder Trümmern. Auch kann man Hunde relativ einfach in unwegsame Gelände transportieren.

Welche Voraussetzungen muss ein solches Tier mitbringen?

Bestens geeignet sind Hunde, die gut mit Menschen und Artgenossen sozialisiert sind. Ein Lawinensuchhund sollte auch wetterfest, belastbar, ausdauernd, willensstark sowie lauffreudig sein, und, wie bereits eingangs erwähnt, über ein sehr gutes und feines Riechorgan verfügen. Wichtig ist, dass der Hund weder zu gross noch zu klein ist. Hierzulande kommen häufig Border Collies, Labradore, Deutsche und/oder Belgische Schäferhunde zum Einsatz. Aktuell stehen schweizweit etwa 150 Lawinenhundeteams bereit.

Wie werden diese Lawinenhundeteams gebildet?

Die Grundausbildung eines Lawinenhundeteams, die den*die Hundeführer*in und Hund umfasst, besteht nach einem Eintrittstest aus drei Basiskursen für den*die Hundehalter*in. Während der Hund sein Handwerk lernt, erwerben Absolventen und Absolventinnen neben Erster Hilfe bergtechnische Fähigkeiten wie etwa Einsatztaktik, Orientierung im Gelände und die Bedienung von Funkgeräten. Das Zusammenspiel zwischen Halter*in und Tier ist wichtig. Sie bilden nach der Ausbildung ein beständiges Einsatzteam.

Wie sehen die Ausbildungs- und Qualitätsstandards aus?

Die Schweiz gehört weltweit zu den führenden Ländern bei Ausbildungen für Rettungshunde im Gebirge. Die Qualität ist durch die Ausbildungsstruktur gewährleistet.

Wie stellt man während der Einsätze das Wohlbefinden und eine artgereichte Haltung der Hunde sicher?

Wir achten darauf, dass sich der Hund in jeder Einsatzsituation sicher fühlt. Eine artgerechte Haltung wird mit der zu bewältigenden Aufgabe des Tiers sichergestellt. Der Hund darf nie überfordert werden.

Welche anderen Suchtiere werden nach Lawinenniedergängen und/oder Katastrophen eingesetzt?

Ich kenne nur die Rettungshunde. Andere Tierarten, die diese Aufgabe erfüllen, sind mir nicht bekannt.

Zurück zum Blog